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Fast gleich ist immer noch ungleich

Von Marion Guerrero

Recht

Gastkommentar: Feminismus nervt. Feminismus-Bashing noch mehr.


"Schon wieder", seufzt jemand in der dritten Reihe. "Schon wieder geht’s um die Frauen." Ob auf Seminaren oder im Wirtshaus: Sobald es um Themen wie die Lohnschere oder Gleichberechtigung geht, gibt’s immer einen, der sich berufen fühlt, mehr oder weniger diplomatisch auszudrücken, was Herr Österreicher denkt - dass die Weiber endlich a Ruh geben sollen, was wollen sie denn noch, denen geht’s doch mittlerweile eh schon besser als den Männern, von wegen Quote, und nicht mal Witze darf man mehr machen.

Wenn eine anwesende Frau die nötige Geduld aufbringt, dann setzt sie dem Nörgler vielleicht auseinander, warum diese Themen leider immer noch Themen sind. Weil die Lohnschere in Österreich wieder aufgeht. Weil jede fünfte Frau von Gewalt betroffen ist. Weil Kindererziehung immer noch hauptsächlich Frauensache ist. Sie wird das geduldig erklären, darauf bedacht, nur ja nicht belehrend zu klingen, um der Sache willen. Die Reaktion ist oft ein genervtes "Ja, eh..." - das hat das "Geh bitte!" der 90er Jahre und das "Geht’s noch?!" der 60er abgelöst. Immerhin, ein Fortschritt.

Aber die Frauenthemen, die gibt es gar nicht. Kindererziehung und Beruf? Eine menschliche Erfahrung, kein exklusiv weibliches Erlebnis. Väter gibt es ja schließlich auch. Häusliche Gewalt? Wenn jemand geschlagen wird, haut auch irgendwer hin. Das sind statistisch häufig Männer. Die Lohnschere? Wenn die Hälfte der Bevölkerung im Schnitt 20 Prozent weniger verdient, verdient die andere Hälfte 20 Prozent mehr, rein mathematisch. Es geht also bei allen Themen nicht um Frauen, sondern um uns alle.

Stereotype sind hartnäckig

Es geht darum, wie unsere Gesellschaft strukturiert ist. Wie Ressourcen aufgeteilt sind. Wie Aufgaben zugewiesen werden. Diejenigen, die lauthals das Ende des Feminismus wegen erreichter Gleichberechtigung ausrufen, widerlegen sich meist schon durch ihren Tonfall selbst. "Fast" gleichberechtigt wird dann rhetorisch gleichgesetzt mit "passt eh schon alles". Aber fast gleich ist immer noch ungleich. Es wäre beispielsweise ungewöhnlich, einen Schwiegerpapa anerkennend zum jungen Karenz-Vater sagen zu hören: "Toll, wie dir deine Frau mit den Kindern hilft. Du Glückspilz."

Stereotype sind hartnäckig, und sie haben eine Wirkung. Auch wenn unsere Rechtsordnung keinen Unterschied mehr zwischen Männern und Frauen macht: Unsere Gesellschaft ist von der Wiege bis ins Altersheim nach Geschlechtern unterteilt. Schon Kinder lernen, dass blau und rosa keine neutralen Farben sind. Und wir merken schon sehr früh, zu welcher Gruppe wir gehören. Buben sind wild, Mädchen sind sozial, Frauen können gut zuhören und Männer sind Schweine. Falls sich eine Person nicht in diesen Zuschreibungen wiederfindet - muss sie gegen (unbewusste) Erwartungshaltungen ankämpfen. Eine Frau, die sich für den Beruf einer Mechanikerin entscheidet, wird diese Wahl vor anderen (und sich selbst) öfter begründen müssen als eine Frau, die sich für die Dienstleistungsbranche begeistert. Es ist einfacher, Erwartungen zu entsprechen, als sie zu brechen.

Diese Klischees schaden nicht nur Frauen, sondern allen Menschen. Eine Frau im gebärfähigen Alter, die sich um einen Job bewirbt, wird häufig mit der Erwartungshaltung des Arbeitgebers konfrontiert, sie würde ja ohnehin in absehbarer Zeit ein Kind bekommen und damit ausfallen. Ein Mann, der ein Jahr in Karenz gehen möchte, hat es oft genau so schwer; ihm wird nicht selten unterstellt, dass er seine Arbeit nicht ernst genug nähme. Da überrascht es nicht, dass auch ein modernes Paar den Weg des geringsten Widerstands wählt: Er kümmert sich ums Geld (und geht vielleicht zwei Monate in Karenz, das lässt sich gerade noch vertreten), und sie nimmt mindestens ein Jahr Elternurlaub. Danach arbeitet sie Teilzeit - freiwillig natürlich, weil sie auch für ihre Kinder da sein möchte. Für Väter, die vielleicht auch gern Zeit mit ihren Kindern verbringen würden, stellt sich diese Frage oft gar nicht.

Kindererziehung wird geteilt

Und hier setzt der Feminismus mit seinen unangenehmen Theorien an. Kein Wunder, dass das Unbehagen hervorruft. Immerhin geht es um die Vision eines Lebens, das wirkliche (und nicht nur ungefähre) Wahlfreiheit verspricht. Bedeutet auch: Keine geschlechterspezifischen Erwartungen, an denen man sich festhalten kann. Im Beruf zählt wirklich nur mehr die Qualifikation - und nicht die Tatsache, dass der Boss sein Mini-Me im jungen Kollegen wiedererkennt und ihm deshalb die spannendsten Projekte zuschanzt, während die junge Kollegin Kaffee holen geht. Wenn ein Arbeitgeber einen jungen Mann einstellt, muss er damit rechnen, dass dieser Mitarbeiter ihm für eine Zeit abhandenkommt, sobald er Vater wird. Und jedes Paar teilt sich ganz ohne äußeren Erwartungsdruck Kindererziehung und Lohnarbeit auf. Und bis wir dort angekommen sind, bitte - sparen wir uns die dummen Bemerkungen aus der dritten Reihe.

Gastkommentar

Marion

Guerrero

hat Legal Gender Studies in Wien, New York, Florenz und Berkeley studiert. Sie lehrt regelmäßig im Bereich Rechtswissenschaften & Gender Studies und ist im Büro der Frauenministerin als Fachreferentin für Frauenagenden tätig.