Zum Hauptinhalt springen

Die Impfangst lässt sich nicht wegregulieren

Von Daniel Green und Christian M. Piska

Recht
Das Problem ist nicht die Angst per se, sondern die Möglichkeit, dass Angst instrumentalisiert wird.
© adobe.stock / merklicht.de

Sind ein Impflichtgesetz und die Strafbestimmungen im Hinblick auf die aktuelle Gefahrenlage verhältnismäßig?


Wir sind beide mehrmals geimpft, und wir befürworten und respektieren die freie Impfentscheidung jeder Person.

Ab Februar 2022 soll in Österreich eine generelle Impflicht gelten. Mit dem Covid-19-Impfpflichtgesetz will die Bundesregierung die "Steigerung der Durchimpfungsrate in der Bevölkerung" erreichen. Andere Maßnahmen sollen folgen, zum Beispiel "Informationskampagnen", "zusätzliches Bewusstsein für persönliche Schutzmaßnahmen" und die "Möglichkeit anderer Bundesgesetze [um] zusätzliche Maßnahmen zu setzen".

Es scheint, der kleinstgemeinsame Nenner in der Impfdebatte ist Angst. Manche Menschen haben Angst vor der Krankheit, und manche haben nun Angst vor der Impfung beziehungsweise bestimmten Impfstoffen. Darf man sich vor der Impfung genauso fürchten wie vor der Krankheit? Das Problem ist nicht die Angst per se, denn Angst ist etwas Menschliches, sondern die Möglichkeit, dass Angst instrumentalisiert wird, um konkrete politische Ziele zu verfolgen.

Christian M. Piska ist Professor für öffentliches Recht und Legal-Tech-Experte in Wien.
© privat

Gesellschaft ist schon geteilt

Wir sind mittendrin, die Gesellschaft ist schon geteilt. Es gibt Geimpfte und Ungeimpfte. Beide Gruppen schreiben sich gegenseitig überwiegend negative Eigenschaften zu, die sich im medialen Diskurs in immer heftigeren Äußerungen und an den Rändern auch in öffentlicher Gewalt manifestieren. Der liberale demokratische Rechtsstaat, davon sind wir überzeugt, sollte Menschen dort abholen, wo sie sind, und eben nicht ausgrenzen. Es gilt, das Verbindende hervorzuheben und allen die Möglichkeit zu geben, ihre Angst zum Ausdruck zu bringen.

Das gilt nicht nur für Impfbefürworter, sondern auch für Impfskeptikerinnen. Steht es dem Staat in der gegenwärtigen Situation automatisch zu, Menschen aufgrund ihres Impfstatus vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen? Ist jeder Ungeimpfte eine potenzielle Gefahr für die Allgemeinheit? Nicht jeder kann sich impfen lassen, und die Neuregelung sieht für solche Fälle immerhin gewisse Ausnahmen von der Impfpflicht vor.

Daniel Green ist Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Rechtslinguistik.
© Robert Wählt

Die Frage ist, was die Konsequenzen für jene sein dürfen, wenn sie sich nicht impfen lassen wollen? Dies hängt davon ab, ob die betreffende Maßnahme tatsächlich dazu führt, dass von Geimpften praktisch keine Gefahr mehr ausgeht.

Ist ein Impflichtgesetz und sind die damit verbundenen Strafbestimmungen im Hinblick auf die aktuelle Gefahrenlage also verhältnismäßig? Das hängt von mehreren Faktoren ab. Es ließe sich anführen, dass das "berechtigte öffentliche Interesse des öffentlichen Gesundheitsschutzes" gegenüber der Entscheidungsautonomie der Einzelperson überwiegt. Die Impflicht ist jedoch nicht nur eine Verpflichtung der Rechtsunterworfenen zur Impfung, sondern faktisch auch eine Verabreichungspflicht seitens des ärztlichen Personals. Das betrifft wiederum zentrale medizinrechtliche Informations- und Beratungspflichten.

Neue Variante wirft Fragen auf

Die neue Omikron-Variante, die nun in unseren Wahrnehmungshorizont drängt, wirft ebenso Fragen auf. Ist eine Impfpflicht auch dann noch als verhältnismäßig vertretbar, wenn sie nicht die gewünschte Schutzwirkung gegen Omikron zeigt?

Die moralisierende Krisenkommunikation der Bundesregierung scheint trotz zahlreicher Verbesserungen größtenteils gescheitert zu sein. Letztlich wurden dadurch auch jene verunsichert und nun vermutlich durch die Impfpflicht ganz abgeschreckt, die bestimmten Impfstoffen anfangs nur skeptisch gegenübergestanden sind. Manche lehnen die Impfung ab, weil sie die Notfallzulassungen der Weltgesundheitsorganisation WHO und die damit verbundenen Schutzmechanismen nicht nachvollziehen können.

Nun schnalzt die in den Schulen und in der Gesellschaft allgemein schwach ausgeprägte Rechts- und Medizinkundigkeit scheinbar wie ein Bumerang auf die Regierung zurück. Manche vertrauen teils lieber weltfremden Verschwörungstheorien, die immer mehr sektenartige Züge annehmen, als auf die eigene Vernunft. Radikalisierungstendenzen werden mit dem Impfpflichtgesetz nicht von der Bildfläche verschwinden. Denn: Angst lässt sich nicht einfach wegregulieren.

Krisenkommunikation ist mehr, als sich auf mangelnde Solidarität zu berufen und in Wahrheit dem rechtspolitischen Gestaltungswillen des Gesetzgebers unter Androhung von Strafe Ausdruck zu verleihen. Gelungene Krisenkommunikation bedeutet auch, Manipulationen zu vermeiden und eine einmal eingeschlagene Linie beizubehalten. Die Krankheit kann für Menschen gefährlich sein, und auch die Impfung birgt - wenn auch ein viel kleineres - Gefahrenpotenzial in sich.

Brav oder böse?

Was nun über Monate gefahren wurde, erinnert leider an ein Konzept, das wir als aufrechte Demokraten und Verfechter des liberalen Rechtsstaats nicht wollen sollten. Der Staat bestimmt, wer brav ist und wer böse. Er belohnt die Braven, während er die Bösen bestraft. Das abzulehnende Konzept ist das Social-Credits-System der Volksrepublik China, also ein datengestütztes digitales Überwachungs- und Bewertungssystem.

Wenn wir so weitermachen, landen wir womöglich wirklich einmal dort. Ausgrenzung und Zwangsisolierung sind keine angemessenen politischen Gestaltungsmittel in einer Demokratie. Solange wir noch davon überzeugt sind, in einer freien Gesellschaft leben zu wollen, sollten wir uns geschlossen dagegen verwehren.

Sie sind anderer Meinung?

Diskutieren Sie mit: Online unter www.wienerzeitung.at/recht oder unter recht@wienerzeitung.at