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Der schmale Pfad zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Von Adrian Eugen Hollaender

Recht
Jeder Beschwerdeführer hat ein Recht darauf, dass der EGMR seine Beschwerde inhaltlich prüft.
© adobe.stock / Art Stocker

Nur ein geringer Prozentsatz der österreichischen Beschwerden wird angenommen.


Das höchste Gericht in Menschenrechtsfragen in Europa ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Er kann nach Durchlaufen des innerstaatlichen Rechtszugs angerufen werden und dient solcherart gleichsam als supranationale Höchstinstanz sowohl in Strafsachen als auch in Zivilrechtssachen, soweit es um die Feststellung der Verletzung von Menschenrechten geht.

Dies kann jeden betreffen: einen abschlägigen Bescheid, eine Geldstrafe, ein innerstaatliches Gerichtsurteil in Zivil- oder Strafsachen. Gegen all das kann, nachdem der innerstaatliche Instanzenzug erschöpft ist, beim EGMR Beschwerde erhoben werden, wenn die innerstaatliche Entscheidung eine der Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt.

Doch wie erreicht man den EGMR? Wann wird eine Beschwerde überhaupt zugelassen? Wann wird sie zurückgewiesen?

Die Zurückweisung von Beschwerden

Wenn eine Beschwerde beim EGMR eingebracht wird, entscheidet ein Einzelrichter oder eine Einzelrichterin darüber, ob sie zugelassen wird. Wenn sie zugelassen wird, nimmt das weitere Verfahren seinen Lauf. Wenn er sie aber sogleich zurückweist (man nennt dies "a limine"-Zurückweisung), so geschieht dies ohne konkrete inhaltliche Begründung, und es steht dagegen kein Rechtsmittel offen.

Freilich kann niemand erwarten, dass jeder Beschwerde stattgegeben werden muss. Aber es hat jeder Beschwerdeführer ein Recht darauf, dass der EGMR seine Beschwerde inhaltlich prüft, bevor er eine Entscheidung darüber trifft. Wenn das Gericht aber eine Beschwerde a limine ohne Begründung zurückweist, ist für den Beschwerdeführer keine inhaltliche Prüfung nachvollziehbar.

Peter Hilpold nannte dies bereits in seinem Gastkommentar vom 21. August 2020 in dieser Zeitung pointiert ein "denial of justice" und immer mehr Rechtsanwälte und Rechtswissenschafter beklagen in immer nachdrücklicher Weise eine geradezu missbräuchliche Praxis des EGMR bei diesen sogenannten "a limine" -Zurückweisungen.

Das stellt ein erhebliches Problem dar, denn wenn der Zugang zum EGMR bereits auf Zulässigkeitsebene übermäßig erschwert ist, können die Sachthemen gar nicht erst behandelt werden. Von den österreichischen Beschwerden beispielsweise wird nur ein geringer Prozentsatz überhaupt vom EGMR angenommen, während die meisten von der Schwelle weg und ohne inhaltliche Begründung zurückgewiesen werden. Verwundert es, dass viele Beschwerdeführer darin eine rechtsstaatlich bedenkliche Rechtsschutzverweigerung erblicken?

Menschenrechtswidrige Zurückweisungspraxis

Es gibt sogar Fälle, in denen an den EGMR gerichtete Beschwerden in schlechthin menschenrechtswidriger Weise von einem Einzelrichter als unzulässig erklärt worden sind. In menschenrechtswidriger Weise deshalb, weil das aus Artikel 6 EMRK erfließende Recht auf Begründung und auf Gehör ebenso wie das in Artikel 13 statuierte Recht auf eine wirksame Beschwerde verletzt wird, wenn eine unbegründete Zurückweisungsentscheidung erfolgt, gegen die kein Rechtsmittel offensteht.

Das eine ist mit dem anderen verzahnt: Wenn eine Entscheidung nicht begründet ist, erschwert dies ihre Anfechtbarkeit, weil es keine Argumente gibt, mit denen man sich auseinandersetzen kann. Eine nicht begründete Entscheidung wird daher auch als Willkür bezeichnet. Eben deshalb leitet man aus dem Recht auf ein faires Verfahren, das in Artikel 6 EMRK normiert ist, die Verpflichtung von Gerichten und Behörden ab, ihre Entscheidungen nachvollziehbar zu begründen. Dagegen kann dann gezielt eine wirksame Beschwerde erhoben werden, was wiederum in Artikel 13 EMRK garantiert wird.

Wenn aber nun der EGMR selbst "a limine"-Zurückweisungen fällt, die weder begründet sind noch eine Rechtsmittelmöglichkeit offenlassen, dann läuft er Gefahr, die Standards zu verletzen, die er zu verteidigen berufen ist, nämlich jene der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Es sollte daher alsbaldigst die Möglichkeit einer Berufung gegen "a limine"-Zurückweisungen vorgesehen werden (etwa an einen Richtersenat, eine Kammer oder eine Sektion des Gerichtshofes), und es sollte vor allem jede Zurückweisungsentscheidung inhaltlich umfassend begründet werden müssen. Damit ließe sich viel zu einer einheitlichen, rechtsstaatlichen und menschenrechtskonformen Praxis bei der Annahme von Beschwerden beitragen. Ansonsten bleibt nur ein allzu schmaler Pfad zum EGMR übrig.

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