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Ein innovativer Blick auf Wirtschaft und Verfassung

Von Nikolaus Lehner

Recht

Ein dogmatisch ausgefeiltes Werk präsentiert zukunftsträchtige Ideen.


Den drei Herausgebern Michael Holoubek, Arno Kahl und Stefan Schwarzer ist ein bemerkenswerter Wurf gelungen, weil mit den beachtlichen Beiträgen von 23 Autoren der Status quo des Wirtschaftsverfassungsrechts und seiner Bedeutung von der Position jedes einzelnen analysiert wird: Alle Beiträge zu diesem Kompendium "Wirtschaftsverfassungsrecht", das im Verlag Österreich erschienen ist, sind dogmatisch ausgefeilt und mit vielen zukunftsträchtigen Ideen angereichert. Der Leser wird je nach Interessen seine Lektürepräferenz treffen. Der Rezensent kann aus Platzgründen nur eine kleine Auswahl vorstellen.

In Anlehnung an Karl Korinek, der die Wirtschaftsverfassung als die Summe jener Normen im Verfassungsrang definiert hat, welche für die Wirtschaft und das Wirtschaftsleben wichtig sind, reflektiert Herbst in seinem dogmatischen Traktat über die Europäische Zentralbank (EZB) und Oesterreichische-Nationalbank-Zentralbanken als Verfassungsorgane, dass die Bankenaufsicht eine neue Aufgabe der EZB wurde.

Ulrich Zellenberg rezipiert in seinem Aufsatz "Kammern und freie Verbände" die schrittweise Einbindung dieser Realfaktoren in die Verfassung. Bei einer Systematisierung der verfassungsrechtlichen Regelungen von Verbänden lassen sich drei Komplexe unterscheiden, nämlich die Vorschriften über die Autonomie von Selbstverwaltungskörpern, welche über ihre Handlungsprogramme selbst bestimmen, wie beispielsweise die Rechtsanwaltskammer. Daneben stehen die Vorschriften, deren Gegenstand die Mitwirkung von Kammern und freien Verbänden an den Staatsfunktionen ist, wie die Petitionsfreiheit und die durch Art. 120b Abs. 3 B-VG vorgesehene Möglichkeit, Einrichtungen der Selbstverwaltung und damit vor allem Kammern eine Mitwirkung an der Vollziehung in entscheidenden Organen einzuräumen.

Grundrechte dekliniert

Barbara Leitl-Staudinger konstatiert, dass die Verfassung den Wettbewerb über die Grundrechte als Verfassungsprinzip konstituiert. Siehe der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union.

Christoph Bezemek dekliniert die Grundrechte in der Wirtschaftsverfassung und stützt sich auf die Anregungen von Sascha Somek: Für das Verhältnis von Grundrechten und Wirtschaftsverfassung steht damit nicht die staatliche Intervention in die Wirtschaft im Vordergrund, sondern die Frage, wie der Staat Grundbedingungen für Markt und Wettbewerb schafft und aufrecht erhält.

Harald Eberhard stellt fest, dass der Bescheid als Kontrollobjekt der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts vor allem für das Handeln im Rahmen der schlichten Hoheitsverwaltung wichtig ist. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) erklärt immer wieder, dass ein derartiges Handeln, wenn es in Rechte eingreift, einer rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegen muss. Dazu die "Warnmeldungen" der Finanzmarktaufsicht, weil eine derartige Mitteilung jedenfalls geeignet ist, in grundrechtlich geschützte Positionen wie das Recht auf Freiheit der Gewerbeausübung einzugreifen. Die von der Bundesregierung zitierten Entscheidungen des VfGH zur Rechtsqualität von "Mitteilungen" stellen jedenfalls keine Bescheide mit Befehlsgewalt dar. Im Hinblick auf Art. 130 Abs. 2 B-VG ist erkennbar, dass rechtsschutzfreie Zonen nur die absolute Ausnahme sein können. Nach herrschender Sichtweise meint Eberhard, dass nur im Bereich der Hoheitsverwaltung eine Bindung an das Legalitätsprinzip besteht. Allerdings ist die Judikatur dazu nicht kohärent. Der VfGH hat im Referenzgebiet des Strafrechts ausgesprochen, dass es nicht gegen Art. 18 B-VG verstößt, wenn der Gesetzgeber an das allgemeine Erfahrungswissen anknüpft.

Als Klammer über Organisation als Regelungsinhalt der Verfassung kann festgehalten werden, dass sich das EU-Recht als maßgeblicher Dynamikfaktor erwiesen hat.

Stefan Storr hat in seinem Traktat "die Verfassung staatlicher Wirtschaftstätigkeit" entschieden, dass bei der Ausgestaltung der Gemeindeautonomie dem Staat ein Ausgestaltungsvorbehalt zukommt, doch sind die Gemeinden wie Art. 116 Abs. 2 B-VG normiert, selbständige Wirtschaftskörper mit dem Recht, wirtschaftliche Unternehmungen betreiben zu dürfen.

Nach österreichischem Recht sind jedenfalls Eigengesellschaften der Gebietskörperschaft öffentliche Unternehmen, die rechtsfähig sind, etwa die österreichischen Bundesbahnen-Holding Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent im Eigentum der Republik Österreich steht. Unternehmen sind öffentliche Unternehmen, wenn sie vom Staat beherrscht werden; als beherrschender Einfluss wird erachtet, wenn die Beteiligung bei 50 Prozent liegt.

Umwelt- und Energiepolitik

Für die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates zählt die Interpretation des Art. 17 B-VG, jedoch legistisch ungenügend und misslungen. Daseinsvorsorge kann von einem Rechtsträger sowohl im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung als auch in Vollziehung der Gesetze erbracht werden.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wendet Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit anderen Wettbewerbsregeln an. Deshalb liegt ein Verstoß gegen Art. 106 Abs. 1 iVm Art. 102 AEUV schon dann vor, wenn ein Unternehmen bei Ausübung seiner besonderen Wettbewerbsstellung diese missbräuchlich ausnutzt.

Stephan Schwarzer analysiert zum "Umweltverfassungsrecht", dass sich die Umwelt- und Energiepolitik überschneiden. Grundfreiheiten binden die Gesetzgebung der EU und der Mitgliedstaaten.

Das Tiroler Transit stellt als Musterbeispiel eine wegen Unverhältnismäßigkeit unionsrechtswidrige Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit dar. Es gibt aber auch Entscheidungen, die die Verhältnismäßigkeit auf den Prüfstand stellen. Der EuGH stellte in zwei Urteilen Anforderungen an die Beschränkungen des Transits durch Tirol in Form sektoraler Lkw-Fahrverbote, welche der Landeshauptmann von Tirol gemäß dem Immissionsschutzgesetz-Luft erließ.

Dem sektoralen Fahrverbot ist inhärent, dass bestimmte Güter nicht mehr von Lkw durch Tirol befördert werden dürfen. Das heißt, die Transporte müssen auf der Bahn stattfinden oder geografisch ausweichen, der EuGH musste zwei Mal den Tiroler Bestrebungen Einhalt gebieten; dazu kommt, dass Verbote dieser Art nicht überfallsartig erlassen werden dürfen, sondern nur nach einer angemessenen Vorlaufzeit. Gelindere Mittel, etwa Geschwindigkeitsbeschränkungen, können zum Einsatz kommen.

Stephan Schwarzer führt aus, dass Grundrechtsfragen im Umweltrecht eine wichtige Rolle spielen. In der Judikatur herrschen widerstreitende Tendenzen, wobei man eine mit "Willkürverbot" umschreiben kann, eine andere mit "rechtspolitischer Gestaltungsfreiheit". Bei Fragen zur Parteistellung verlangt der VfGH: Wenn Nachbarn bei Baugenehmigungen diese innehaben, dann sollte das bei nachträglicher Bewilligung konsenslos errichteter Anlagen ebenso sein.

Das Energieeffizienzgesetz verpflichtet zu Einsparungsmaßnahmen mit einer Ausnahme: Die Effizienzsteigerung von Ölheizungen wird nicht anerkannt, ich denke, dass dies als gleichheitswidrig festgestellt werden müsste.

Allerdings hat sich die Situation auf dem Energiesektor dramatisch durch die Ukraine-Krise verändert. Daher sind die Erkenntnisse des VfGH in diesem Bereich als überholt zu betrachten.

Wertungen des EuGH und VfGH können voneinander abweichen. Das "Recht auf Rechtsschutz" wird nicht nur jenen zuteil, die über subjektive Rechte verfügen, weil der Kreis der Legitimierten weit darüber hinaus geht. Er schließt präkludiert Betroffene ebenso ein wie die Umwelt-NGOs.

Staat und Kultur

In jüngster Zeit wurden in Tirol Fahrverbote gemäß der Straßenverkehrsordnung in Ortsgebieten erlassen, die in Stausituationen ein Ausweichen von der Autobahn auf den Ortsverkehr verhindern sollen. Der Schutz der örtlichen Bevölkerung vor Umweltbeeinträchtigungen reicht als sachliche Rechtfertigung aus.

Europäische Grundrechtskataloge und die Grundfreiheiten versetzen den EuGH in die Lage, beispielsweise Bayern bei der Maut und Tirol bei den Transitbeschränkungen Einhalt zu gebieten. In vielen Bereichen ist Umweltschutz einklagbar.

Thomas Kröll verfasst in seinem Essay "Kulturverfassung", dass diese die Distanz des Staates zur Kultur nur teilweise garantiert; denn im Sinne des Art. 144 B-VG wird dem Rechtsunterworfenen Freiheit gewährleistet, und daher können sich in diesen Freiräumen einzelne Bereiche von Kultur autonom entfalten.

Als Resümee schreiben Holoubek und Kahl in der "Wirtschaftsverfassung heute - Begriff und Funktion", dass sich der Begriff "Wirtschaftsverfassungsrecht" seit der Begriffsbildung von Karl Korinek wesentlich verdichtet hat, weil sich die vielseitige Einflussnahme staatlicher Institutionen markant ausgedehnt hat.

Das Wirtschaftsverfassungsrecht beantwortet nunmehr die Frage nach verfassungsrechtlichen Determinanten für den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Funktionsbedingungen des Wettbewerbsmarktes.

Der vorliegende Sammelband ist Wegweiser und Fundgrube für eine Neuorientierung der Wissenschaft und Praxis des Wirtschaftsverfassungsrechts und daher je-dem am Thema Interessierten zur Lektüre anempfohlen.