Zum Hauptinhalt springen

Künstliche Intelligenz revolutioniert den Rechtsbereich

Von Petra Tempfer

Recht

Denkende Computerprogramme erobern Anwaltskanzleien und Justiz. Eine Gratwanderung zwischen Zeitersparnis und Fehlurteilen.


Wien. Es ist mehr als nur eine Suchmaschine. Das vom US-amerikanischen IT- und Beratungsunternehmen IBM entwickelte Computerprogramm Watson kann nicht nur Begriffe aus einer gewaltigen Datenmenge herausfiltern, sondern sie auch sortieren, analysieren - und mit dem so erlangten Wissen auf Fragen antworten. Dahinter steckt künstliche Intelligenz, die mit jedem Einsatz mehr Daten aufsaugen und dazulernen kann. Nach dem medizinischen Bereich kommt sie nun zunehmend in der Rechtsbranche zum Einsatz.

Die einen sehen darin ein wertvolles Hilfsmittel - die anderen warnen vor Fehlurteilen. Tatsache ist, dass man die Digitalisierung im Rechtsbereich nicht aufhalten kann. In den USA setzt bereits eine der größten Kanzleien, BakerHostetler, das IT-System Ross von IBM in der Insolvenzabteilung ein, das Antworten auf juristische Fragen liefert. In London ließ man versuchsweise künstliche Intelligenz in 584 Fällen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte urteilen -mit 79 Prozent Wahrscheinlichkeit waren es richtige Entscheidungen im Sinne des Richters. Und selbst in der österreichischen Justiz kommen laut Ministerium Tools in ausgewählten Großverfahren testweise zum Einsatz, die bei der Vorarbeit wie dem Herausfiltern relevanter Daten helfen sollen.

Diese Woche fand eine Future-Law-Diskussion zu dem Thema mit IBM, Manz Verlag und der Rechtsanwaltskooperation Northcote.Recht in Wien statt. Dabei stand die zentrale Aussage im Raum, dass Programme wie Watson die Menschen nicht ersetzen, sondern sie nur unterstützen sollen. Also - auf den Rechtsbereich bezogen -keine Urteile fällen sollen. Genauso sieht es das österreichische Justizministerium, wie es heißt.

Die Frage ist allerdings, ob nicht allein schon Watsons Vorarbeit und die Definition von relevanten Daten die Rechtsorgane und deren Entscheidungen beeinflussen könnten, weil diese darauf basieren. "Wir sind datenhörig", sagt dazu Georg Markus Kainz, Präsident des Datenschutzvereins Quintessenz. "Wenn jemand durch Daten vorverurteilt wird, dann ist es für ihn gelaufen."

"Aufwertung der Konzipienten"

Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, sieht das weniger problematisch. Auch all jene Menschen - meist Konzipienten -, die aktuell das Datenmaterial im Vorfeld durchforsten, beeinflussten die weitere Vorgehensweise "in einem gewissen Maß", sagt er.

Dass Konzipienten durch die Arbeitsersparnis durch künstlich intelligente Systeme einmal überflüssig sein werden, glaubt Wolff ebenfalls nicht. "Das kann man sehr gut mit dem Berufsbild der Sekretärin vergleichen, das ebenfalls revolutioniert wurde, etwa durch den Einsatz von Spracherkennungsprogrammen." Die Schreibkräfte von früher hätten dadurch eine Entlastung und Aufwertung erfahren. Ähnlich werde es bei den Konzipienten sein.

Für den Klienten bedeute das vor allem eines: weniger Kosten. Denn intelligente Computerprogramme, deren Lizenzgebühren mit jenen für Software- und Hardwarehersteller vergleichbar sind, können Arbeiten in einem Bruchteil der Zeit erledigen. In den USA, wo sich Schätzungen zufolge 80 Prozent keinen Anwalt leisten können, könnte das ein großes Problem des Justizsystems lösen. Wolff könne sich gut vorstellen, sagt er, dass Computer einmal sogar einfache Fälle von Scheidungen oder Verkehrsunfällen mit einer geringen Schadenssumme übernehmen. "Warum soll man dafür die ganze Maschinerie der Gerichte anwerfen und mehrere 1000 Euro für Sachverständige und Anwälte zahlen?"

Das Justizministerium plane allerdings nicht in diese Richtung, heißt es. Nächstes Ziel sei, mit Innen- und Finanzministerium einen gemeinsamen Weg einzuschlagen. Für Gerichts- und Ermittlungsverfahren zum Beispiel seien oft die selben Daten wichtig.

Datenschutz-Probleme seien kein Thema. "Wir haben die Datenhoheit", heißt es aus dem Ministerium. "Die Daten liegen bei uns und nicht in irgendeiner Cloud im Ausland." Selbst Datenschützer Kainz hat hier keine Bedenken - oder zumindest nicht mehr als sonst. "Das Risiko, gehackt zu werden, hat auch jede herkömmliche Rechtsdatenbank."