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Anwälte unter dem Löschungsstempel

Von Alix Frank-Thomasser

Recht

"Advokaten 1938" beleuchtet 2.200 Schicksale der aus "rassischen", politischen oder sonstigen Gründen Verfolgten.


Als im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung im Festsaal des Justizpalastes die zweite Auflage des Buches "Advokaten 1938" vorgestellt wurde, würdigte Alt-Bundespräsident Heinz Fischer die Aufklärungsarbeit dieser dunklen Jahre der Berufsgeschichte. Vornehmlich wurde diese durch die österreichische Anwaltschaft unterstützt, allen voran Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, und Michael Enzinger, Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer.

Zwölf Jahre nach der Publikation des Buches "Advokaten 1938" liegt mit dessen 2. Auflage nun ein englischsprachiges Werk für eine viel breitere Leserschaft vor, als es mit der 1. Auflage in deutscher Sprache gelingen konnte. Die zweite erheblich erweiterte Auflage enthält nun erstmals auch die Biografien der verfolgten Berufsanwärter. Das Buch umfasst daher 2.200 Schicksale der Rechtsanwälte sowie Rechtsanwaltsanwärterinnen, die in der Zeit des Nationalsozialismus aus "rassischen", politischen oder sonstigen Gründen verfolgt wurden und daher vom Berufsverbot betroffen waren. Neben diesen informiert es auch über den Hintergrund der Recherche, die Quellen, aber auch über die Geschichte der österreichischen Rechtsanwaltschaft von 1918 bis 1938, also über den Zeitgeist am Vorabend der schrecklichen Verfolgungen.

Anfänge des Antisemitismus

Barbara Sauer ist die Hauptautorin dieses Buches. Sie hat in mühevoller Detailarbeit die Einzelschicksale der Verfolgten recherchiert und im biografischen Teil dieses Buches zusammengefasst. Die Mitautorin Ilse Reiter-Zatloukal stellt den Hintergrund und Ausgangspunkt der Verfolgung dar. Sie gibt in ihrem Beitrag Einblick, inwieweit ein Zusammenhang zwischen dem Antisemitismus des "langen 19. Jahrhunderts" und dem freien Berufsstand der Rechtsanwälte bestand.

Die Rechtsanwaltschaft in Österreich sah sich schon lange vor dem "Anschluss 1938" an das Deutsche Reich mit massivem Antisemitismus konfrontiert, der sich nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie - wie auch in vielen europäischen, vor allen auch osteuropäischen Staaten - deutlich radikalisierte. In der Anwaltschaft wurden die "Ostjuden" angesichts der "Überfüllung des Standes" und der zumeist katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Lage, in der sich die meisten Rechtsanwälte, vor allem die Berufsanwärter befanden, vielfach als unerwünschte Konkurrenz angesehen. Es gab daher nicht nur Forderungen, die Zahl der Rechtsanwälte durch einen numerus clausus an sich zu begrenzen, sondern auch, die Anwälte jüdischer Herkunft auf einen Prozentsatz zu verringern, der ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprach.

Frauen 1919 zugelassen

Die Ausübung des Anwaltsberufes erforderte eine siebenjährige Ausbildungszeit, eine Zeit voller Entbehrungen in einem derart katastrophalen wirtschaftlichen Umfeld wie in der Ersten Republik. Das hielt dennoch viele junge Juristinnen und Juristen, vor allem jüdischer Herkunft, nicht davon ab, den Beruf des Anwaltes als Traumberuf zu wählen. Anfang Mai 1919 war in der Zeitung "Salzburger Chronik" zu lesen: "Wir werden also bald weibliche Richter und Advokaten haben." Im April 1919 wurden dann endlich auch die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien für Hörerinnen geöffnet.

Damit konnte zum Beispiel der Berufstraum von Fräulein Susanne Granitsch in Erfüllung gehen. Sie debütierte als Verteidigerin im August 1928 bei der Schöffengerichtsverhandlung im Straflandesgericht I als Armenvertreterin einer des Diebstahls Angeklagten. Wie in der Presse damals berichtet wurde, hätten "im Lauf der letzten Jahre nur 2 Verteidigerinnen bei öffentlichen Verhandlungen fungiert" obgleich es "schon eine Reihe weiblicher Doktoren" gebe. Die "Wiener Sonn- und Montagszeitung" hob im August 1928 hervor, dass Granitsch "weder Hornbrillen auf(habe)", noch mit ehrwürdigem grauem Haar gesegnet sei, "sondern vielmehr jung und hübsch sei, noch dazu eine preisgekrönte österreichische Fechterin, ausgezeichnete Skirennläuferin und trainierte Schwimmerin.

Granitsch zu ihrer Berufswahl: "Ich bin schon zum Verteidiger geboren worden, mein Großvater war Rechtsanwalt, mein Vater ist Jurist - nichts natürlicher, als dass ich denselben Beruf ergriffen habe. Das ist erbliche Veranlagung. Ich könnte mir gar nicht vorstellen, dass ich etwas anderes sein sollte".

Stete Mahnung

Wie vielen anderen Kolleginnen und Kollegen jüdischer Herkunft oder politisch Verfolgten erging es 1938 auch Granitsch: Ihre Berufsausübungsbefugnis wurde nach dem März 1938 einfach gelöscht. Die damalige Rechtsanwaltskammer für Wien Niederösterreich und Burgenland ließ sich ob des Umfanges der zu löschenden Kolleginnen und Kollegen (mehr als 1.800) einen eigenen Löschungsstempel machen, der auf dem Umschlag des Buches "Advokaten 1938" abgebildet ist. Susanne Granitsch konnte den Schrecken der Verfolgungen unter dem Nationalsozialismus gerade noch durch eine rechtzeitige Ausreise aus Österreich entkommen, viele andere wurden jedoch in den Konzentrationslagern des "Dritten Reiches" ermordet.

Die österreichische Anwaltschaft will mit diesem Buch den Schicksalen aller verfolgten RechtsanwältInnen und BerufsanwärterInnen gebührend gedenken, aber vor allen Dingen ihrem beruflichen Leben eine immerwährende Erinnerung bewahren. Das Buch soll aber auch eine stete Mahnung dafür sein, wie schnell aus Recht Unrecht werden kann, wenn der Gesetzgeber den Rechtsstaat demontiert, Juristen sich zu willfährigen Figuren einer undemokratischen Politik machen lassen und die Bevölkerung eines Landes sich dagegen nicht zur Wehr setzt.•

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