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Rekordstrafen und Klagswelle gegen Lkw-Kartell

Von Dieter Hauck

Recht

Gastbeitrag: Durch illegale Preisabsprachen geschädigte Personen oder Unternehmen können auf Schadenersatz klagen. Bei ungenügender Vorbereitung kann die ausreichende Beschreibung des Sachverhalts eine große Herausforderung sein.


Wien. Die Europäische Kommission hat am 19. Juli 2016 gegen die Lkw-Hersteller Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF mit 2,93 Milliarden Euro eine Rekordgeldbuße wegen illegaler Preisabsprachen verhängt. MAN, dem Kronzeugen der Kommission, wurde die Geldbuße von ungefähr 1,2 Milliarden Euro erlassen.

Das 1997 gegründete Kartell erstreckte sich über den gesamten EWR und hielt 14 Jahre, bis die Kommission 2011 "Dawn-Raids" durchführte. Derart unangekündigte "Besuche" der Kommission - oft begleitet von Polizeibeamten - sind für die betroffenen Unternehmen sehr unangenehm. Noch unangenehmer war das Ergebnis: Die am Kartell beteiligten Unternehmen sollen die Bruttolistenpreise ebenso koordiniert haben wie den Zeitplan für die Einführung von Emissionssenkungstechnologien und die Weitergabe der dafür anfallenden Kosten.

Vergleich reduzierteStrafe um 10 Prozent

Dauer, Umfang der Absprachen und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kartell-Teilnehmer führten nach den Richtlinien der Kommission zur Strafbemessung zu hohen Strafe. Dies obwohl alle Unternehmen von einer Reduktion der Strafe in Höhe von 10 Prozent profitierten, weil sie letztlich einem Vergleich zustimmten.

Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager unterstrich die Bedeutung der Entscheidung damit, dass über 30 Millionen Lkw auf Europas Straßen rund drei Viertel des Warenverkehrs abwickeln und daher für die Wirtschaft enorm wichtig seien.

Routinemäßig verwies die Kommission in ihrer Pressemitteilung darauf, dass alle geschädigten Personen und Unternehmen vor den Gerichten auf Schadenersatz klagen können. Dies unabhängig von den verhängten Geldbußen, die auch nicht mindernd angerechnet werden. Diesmal kann die Kommission auch auf die Richtlinie über Schadenersatzklagen wegen Kartellverstößen verweisen, die die Mitgliedstaaten bis 27. Dezember 2016 in nationales Recht umsetzen müssen und die es den Opfern einfacher machen soll, Schadenersatz durchzusetzen.

Auch eine Schadensvermutung und Regeln über eine Sonderstellung des Kronzeugen im Schadenersatzverfahren und über die Schadensabwälzung sind in der Richtlinie enthalten.

Praktisch wichtig sind auch die Regeln über den Zugang zu Beweismitteln in den Akten der Wettbewerbsbehörden. Die entsprechenden legistischen Vorarbeiten und juristischen Fachdiskussionen sind in Österreich im Gange, erste Gesetzesentwürfe wurden bereits publiziert.

Dies ist für Unternehmen, die größere Lkw-Flotten betreiben, von großem Interesse, insbesondere für Unternehmen aus den Branchen Einzel- und Großhandel, Baubranche und aus der Industrie. Anwälte und Prozessfinanzierer haben bereits Schritte für geschädigte Unternehmen angekündigt.

Eine Klage kann bei ausreichendem Volumen - zum Beispiel Anzahl der Lkw, allenfalls durch Abtretungen gebündelt - durchaus sinnvoll, chancenreich und möglicherweise sogar für das Management geboten sein. Wesentlich bei der Entscheidung, Planung und Vorbereitung von Schadenersatzklagen - nicht nur nach Kartellen - ist aber, wie der Schaden bemessen und der Kausalzusammenhang zum Kartell erwiesen werden kann.

Ungeachtet der Erleichterungen für kartellrechtliche "follow-on"-Klagen, ist dies auch hier die Aufgabe der Kläger. In der Vergangenheit wurden bereits mehrfach "romantische" Vorstellungen von Klägern, wieweit ihnen die Gerichte "helfen" können und wollen, enttäuscht.

Schon die Analyse, ob geklagt werden soll, und die Klagsvorbereitung sollten mit fachkundiger Beratung erfolgen.

Ausreichende Beschreibungdes Sachverhalts erforderlich

Die Erfahrungen aus den bisherigen (großen) Kartellschadenersatzverfahren in Österreich und international haben gezeigt, dass bei ungenügender Vorbereitung schon die ausreichende Beschreibung des schadensstiftenden Sachverhalts, also eine schlüssige Klagserzählung im Sinne der diesbezüglich strengen österreichischen Gesetzeslage und Judikatur, eine große Herausforderung sein kann.

Es sind schon Klagen an diesem Erfordernis (endgültig) gescheitert. Bloße Schätzungen ohne Verwertung tatsächlicher ("historischer") Daten, insbesondere von Preisen, werden meist nicht ausreichend sein. Und gerade diese historischen Preise und ihre Grundlagen und Entwicklungen sollten den Klägern bekannt oder zugänglich sein und müssen einer entsprechenden Analyse zugeführt werden. Die erklärte Hoffnung mancher Kläger, diesbezüglich weitreichende Aufklärung und ausreichende Beweismittel in den Akten der Kommission zu finden, könnte enttäuscht werden: Da es für eine rechtswidrige Kartellvereinbarung bereits ausreicht, wenn damit eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt wird, kann im Allgemeinen die detaillierte Prüfung unterbleiben, ob eine derartige Wettbewerbsbeschränkung auch tatsächlich bewirkt wurde. Entsprechend wird von den Wettbewerbsbehörden meist nicht untersucht, ob diese Wettbewerbsbeschränkung dann auch tatsächlich einen Schaden verursacht hat und wie hoch dieser war. Viele Entscheidungen belassen es hier bei groben Schätzungen und Vermutungen, die aber den für ein Zivilverfahren erforderlichen Detailgrad meist nicht erreichen. Dies deshalb, weil eben der Schadensnachweis keine Voraussetzung für die Verhängung einer Geldbuße ist.

Daher kommen dann im Zivilverfahren auf allen Seiten hochspezialisierte Gutachter zum Zuge, die aus Preis- und Kostendaten sowie sonstigen Marktinformationen in komplexen Vergleichsverfahren und mathematischen Modellen tragfähige Grundlagen für eine Schadensberechnung oder meist eher -schätzung finden sollen. Nach der Erfahrung des Autors ist dies ein langwieriger und schwieriger Prozess, aber zur Prozessvorbereitung wesentlich, wenn auch letztlich das Gericht auf guter Grundlage eine Schätzung vornehmen kann.

Abhängig von der aktuellen Rechtslage am Klagsort kann die Verjährungsfrist schon sechs Monate nach der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung enden. Wenn die betroffenen Unternehmen daher keine Rechtsmittel einlegen, kann - abhängig, wann der Lauf der Verjährung tatsächlich begonnen hat - die Verjährung im Lkw-Kartell-Fall bereits am 19. Jänner 2017 eintreten. Eile ist daher für potenzielle Anspruchsteller geboten!

Zum Autor

Dieter Hauck

ist Rechtsanwalt und Partner bei Preslmayr Rechtsanwälte und vorwiegend im Kartell-, Schadenersatz- und Prozessrecht tätig.