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Die schwierigste Rechtsmaterie der Zweiten Republik

Von Wilfried Ludwig Weh

Recht

Die letzte Hoffnung im Gesetzgebungsprozess zur Impfpflicht ruht nun auf dem Bundespräsidenten.


Nun soll es also ohne Wenn und Aber durchgezogen werden, das Impfpflichtgesetz – die schwierigste Rechtsmaterie der Zweiten Republik. Beschlossen auf einer erweiterten rein politischen Landeshauptleutekonferenz, ohne vorherige wissenschaftliche Vorbereitung etwa in einem großen Hearing, wie es für eine derartige Rechtsmaterie unerlässlich wäre. Die Begutachtungsfrist wurde über Weihnachten gelegt, und dennoch sind laut Parlamentshomepage knapp 100.000 Stellungnahmen eingelangt. Es war selbstverständlich unmöglich, diese in der einen Woche bis zum Gesundheitsausschuss auch nur zu lesen – mit anderen Worten, auch die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens werden gnadenlos ignoriert.

Nicht berücksichtigt wurde auch, dass das Bedrohungsbild von Omikron ein völlig anderes ist als jenes der zu Beginn des Begutachtungsverfahrens vorherrschenden Delta-Variante und vieles dafür spricht, dass es die letzte große Welle von Corona war. Da zwingt sich der Verdacht auf, dass mit dem Impfpflichtgesetz eine Art Gesetz auf Vorrat für zukünftige Eingriffe geschaffen wird, obwohl derzeit kein echtes Bedrohungsszenario mehr vorliegt, sozusagen als Trojanisches Pferd. Wenn eine ernsthafte akute existenzielle Bedrohung vorläge, müsste man auch nicht mit Fristen herumjonglieren und Verordnungsermächtigungen vorsehen. Das Fehlen der akuten Ernsthaftigkeit des Gesetzes allein macht es schon verfassungswidrig.

Das Gesetz enthält eine Unzahl von Fristen, deren wechselseitiger Zusammenhang sich beim Lesen nicht unmittelbar erschließt. Dennoch fokussiert diese Studie nicht auf diese vielen gesetzgeberischen Fehlleistungen, sondern auf drei zentrale Verstöße gegen österreichische und Europäische Grundrechtsstandards, wie sie in dieser Radikalität noch nie zu beobachten waren.

Rechtsfortschritte vernichtet

Das Gesetz nimmt in Kauf, dass die Geimpften zwar vor schweren Verläufen geschützt sein sollen, die Impfung aber ebenfalls zu Impfschäden führen kann. Das Gesetz bezieht sich für seine Legitimation auch auf die "Wissenschaft". Wer die Äußerungen von "Wissenschaftern" und Politikern der vergangenen zwei Jahre im Internet Revue passieren lässt, findet allerdings mehr Behauptungen, die sich dann als nicht richtig herausgestellt haben, als umgekehrt. Am besten hätten sich die Virologen beim Motto des antiken Geistesriesen Sokrates bedient: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Man kann es den Virologen nicht verübeln, dass sie dieses unberechenbare Virus nicht berechnen können, aber man muss leider konstatieren, dass manche wider besseres Wissen das Gegenteil behaupten.

Den zweiten Dammbruch begeht das Gesetz, indem es hemmungslos Rasterfahndungen mit höchstsensiblen Daten bewilligt, obwohl Rasterfahndungen mit österreichischem und Europäischem Datenschutz unvereinbar sind und es dafür auch keinerlei sachliche Rechtfertigung oder gar Notwendigkeit gibt.

All das wird aber noch kombiniert mit einem unsäglichen Strafensystem, das alle Rechtsfortschritte der vergangenen 80 Jahre mit einem Federstrich vernichtet. Die mündliche Verhandlung vor einem unabhängigen Gericht ist menschenrechtlich und unionsgrundrechtlich garantiert, ebenso wie das Verbot einer Erhöhung der Strafe (Verbot der reformatio in peius). Auch die tätige Reue soll nur dann möglich sein, wenn man die Strafverfügung nicht beeinsprucht. Die versuchte Umgehung der Europäischen Grundrechtskataloge ist ein frontaler Rohrkrepierer.

Versöhnliche Lösung erstrebenswert

Die letzte Hoffnung im Gesetzgebungsprozess ruht auf dem Bundespräsidenten. Er hat es in der Hand, so wie der polnische Präsident jüngst beim ebenso unsäglichen Angriff auf die polnische Medienfreiheit, das Gesetz wegen offenkundiger Grundrechtswidrigkeit nicht zu unterschreiben. Oder er kann es zumindest von Fachleuten auf seine Verfassungswidrigkeit überprüfen lassen. Letztlich wird die historische Beurteilung seiner Amtszeit nicht davon abhängen, wie viele Minister oder Bundeskanzler er bestellt hat, sondern davon, ob die Impfpflichtfrage zum Bürgerkrieg eskaliert oder ob es am Schluss doch noch zu einer versöhnlichen Lösung gekommen ist.