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Der Anwalt und die Mär vom Eislutscher

Von Anja Melzer

Recht

Unabhängigkeit und Verschwiegenheit sind die obersten Gebote der Zunft. Ein Naheverhältnis | zur Politik kann für Juristen schwierig werden.


Wien. Es gibt eine amerikanische Karikatur aus der Feder des großen Charles Barsotti, und die geht so: Zwei Anzugjuristen mit lichtem Haar sitzen am Tresen einer Bar, der eine raunt dem anderen zu: "Ich seh’ mich ja echt als sehr leidenschaftlichen Menschen, aber in erster Linie bin ich natürlich Rechtsanwalt."

Nun gibt es für den Anwaltsberuf besondere Rechtsvorschriften, und manche beziehen sich sogar auf das Privatleben. Denn auch außerhalb seiner Berufsausübung - so heißt es in der Standesordnung - muss ein Anwalt "Ehre und Ansehen seines Standes wahren". Was konkret aber schadet dem Image der Zunft? Wie privat darf ein Rechtsanwalt sein?

Wegen dieses dezenten Hinweises auf das Privatleben ranken sich bis heute Legenden um das Freizeitverhalten von Rechtsanwälten. Darunter Kuriositäten: Darf ein Anwalt ein Eis vor dem Gerichtsgebäude schlecken? Eine Umfrage der "Wiener Zeitung" unter jungen Advokaten ergibt: Viele sind sich tatsächlich unsicher. Der Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien, Michael Enzinger, klärt auf: "Der Eislutscher ist eines der am besten kolportierten Gerüchte und hält sich immer noch. Wir schmunzeln seit fünfzig Jahren darüber."

Für den Anwalt stehen zwei Werte ganz oben: Unabhängigkeit und Verschwiegenheit. Verletzt er seine Berufspflichten, schaltet sich die Anwaltskammer ein.

Anwaltskammer kann Berufszulassung entziehen

Prinzipiell muss ein Anwalt ein Verhalten an den Tag legen, das mit den allgemeinen Grundwerten und Gesetzen zusammenpasst. Vorsätzlich begangene Vergehen, etwa betrunken Autofahren, würden somit nicht nur zum persönlichen Problem, sondern zögen auch disziplinäre Maßnahmen durch die Kammer nach sich. Diese reichen von einfachen Verweisen oder Geldbußen bis zur Entziehung der Berufszulassung. In Wien kommen jährlich 100 bis 200 solcher Disziplinarverfahren zusammen.

Bis vor ein paar Jahren waren die Regeln noch deutlich strenger. So war zum Beispiel die Beteiligung an einem Bordellbetrieb höchst problematisch. Heute werden Nebenjobs, auch solche im Rotlicht-Milieu, liberaler betrachtet. Es gibt keine ausdrücklichen Einschränkungen mehr - solange nicht gegen Gesetze verstoßen wird. Ein Wiener Jurist, der ebenso dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer angehört, betont: "Die Standesbehörde ist weder Sittenpolizei, die das Privatleben der Kollegen reglementiert, noch Aufpasserin für politische Überzeugungen." Ein Naheverhältnis zur Politik kann trotzdem schwierig werden. So sind vom Staat besoldete Ämter nicht mit der Unabhängigkeit des Anwaltsberufs vereinbar. Das wäre der Fall bei einem Sektionschefposten. Auch ein Minister kann nicht parallel als Rechtsanwalt arbeiten, sein Beruf muss vorübergehend ruhen. Eine Staatsbeamten-Ausnahme gibt es doch: Anwälte können an Universitäten lehren. Die Wissenschaft als freie, nicht weisungsgebundene Instanz entspricht dem anwaltlichen Selbstverständnis.

Parteipolitische Überzeugungen öffentlich zu vertreten oder ein Abgeordnetenamt zu bekleiden, sei im Rahmen der freien Meinungsäußerung absolut zulässig, sagt Enzinger. Auch gegen Blogs und Twitteraccounts spräche nichts, sofern sie nicht für Beleidigungen oder Kreditschädigung missbraucht werden. Es zähle ja eigentlich zu den "vornehmsten Aufgaben eines Anwalts", öffentlich für Positionen einzutreten, die nicht unbedingt mehrheitsfähig sind, etwa für die Rechte Homosexueller. Wer sich dagegen wiederbetätigt oder den Holocaust leugnet, bekommt neben allen anderen Problemen auch welche mit der Standesbehörde.

Vor allem Strafverteidiger verbindet ein spezielles Öffentlichkeitsverhältnis. Es ist ihnen nicht nur erlaubt, selbst den Medienkontakt zu suchen - sie sind sogar explizit dazu angehalten. Alle legalen Wege sollen genutzt werden, um ein bestmögliches Ergebnis für den Mandanten zu erreichen. Das geht natürlich nur mit dessen Einverständnis, das den Verteidiger von seiner Verschwiegenheit entbindet. Der darf sich dabei aber nicht zu demonstrativ selbst in den Vordergrund rücken. Die Werberegel für Anwälte lautet nämlich: kein Selbstanpreisen, keine Marktschreierei.

Zumindest eine Diskussion bleibt den Anwälten erspart: der Dresscode im Gericht. In Deutschland landen immer wieder vorgebliche Respektlosigkeiten wie das Tragen einer bunten Krawatte oder einer kurzen Hose, noch schlimmer: das Weglassen der dort verpflichtenden Robe, vor der Kammer. Hierzulande gibt es keine Berufstracht. Präsident Enzinger hat trotzdem einen Rat für die Advokaten: "Bauchfrei sollte man sein Plädoyer nicht halten, sicherheitshalber."