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Eine umstrittene Aktienhandelspraxis

Von Heinrich Nemeczek und Sebastian Sieder

Recht

In Bezug auf das "Payment for Order Flow" herrscht Uneinigkeit zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten.


Neobroker wie Scalable Capital oder Trade Republic bieten ihren Kunden einen verhältnismäßig einfachen digitalen Zugang zum Handel mit Aktien und anderen Finanzinstrumenten an. Bei einzelnen Aufsichtsbehörden in Europa sind die Werbeversprechen von Neobrokern vereinzelt kritisch aufgenommen worden, vor allem dann, wenn den (potenziellen) Anlegern suggeriert wurde, der Handel sei zu geringen Gebühren oder gar kostenlos möglich. Neobroker erhalten ihre Vergütung vor allem durch das "Payment for Order Flow" (PFOF), also Zahlungen von Handelsplätzen für die Weiterleitung der Kundenaufträge an diese.

Grund für die Bedenken ist vor allem ein - wie verschiedentlich argumentiert wird - unauflösbarer Interessenkonflikt aufgrund der Gewährung von Zuwendungen ("inducements") durch den jeweiligen Handelsplatz einerseits und der Verpflichtung des Neobrokers, Kundenaufträge bestmöglich auszuführen ("best execution"), andererseits. Um für den Kunden im Sinne einer "best execution" das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, muss der Neobroker - wie jede andere Wertpapierfirma - unter anderem auch den Preis der relevanten Finanzinstrumente und die mit der Auftragsausführung verbundenen Kosten berücksichtigen.

Aus Sicht der PFOF-Kritiker würden Neobroker Kundenaufträge allerdings primär nur an die Handelsplätze weiterleiten, von denen sie die höchsten Zuwendungen erhalten, selbst wenn dies die Geld-Brief-Spanne ("bid-ask spread") negativ beeinträchtigen und damit im Vergleich zu anderen Handelsplätzen zu einem schlechteren Kauf- beziehungswiese Verkaufspreis für den Kunden führen könnte. Vor diesem Hintergrund hatte insbesondere auch die EU-Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA am 13. Juli 2021 ein "Public Statement" veröffentlicht, in dem sie warnte, dass die PFOF-Praxis erhebliche Bedenken hinsichtlich des Anlegerschutzes aufwerfe und oftmals Gesetzesverletzungen vorlägen.

EU-Staaten gegen ein kategorisches Verbot

Die Diskussion um die Zulässigkeit und die Zukunft des PFOF hatte zuletzt im November 2021 neuen Aufwind bekommen, nachdem die EU-Kommission einen Vorschlag zur Ergänzung der geltenden EU-Finanzmarktverordnung (MiFIR) vorgelegt hatte, die ein generelles Verbot von PFOF vorsah. Ob im Einzelfall tatsächlich ein unauflösbarer Interessenkonflikt besteht oder nicht, war dem EU-Kommissionsvorschlag zufolge irrelevant. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hatte sich in ihrer Stellungnahme zum Gesetzesvorschlag der EU-Kommission tendenziell für ein Verbot ausgesprochen, indem sie darauf verwies, dass das "PFOF die Markteffizienz und die Transparenz der europäischen Kapitalmärkte beeinträchtigen kann".

Der Europäische Rat hat sich jedoch nunmehr gegen ein kategorisches PFOF-Verbot ausgesprochen. Der am 20. Dezember 2022 veröffentlichte Gesetzesentwurf sieht zwar im Ausgangspunkt vor, dass Wertpapierfirmen kein PFOF für die Ausführung von Kundenaufträgen erhalten sollen. Allerdings wird den einzelnen EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, das PFOF dennoch für die in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Kunden zuzulassen. Trotz der apodiktischen Aussagen der ESMA und der EZB war das von der EU-Kommission vorgeschlagene kategorische PFOF-Verbot nicht unumstritten. Einzelne EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, haben ein solches Verbot abgelehnt, während es andere EU-Mitgliedstaaten, darunter die Niederlande, begrüßten.

Begrenzte praktische Auswirkungen

Der Ratsvorschlag perpetuiert damit letztlich die uneinheitliche Sichtweise der EU-Mitgliedstaaten und ihrer nationalen Aufsichtsbehörden zum PFOF. Während zum Beispiel die niederländische Aufsichtsbehörde für die Finanzmärkte (AFM) in einer Studie vom 21. März 2022 zu dem Schluss kommt, dass das PFOF durchweg schlechtere Ausführungspreise für die betreffenden Privatkunden biete, kam die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in einer Studie vom 16. Mai 2022 zu einem differenzierten Ergebnis und stellte fest, dass die Ausführung über PFOF-gewährende Handelsplätze für Kundenaufträge mit kleineren Volumina überwiegend vorteilhaft sei.

Ähnlich uneinheitlich ist denn auch die geltende Rechtslage in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Während etwa das niederländische Aufsichtsrecht PFOF verbietet, besteht in Deutschland kein kategorisches PFOF-Verbot. Die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) hat bisher nicht klar Stellung bezogen, ließ aber medial vor mehr als einem Jahr wissen, dass die Auswirkungen der Geschäftspraxis auf den heimischen Markt untersucht würden. In einer Stellungnahme zur EU-Strategie für Kleinanleger hat die FMA im Sommer 2021 durchklingen lassen, keine Verschärfung des PFOF-Rechtsrahmens für notwendig zu erachten.

Das europäische Wertpapieraufsichtsrecht enthält gegenwärtig keine ausdrückliche Regelung zur Zulässigkeit des PFOF. Umgekehrt verbietet es das geltende europäische Wertpapieraufsichtsrecht EU-Mitgliedstaaten ebenso wenig, ein nationales PFOF-Verbot einzuführen, wie dies beispielsweise in den Niederlanden geschehen ist. Sofern ein EU-Mitgliedstaat, wie etwa Deutschland, kein PFOF-Verbot gesetzlich vorgesehen hat, bestimmt sich die Zulässigkeit von PFOF nach den allgemeinen Regelungen, insbesondere jenen, die für Interessenkonflikte zwischen der Pflicht zur bestmöglichen Ausführung von Kundenaufträgen und Zuwendungen gelten. Neobroker und andere Wertpapierfirmen, die in einem solchen EU-Mitgliedstaat ansässig sind, haben demnach geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Interessenkonflikte zu erkennen und zu vermeiden oder zu regeln beziehungsweise offenzulegen.

Ratsvorschlag als Feigenblatt des Dissenses

Der Ratsvorschlag würde dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis insoweit umkehren, als ein EU-Mitgliedstaat, der ein PFOF-Verbot für die in seinem Hoheitsgebiet zugelassenen Wertpapierfirmen gelten lassen will, künftig nichts mehr tun müsste, da das PFOF-Verbot unmittelbar gegenüber Wertpapierfirmen gelten würde. Vielmehr müssten EU-Mitgliedstaaten eine ausdrückliche Regelung schaffen, um das PFOF ausnahmsweise doch zu gestatten.

Eine solche Regelung könnten die EU-Mitgliedstaaten dann - wie der Ratsvorschlag ebenfalls ausdrücklich vorsieht - mit zusätzlichen speziellen Anforderungen an die bestmögliche Ausführung von Kundenaufträgen verbinden. Unabhängig von der Anordnung derartiger spezieller Anforderungen werden künftig auch weiterhin die allgemeinen Anforderungen, etwa zu Interessenkonflikten und Zuwendungen, gelten. Der Ratsvorschlag ermöglicht es insoweit nicht, dass einzelne EU-Mitgliedstaaten das PFOF für pauschal zulässig anerkennen können.

Im Ergebnis würde der Ratsvorschlag das geltende Aufsichtsrecht an das PFOF in nur unwesentlicher Weise ändern, sodass die Zulässigkeit des PFOF in der EU weiterhin fragmentiert bliebe. Der Ratsvorschlag bleibt insoweit nur ein Feigenblatt des zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehenden Dissenses, der weiterhin ungeklärt bleibt. Die fragmentierte Situation ist insoweit unbefriedigend, als sie kein "level playing field" für die in der EU ansässigen Wertpapierfirmen schafft. Dies wäre aber das klar formulierte Ziel der EU-Finanzmarktregulierung.

Immerhin würde der Ratsvorschlag aber klarstellen, dass sich die PFOF-Zulässigkeit für die betreffenden Kunden nach dem Recht desjenigen EU-Mitgliedstaats richtet, in dem diese ihren Sitz haben. Für eine ausdrückliche Regelung zum PFOF besteht gleichwohl auch kein Bedürfnis, weil die PFOF-Praxis bereits nach geltendem Recht ausreichend mit den zuständigen Aufsichtsbehörden zur Verfügung stehenden Maßnahmen adressiert werden kann, sofern tatsächlich im Einzelfall konkrete aufsichtsrechtliche Bedenken bestehen. Ein kategorisches Verbot hingegen wäre ein sensibler Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit und insoweit ein Schuss über das Ziel hinaus.

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