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"So etwas ist unerträglich"

Von Katharina Schmidt

Recht
© Stanislav Jenis

Vom Staatsanwalt zum Anwalt: Volkert Sackmann über Fehler der Verteidigung, Kronzeugenregelung und das Weisungsrecht.


"Wiener Zeitung":Sie kommen aus der Anwaltei, dann waren Sie zehn Jahre Staatsanwalt, zuletzt als Leiter der Wirtschaftsgruppe in Wien. Was hat Sie zu dem Wechsel bewogen?Volkert Sackmann: Es waren mehrere Faktoren, aber vor allem war es ein Bauchgefühl. Ich habe mir gedacht, es ist Zeit für eine Veränderung. Dann habe ich es gemacht.

Geht Ihnen an der Tätigkeit als Staatsanwalt etwas ab?

Die Infrastruktur hier ist natürlich viel besser als bei der Justiz. Als Staatsanwalt hat man auch viele manipulative Tätigkeiten zu verrichten und kann sich nicht komplett auf die juristischen Probleme eines Aktes fokussieren. Ich bin schon immer gerne im Verhandlungssaal gestanden, zumal man bei der Staatsanwaltschaft Wien zumindest einmal in der Woche zum Verhandeln eingeteilt war, das ist jetzt schon weniger. Dafür kann ich mich juristisch noch mehr in die Materien vertiefen.

Welche Erfahrungen können Sie für Ihre Mandanten einbringen?

Hervorzuheben ist, dass ich die Abläufe in der Justiz kenne, das heißt, ich kann zwischen den Zeilen lesen und weiß, was eigentlich hinter scheinbar unwichtigen Handlungen steht. Dieses strafrechtliche Know-how kann ich nun mit der gesellschaftsrechtlichen und kapitalmarktrechtlichen Kompetenz der Kanzlei kombinieren. Dann ist da sicher auch die Verhandlungserfahrung in komplexen Wirtschaftscausen, wo jedes Detail entscheidend sein kann und man die Strafprozessordnung im kleinen Finger haben muss. Schlussendlich habe ich gesehen, wo in der Verteidigung Fehler passieren und wie man diese vermeiden kann.

Können Sie - ganz abstrakte - Beispiele von Fehlern der Verteidigung nennen?

Manchmal haben die Beschuldigten Dinge gesagt, die sie unter gar keinen Umständen sagen hätten dürfen. Vielleicht hat sich der eine oder andere zu sicher gefühlt, wollte vielleicht auch überzeugen - aber genau da war dann der Knackpunkt. Dass gerade etwas schief gelaufen ist, merkt man daran, dass der Staatsanwalt sagt: "Das hätte ich jetzt gerne wörtlich im Protokoll." Als Anwalt muss man den Mandanten auf die Vernehmungssituation vorbereiten und gegebenenfalls die Notbremse ziehen und eingreifen.

Sie waren in zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Verfahren der letzten Jahre als Ankläger tätig - vom Blaulichtfunk über Mensdorff-Pouilly und Immofinanz bis Telekom: Ist die Sensibilität der Öffentlichkeit und der potenziellen Straftäter für Wirtschaftskriminalität erhöht?

Ich denke schon, dass die Bevölkerung extrem sensibilisiert wurde, obwohl wir im Transparency-Antikorruptionsindex wieder um einen Platz gefallen sind. Aber es wird in privaten wie öffentlichen Unternehmen verstärkt auf Compliance geachtet. Die spektakulären, medienträchtigen Fälle führen dazu, dass die Manager vorsichtiger werden und sich lieber noch einmal absichern.

Sie haben auch den ersten Kronzeugen Gernot Schieszler befragt: Wie sinnvoll ist die Kronzeugenregelung? Werden die Nachbesserungen etwas verändern?

Grundsätzlich halte ich die neue Formulierung der Kronzeugenregelung für sehr gut. Aber sie hat einen Pferdefuß: Das Justizministerium will sicherstellen, dass die Regelung einheitlich angewendet wird und der Kronzeugenstatus nicht willkürlich vergeben wird. Das führt aber dazu, dass die Entscheidung letztlich nicht beim Staatsanwalt fällt, sondern im Ministerium. Ich bezweifle daher, dass es zu der intendierten Rechtssicherheit und Beschleunigung kommen wird, weil diese Berichte eine längere Bearbeitungsdauer haben. Schieszler hat man erst nach drei Jahren den Kronzeugenstatus zuerkannt, so etwas ist unerträglich, das kann man niemandem zumuten.

Würden Sie einem Mandanten dazu raten, die Kronzeugenregelung in Anspruch zu nehmen?

Das ist sehr einzelfallbezogen. Mit gutem Gewissen traue ich mich jedoch nicht, das zu empfehlen. Es ist nämlich auch zu berücksichtigen, dass das Geständnis eines Kronzeugen oft ein Fehlverhalten dokumentiert, das Schadenersatzansprüche nach sich ziehen kann. Im Ergebnis muss daher eine Gesamtbetrachtung sowohl aus dem Blickwinkel des Strafrechts aber auch des Zivilrechts stattfinden.

Apropos Berichtspflicht: Transparency International hat erneut die Weisungsfreiheit der Staatsanwaltschaft als Mittel zur Korruptionsbekämpfung gefordert.

Das wäre auf jeden Fall sinnvoll. Es gibt auch gegen Urteile von Erstrichtern Vorwürfe - und auch dort kann das Ministerium nicht eingreifen. Ich sehe kein Rechtsschutzdefizit: Die Strafprozessordnung ermöglicht umfassenden Schutz vor Missbrauch. Gerade bei den öffentlichkeitswirksamen Korruptionsfällen bietet die Weisungskette jedoch ein Fenster für Verdächtigungen in Richtung Kabinettsjustiz. Insofern wäre die Kontrolle bloß durch das Gericht sogar klug und ein Schutz für den Justizminister.

Was bringt der Weisungsrat im Justizministerium?

Der Weisungsrat ist meines Erachtens nicht notwendig. Ich lasse ihn mir noch unter dem derzeitigen Justizminister einreden, dass man den Anschein beseitigen will, dass er in ein Verfahren eingreifen würde, in dem er vorher als Verteidiger tätig war. Aber ansonsten sehe ich keine Veranlassung für die Beibehaltung des Weisungsrates.

In der Öffentlichkeit gibt es immer wieder massive Kritik an den Staatsanwaltschaften, unter anderem wegen der überlangen Verfahrensdauer in komplexen Verfahren. Sie kennen die andere Seite. Was halten Sie dem entgegen?

In Österreich ist es Gottseidank so, dass man eine gerichtliche Überprüfung beantragen kann, wenn Rechte verletzt werden. Dass das zu einer längeren Verfahrensdauer führt, liegt auf der Hand. Allerdings weisen maximal zwei Prozent der Ermittlungsverfahren eine überlange Dauer auf. Das sind die Verfahren, die in jeder Hinsicht exorbitant sind - von der Anzahl der Beschuldigten, den Vorwürfen, internationalen Verbindungen, Kontenöffnungen, Hausdurchsuchungen und Sicherstellungen im Ausland. Alleine ein Rechtshilfeersuchen dauert zumindest vier Monate. Da gewinnt man als Außenstehender den Eindruck, dass nichts weitergeht, aber oft sind Ermittlungen im Ausland ja Voraussetzung dafür, dass man überhaupt weiterermitteln kann.

Ein weiteres Thema in Strafverfahren ist der Streit um Gutachter. Wie sinnvoll ist der Umgang mit Sachverständigen, gäbe es da aus Ihrer Sicht Verbesserungspotenzial?

Es gab sicher eine Inflation bei den Sachverständigenbestellungen, dadurch hat die Verteidigerseite den Eindruck gewonnen, dass eine gewisse Abhängigkeit zwischen Sachverständigen und seiner Tätigkeit für die Staatsanwaltschaft besteht. Ein ehemaliger Kollege und ich hatten vorgeschlagen, eine Liste mit Sachverständigen für die jeweiligen Bereiche zu erstellen, die von einem Zufallsgenerator ausgewählt und vom Richter bestellt werden. Aber es gab dagegen auch Widerstand aus den eigenen Reihen.

Es gibt ja auch bei manchen Sachverständigen ein Qualitätsproblem.

Es ist ein Problem, wenn man in der Hauptverhandlung daraufkommt, dass das Gutachten nicht den Qualitätskriterien, die man sich im Strafprozess erwartet, entspricht. Es wäre besser, wenn es eine Möglichkeit gäbe, vorher zu überprüfen, ob der Gutachter verstanden hat, um was es geht. Aber ich habe auch schon Meldung an den Präsidenten des Oberlandesgerichts, der die Sachverständigen-Liste führt, erstattet, wenn ein Gutachter nicht zuverlässig war.

Inwiefern werden Staatsanwälte unter Druck gesetzt?

Ich habe immer die These vertreten, "was es wiegt, das hat es", deswegen habe ich mich nie unter Druck gesetzt. Die Oberbehörden verlassen sich auch auf die Staatsanwälte: Selbst wenn man ein Rechtsmittel angemeldet hat und es stellt sich heraus, dass das schriftliche Urteil anfechtungsfest ist, dann zieht man das Rechtsmittel eben wieder zurück. Auch bei einer Einstellung legt man dar, dass man mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit die Schuld nicht nachweisen kann. Da habe ich keinen Druck verspürt.

Und politisch?

Die Politik ist überall.

Sie haben es angesprochen: Das Bewusstsein für Compliance ist allgemein gestiegen. Wie gehen die Unternehmen mit dem Thema um?

Die Mandanten sind vollkommen überzeugt davon, dass das der richtige Weg ist, und setzen immer stärker auf präventive Schulungen. Es ist auch logisch, als CEO eines Unternehmens erspare ich mir damit unglaubliche Scherereien. Eine Straftat eines Mitarbeiters kann das Unternehmen international isolieren. Dazu kommt noch der Vorwurf des Organisationsverschuldens. Da bin ich ganz schnell in einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz. Bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gibt es eine Liste, wo aufscheint, gegen welchen Verband ein Ermittlungsverfahren geführt wird und welcher verurteilt wurde. Gerade im internationalen Geschäftsverkehr ist ein "Leumundszeugnis" des Unternehmens Voraussetzung. Stehe ich auf dieser Liste, bin ich isoliert.

Zur Person

Volkert Sackmann

wechselte nach zehn Jahren bei der Staatsanwaltschaft Wien, davon fünf als Co-Leiter der Wirtschaftsgruppe, Anfang 2017 zu Brandl & Talos. Er ist spezialisiert auf Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Compliance.