Zum Hauptinhalt springen

Die Zukunft von Bildung und Kinderschutz

Von Paul Schwarzenbacher

Recht
© adobe.stock / bluedesign

Für die individuelle Einklagbarkeit von Kinderrechten wäre die Verankerung der Kinderrechtskonvention im Verfassungsrang hilfreich.


Um Viola spielen zu können, müssen alle vier Finger in Bewegung sein. Es ist nicht möglich, nur ein paar Finger zu bewegen und andere nicht. Nur, wenn die vier Finger die Saiten gleichzeitig berühren, wird keine Melodie erklingen. Um gute Musik zu machen, müssen sich die vier Finger rhythmisch und koordiniert bewegen.

Eine gute Bildungspolitik muss genauso ihre Hauptaufgabe in die Hand nehmen, und, um diese Hauptaufgabe herum, die Arbeit in anderen Bereichen entwickeln. Momentan wären viele Bereiche zu bearbeiten - einige davon hat Trautl Brandstaller in ihrem Werk mit Erhard Busek "Republik im Umbruch" (2015/2016) beschrieben.

Der erste Punkt betrifft die Verlängerung der Schulpflicht - eigentlich Unterrichtspflicht - bis zum Alter von 16 Jahren und die Einführung einer "mittleren Reife" für alle. Eine gemeinsame Schule für alle 10- bis 14-Jährigen wäre ein weiterer Punkt, um neue Bildungswege zu beschreiten. Genauso wichtig wie die gemeinsame Schule für alle 10- bis 14-Jährigen ist die gemeinsame Ausbildung aller Lehrer (und Kindergärtner) sowie ein gemeinsames Dienstrecht. Nicht zuletzt ist der Bereich der Erwachsenenbildung einer jener Gebiete, die den höchsten Return on Investment (ROI) mit sich bringen. Dies, da er nicht nur zur Lösung von Arbeitsmarktproblemen beiträgt, sondern auch unter dem Aspekt der wachsenden Lebenserwartung zu betrachten ist. Ein Wiederaufleben der Volkshochschulen wäre ein Schritt in die Zukunft der Bildung.

Etablierung von Kinderschutzkonzepten

Die Arbeiten müssen also in allen Bereichen angegangen werden. Man darf nicht nur auf manche Probleme Acht geben und andere ignorieren. Die für Bildungspolitik Verantwortlichen müssen lernen, gut Viola zu spielen.

Tatsache ist, dass die UN-Kinderrechtskonvention das Recht aller Kinder auf Bildung formuliert. In jüngster Vergangenheit wurde jedoch viel über fehlende Kinderschutzkonzepte berichtet. Was steckt dahinter? Institutionen und Organisationen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten beziehungsweise in denen sich Kinder aufhalten, sollten über ein nachhaltiges, sicheres und umfassendes Kinderschutzkonzept verfügen. Dieses Konzept respektive eine Kinderschutzpolicy oder Kinderschutzrichtlinie ist ein Organisationsentwicklungsprozess, bei dem sich Organisationen mit möglichen Risiken für Kinder in ihrem Angebot auseinandersetzen und Maßnahmen definieren, um diesen Risiken entgegenzutreten. Welchen Vorteil haben Partnerorganisationen und Fördergeber von Organisationen mit intakten Kinderschutzkonzepten?

Der Vorteil liegt darin begründet, dass Organisationen mit Kinderschutzkonzepten eine klare Haltung gegen jede Form von Gewalt an Kindern und Jugendlichen einnehmen. Weiters haben sich solche Organisationen ausführlich mit den Risikobereichen ihrer Tätigkeit auseinandergesetzt, Strategien und Maßnahmen zur Minimierung dieser Risiken entwickelt sowie klare Kriterien zur Personalauswahl und Personalentwicklung definiert. Wer wäre für die Umsetzung von Kinderschutzkonzepten verantwortlich? Die Verantwortung für die Durchsetzung und Umsetzung von Kinderschutzkonzepten sollte ad personam Kinderschutzbeauftragten übertragen werden. Zurzeit verfügt österreichweit nur ein Bruchteil der Institutionen und Organisationen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten beziehungsweise in denen sich Kinder aufhalten, über ein intaktes Kinderschutzkonzept. Hier gibt es noch viel Luft nach oben.

Staat muss alle geeigneten Mittel einsetzen

Hintergrund für die Etablierung von Kinderschutzkonzepten ist die Durchsetzung und Sicherstellung aller Kinderrechte im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) für sämtliche Behörden, Institutionen und private Träger, die für Kinder und Jugendliche und mit ihnen arbeiten. Der Hinweis auf die UN-KRK betrifft Art. 4 der Konvention. Danach muss der Staat alle geeigneten Mittel einsetzen, um Kinderrechte zu verwirklichen.

Hilfreich für die individuelle Einklagbarkeit von Kinderrechten wäre die Verankerung der UN-KRK im Verfassungsrang - soweit es einen Regelungsbedarf gibt und eine Bedrohungssituation vorliegt. Dies nicht nur, damit Kinder ein Recht auf Etablierung von Kinderschutz haben, sondern auch, um Voraussetzungen für die bestmögliche Entwicklung kinderrechtlicher Grundlagen zu schaffen.

Weiters ist die Einführung einer Individualbeschwerde durch Ratifikation des dritten Zusatzprotokolls zur UN-KRK anzudenken und folglich auch umzusetzen. Kinder haben in Österreich momentan keine Möglichkeit, sich direkt an den UN-Kinderrechtsausschuss in Genf zu wenden. Diesem Missstand muss entgegengetreten werden, um nicht nachträglich, wie im Gedicht "Mignon" aus Goethes Roman "Wilhelm Meister" zu sagen: "Was hat man dir, du armes Kind, getan?"

Sie sind anderer Meinung?

Diskutieren Sie mit: Online unter www.wienerzeitung.at/recht oder unter recht@wienerzeitung.at