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Die Umsetzung als der Elchtest einer Entscheidung

Von Stefan Titscher

Recht
Wer der Umsetzung grundlos ausweicht, läuft Gefahr, Probleme nicht zu verhindern.
© adobe.stock / Andreas Haertle

Ob in Wirtschaft, Politik oder Verwaltung: Entscheidungen ohne nachfolgende Taten sind vergeudete Energie.


"Wir machen weiter so", kann die Leitung einer Organisation getrost beschließen - wenn alles funktioniert. Das heißt, wenn die internen Verhältnisse passen, also zu dem passen, was sich rundherum tut. So eine Entscheidung braucht keine Umsetzung.

Dinosaurier waren eindrucksvolle Geschöpfe zu ihrer Zeit. Aber drastische Veränderungen in der Umwelt haben ihre Anpassungsfähigkeiten überfordert. Jede Organisation sollte sich rechtzeitig zu einem Wandel aufraffen. Dann, wenn die Gefahr besteht, dass die eigenen Möglichkeiten nicht ausreichen, um einschneidende Ereignisse in der Umwelt abzufedern.

Die Gegenwart bietet genügend Beispiele dafür, dass drastische Veränderungen nötig sind oder gewesen wären, um die gegenwärtige Lage, beispielsweise in Europa, zu verhindern. Einen dramatischen Klimawandel erleben wir schon, Kriege und Armut sind herbeientschiedene Katastrophen. Man sammelt leichter Geld für den Sarg als für die Medizin. Wie sehr dieses chinesische Sprichwort zutrifft, belegt das unten genannte Buch mit etlichen Beispielen. Prävention wäre in vielen Fällen angebracht, ist aber ein unsicheres Geschäft und kann, wenn sie gelingt, nicht mit Erfolgen glänzen: War sie erfolgreich, gilt sie als unnötig. Meist zieht man vor, Probleme dann bewältigen zu wollen, wenn sie aktuell sind.

Ego der Unternehmensspitze

Unternehmensfusionen oder -käufe gelten als ein probates Mittel, Märkte zu beherrschen. Die Summe der größten M&A-Deals in Europa betrug 2020 etwa 1.018 Milliarden Euro. Allerdings sind diese Aktionen nicht selten vor allem vom Ego der Unternehmensspitze getrieben. Ein CEO fällt ja nicht durch Investitionen in die Infrastruktur oder in die Energiesicherheit auf. Prestigeorientierte CEOs bevorzugen große Merger. Das führt zu Artikeln in der Presse, macht Manager zu Superstars. Unternehmenskäufen liegt oft der Wunsch zugrunde, ein Imperium zu errichten, der wirtschaftliche Erfolg ist nur eine Hoffnung, die Umsetzung ein mühsames und konfliktgeladenes Geschäft.

Dass große und langwierige Vorhaben letztendlich als Erfolg angesehen werden, ist prinzipiell schwierig erreichbar: Will man eine Veränderung durchsetzen, wird üblicherweise argumentiert, dass nur so eine Not abgewendet oder sogar eine Verbesserung erreicht werden kann. Nur sieht die zukünftige Lage, wenn sie dann mal Gegenwart ist, ganz anders aus als zur Zeit der Entscheidung. Das wusste schon Nestroy: "Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, dass er viel größer ausschaut, als er wirklich ist."

Das hat beispielsweise die Fusion von Daimler und Chrysler vorgeführt: Sie wurde 1998 als "Hochzeit im Himmel" gefeiert, auf der Erde verlor die "Welt AG" bei diesem Deal mehrere Milliarden Euro. Ein Lehrbuchbeispiel für das eherne Gesetz der Megaprojekte: "Over budget, over time, over and over again." Gutes Geld wird schlechtem hinterhergeworfen, weil man hofft, die Entscheidung werde sich doch noch als richtig herausstellen. Außerdem wurden Verpflichtungen eingegangen, man kommt aus der Grube, die man gegraben hat, nicht so leicht heraus.

Prestigeprojekte kosten viel

Auch ein bestimmter Politikstil braucht "Leuchtturmprojekte". Solche Prestigeprojekte, wie etwa die Reform der Krankenkassen, kosten viel, und die Rechtfertigung der Sache fällt auch nach Jahren nicht leicht. Die Covid-19-Pandemie hat eindrücklich gezeigt, dass sich die Liste beliebig verlängern ließe. Es geht um Symbolprojekte, angekündigte Entscheidungen ohne Umsetzung.

Unter weniger spektakulären Vorhaben fallen IT-Projekte auf. Systemumstellungen oder -einführungen halten den Zeit- und/oder Kostenrahmen selten ein und ziehen oft teure Serviceleistungen nach sich. Diesen Schluss lassen zumindest viele Untersuchungen zu; üblicherweise wird eine Erfolgsrate von 50 bis 70 Prozent angegeben. Solche Zahlen zeigen aber nur, dass ein positiver Ausgang nicht mit hoher Sicherheit vorhersehbar ist. Und daraus kann man schließen, dass die Umsetzung deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Berechtigterweise kann man sagen, dass wir zwar oft kein Erkenntnis-, meist aber ein Umsetzungsproblem haben.

Macht und Ressourcen

Managementmoden und -konzepte sind nach wie vor en vogue, wie man sie implementieren soll, bleibt aber unklar. Das ist kein Wunder, weil jede Umsetzung in einem ganz konkreten Umfeld geschieht und ihre Wirkung von der Situation abhängt. Allgemeine Regeln nützen wenig. So wurde etwa früher bei Lebensmittelketten die Kundenfreundlichkeit des Personals als Erfolgsfaktor angesehen. Das war auch schon damals zumindest in den Filialen falsch, in denen Leute nach Büroschluss eingekauft haben, es eilig hatten und schnell nach Hause wollten. Das teure Freundlichkeitstraining war also umsonst.

In weniger einfachen Fällen zeigt sich, dass die Umsetzung einer Entscheidung von gewichtigen Faktoren beeinflusst wird: Die Machtverhältnisse und Interessen der Beteiligten und Betroffenen spielen eine Rolle, ebenso die Verfügung über Ressourcen, insbesondere über knappe Ressourcen. Der Überblick ist nicht leicht zu behalten, da Macht und Ressourcen eng miteinander verknüpft sind und noch dazu in ein Beziehungsgeflecht eingebunden sind: Ressourcen hat jemand und brauchen andere, die auch welche haben, Macht hat man immer nur in bestimmten Konstellationen. Und im Arbeitsalltag beeinflusst diese Situation unter anderem das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, den Umgang mit Fehlern und Gerüchten, die Möglichkeit, Warnsignale rechtzeitig zu erkennen, die eigenen Kompetenzen auszuspielen oder mit Widerständen umzugehen.

Das Buch "Entscheidungen: umsetzen", das soeben im Facultas Verlag erschienen ist, analysiert diese Zusammenhänge und belegt ihre Wirkung mit Ergebnissen empirischer Untersuchungen. Daraus wird abgeleitet, wie man die eigene Situation einschätzen kann. Dazu regen die Fragen in diesem Buch an. Jedes Kapitel listet Fragen auf, mehr als 200. Wenn man wenigstens die wichtigsten davon berücksichtigt, könnten vielleicht manche sinnfreien Vorhaben frühzeitig beendet, manche Entscheidungen nicht getroffen und mehr Umsetzungen erfolgreicher abgeschlossen werden.

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