Wien. Am 5. März 1990 wurde ein Anwalt disziplinär bestraft, weil er vom Schädiger 100.000 Schilling (rund 7000 Euro) für seelische Schmerzen der Eltern über den Tod ihres Sohnes verlangt hatte. Es handle sich um einen "immateriellen und überdies mittelbaren Schaden, der gesetzlich nicht durchsetzbar ist", hieß es damals. Vier Jahre später, am 16. Juni 1994, wurde einer Tochter, deren Mutter bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde, erstmals Trauerschmerzengeld in der Höhe von 2180,19 Euro zugesprochen. Die Mutter lag lange auf der Intensivstation, die Mutter-Kind-Beziehung war gestört.

Seitdem gab es mehr als 150 Entscheidungen zu Trauerschmerzengeld, der höchste Zuspruch betrug 65.000 Euro: Der Kläger hatte bei einem Verkehrsunfall alle vier Angehörigen - Ehefrau, Sohn und die beiden Töchter - verloren. Der Innsbrucker Rechtsanwalt Ivo Greiter, dessen Buch "Schmerzengeld für Trauer" soeben erschienen ist, fordert im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", dass die Voraussetzungen für die Zahlung von Trauerschmerzengeld gelockert werden. Es soll auch dann für den Verlust eines Angehörigen gezahlt werden, wenn den Unfallgegner nur leichte Fahrlässigkeit trifft.

"Wiener Zeitung": Herr Dr. Greiter, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass in 52 Ihrer 162 erwähnten Entscheidungen das zugesprochen wurde, was begehrt wurde. Hätten der Kläger und sein Anwalt mutiger sein und mehr einklagen sollen?
Ivo Greiter: Das Gericht kann in Österreich nie mehr zusprechen, als begehrt wurde. Man kann aber, da die Höhe des Schmerzengeldes vom richterlichen Ermessen abhängt, nie genau wissen, was der Richter für angemessen hält. Deshalb kann man bis zum Doppelten mehr einklagen, ohne dass man gegenüber der Gegenseite kostenersatzpflichtig wird. 52 Entscheidungen von 162 sind aber doch sehr viele, und der Geschädigte hätte möglicherweise mehr erhalten, wenn mehr eingeklagt worden wäre.
Nach der derzeitigen Judikatur bewegt man sich bei den Voraussetzungen für den Zuspruch von Trauerschmerzengeld in einem engen Korsett.
Bei Todesfällen und Fällen besonders schwerer Verletzung haben Angehörige wie die Ehepartner, Eltern, Kinder, Geschwister, Lebensgefährten, Cousins, Großeltern, Enkel und weitere enge Angehörige nur dann Anspruch auf Trauerschmerzengeld, wenn der Schädiger mit Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit gehandelt hat oder sich der Angehörige in ärztliche Behandlung begeben muss. Diese Voraussetzungen sollten fallen. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Fall, als ein Autofahrer in einer unübersichtlichen Kurve überholt hat und frontal in ein anderes Auto hineingefahren ist. Die Versicherung hat behauptet, das sei nicht grob fahrlässig gewesen. Trauerschmerzengeld gäbe es daher keines. Es gab dann doch eines, aber nur, weil die Versicherung vom Anwalt überzeugt werden konnte, dass dieses Überholen eben doch grob fahrlässig war.
Wie ist die Situation im Ausland?
In Amerika ist der Zuspruch von Trauerschmerzengeld gang und gäbe, auch in Italien gibt es das seit Jahrzehnten. In Deutschland hat man sich zu einer gesetzlichen oder - wie bei uns - durch die Rechtsprechung entwickelten Zuerkennung eines Trauerschmerzengeldes noch nicht entschließen können. Selbst der Senatspräsident des Obersten Gerichtshofes Karl-Heinz Danzl bezeichnet diese Situation in Deutschland in seinem Vorwort zu meinem Buch als unbefriedigend.
Inwieweit besteht in Österreich beim Schmerzengeld selbst Handlungsbedarf?
Das vom Obersten Gerichtshof zugesprochene und veröffentlichte höchste Schmerzengeld beträgt derzeit 220.000 Euro. Der 59 Jahre alte Kläger führte auf der Tauernautobahn Markierungsarbeiten durch und wurde von einem Kleintransporter, der vom Beklagten gelenkt wurde, erfasst, niedergestoßen und lebensbedrohlich verletzt. Als Dauerfolge erlitt er ein komplettes Querschnittsyndrom ab dem Bauchnabel. Ich bin überzeugt, dass für lebenslanges Leiden das Schmerzengeld auf 350.000 bis 700.000 Euro steigen sollte.
Gebührt Schmerzengeld, wenn man durch die Schuld eines anderen eine kürzere Lebenserwartung hat?
Der Oberste Gerichtshof hat früher mehrmals festgehalten, dass für die Verkürzung des Lebens kein Schmerzengeld gebührt. Dagegen habe ich seit Jahren gekämpft. In seiner letzten Entscheidung vom Juni 2016 hat der OGH nun doch erklärt, dass beim Zuspruch von Schmerzengeld "die Leidenszustände, die aus dem Wissen um die verringerte Lebenserwartung resultieren", zu berücksichtigen sind. In dieser Entscheidung wurde der 35-jährige Kläger in ein Krankenhaus eingeliefert, wo das Koronar-Syndrom, also die Verengung der Herzkranzgefäße, nicht erkannt wurde. Drei Tage später kam es dadurch zu einem Herzinfarkt mit irreparablen Schäden. Es war klar, der Kläger wird voraussichtlich nur noch zehn Jahre zu leben haben. Für das verkürzte Leben und die körperlichen Schmerzen sprach ihm der OGH 90.000 Euro zu.
Bei welchen beispielhaften Fällen gab es in der Vergangenheit keinen Zuspruch?
Zum Beispiel, wenn keine grobe Fahrlässigkeit des Gegners vorlag oder wenn die Trauer normal ohne ärztliche Behandlung verarbeitet wurde. Bei Gesundheitsstörung durch einen Ehebruch oder für den Trennungsschmerz des Vaters, weil er seine Kinder nicht sehen durfte.