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Gesundheitssektor unter der Lupe

Von Maria Dreher und Thomas Lübbig

Recht

Die Bundeswettbewerbsbehörde überprüft heuer die Gesundheitsbranche - mit möglicherweise weitreichenden Folgen.


Wien. Nach Untersuchungen im Lebensmittelhandel oder Mobilfunkmarkt ist nun der Gesundheitssektor an der Reihe - die Wettbewerbsbehörde führt eine Branchenuntersuchung durch.

Die Ansage der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) zum Jahresende war deutlich: Für BWB-Generaldirektor Theodor Thanner sei nicht ersichtlich, warum ein vom Originalhersteller produziertes Schmerzmittel nur in ganz bestimmten Geschäften erhältlich sein soll. Auch die teils großen Preisunterschiede zwischen stationärem Vertrieb über Apotheken und dem Online-Medikamentenhandel seien aus Behördensicht auffällig.

Das Apothekenmonopol, mögliche Preisabsprachen und weitere Themen rund um den Wettbewerb im österreichischen Gesundheitssektor möchte die BWB im Jahr 2017 nun zum Gegenstand einer sogenannten Branchenuntersuchung machen. Dies bedeutet, dass die BWB losgelöst von einem konkreten Einzelfall einen Wirtschaftssektor umfassend untersucht, wenn, so der Gesetzeswortlaut, "die Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb in dem betreffenden Wirtschaftszweig eingeschränkt oder verfälscht ist". Wie sich aus weiteren Statements der BWB aus den letzten Monaten ergibt, soll die Untersuchung nicht nur den Vertrieb von Arzneimittelprodukten umfassen, sondern möchte die Behörde den österreichischen Gesundheitssektor insgesamt unter die Lupe nehmen. Dies wird voraussichtlich etwa auch das Leistungsspektrum von Krankenanstalten sowie die Bereiche Ambulanzdienste und Rettungs-/Krankentransport beinhalten - hier haben jüngst zwei Unternehmenszusammenschlüsse die Aufmerksamkeit der Wettbewerbshüter auf sich gezogen (Erwerb der Goldenes Kreuz Privatklinik durch eine Tochtergesellschaft der Uniqa und Erwerb Grünes Kreuz durch das Rote Kreuz Wien). Spannend ist vor allem die Frage, wie viel Wettbewerb die in Österreich vorherrschende Regulierungsdichte überhaupt zulässt und inwiefern das bestehende System aus wettbewerbsrechtlicher Sicht reformbedürftig erscheint.

Änderung des Rechtsrahmens?

So kam das Wirtschaftsforschungsinstitut ECO Austria, gegründet von der österreichischen Industriellenvereinigung, in einer "Policy Note" aus 2016 zu dem Schluss, dass Wettbewerb unter den Krankenkassen um Versicherte und zwischen Leistungsanbietern um Verträge mit den Krankenkassen substanzielle effizienzsteigernde Effekte auslösen könnte. Branchenuntersuchungen geben der BWB Anlass, der Politik Vorschläge für die Änderung des Rechtsrahmens zu machen.

Mit ihrer Initiative steht die österreichische BWB übrigens nicht alleine da. So haben europaweit auch schon einige andere Wettbewerbsbehörden Untersuchungen des Healthcare-Sektors angestoßen. Die EU-Kommission unterzog 2008/09 die Arzneimittelindustrie einer "Sector Inquiry", die sich vor allem der möglichen Behinderung von Innovationswettbewerb und der Streitbeilegungspraxis zwischen Originatoren und Generikaanbietern widmete. Die französische Behörde beschäftigte sich 2013 mit dem Wettbewerbs- und Einsparungspotenzial, das von generischen Arzneimittel ausgeht, sowie mit Fragen des Parallelhandels und der Rolle von Großhandel und Apotheken als Gegengewicht zur Position der Hersteller. Auch in konkreten Einzelfällen befassten sich die Wettbewerbsbehörden in Großbritannien und Italien jüngst mit als missbräuchlich beanstandeten Praktiken vor allem der Arzneimittelindustrie, was empfindliche Geldbußen zur Folge hatte.

Neben allgemeinen wettbewerbspolitischen Impulsen können Branchenuntersuchungen auch den Anstoß zu Untersuchungen einzelner Unternehmen geben. So erhebt die BWB im Zuge von Branchenuntersuchungen umfassende Daten unter anderem bei den Marktakteuren - dies geschieht oft über Auskunftsersuchen an die betroffenen Unternehmen, darunter Hersteller wie auch Händler oder sonstige Leistungsanbieter und deren Kunden.

Sollten im Zuge der Marktbefragung bestehende Verhaltensweisen oder Geschäftspraktiken als kartellrechtlich auffällig eingestuft werden, so sind Ermittlungen der BWB im Einzelfall möglich, was die Abfrage weitergehender Informationen bis hin zur Durchführung von Hausdurchsuchungen bei Unternehmen umfassen kann. Vor diesem Hintergrund sollten Branchenuntersuchungen und die damit verbundene Datenaufbereitung nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Folgen für die Unternehmen

Ratsam ist insbesondere, parallel zu der Informationssammlung der Behörde einen unternehmensinternen "fact finding"-Prozess anzustoßen. Dadurch wird nicht nur die prompte Beantwortung von Fragebögen der BWB erleichtert, sondern die betroffenen Unternehmen sind frühzeitig in der Lage, eine eigene rechtliche Bewertung vorzunehmen und gegebenenfalls in den Dialog mit der Behörde zu treten. Sollten tatsächlich relevante Praktiken zu Tage treten, können Unternehmen durch Kronzeugenanträge ein mögliches Geldbußenrisiko gänzlich abwenden oder - je nachdem, ob andere schneller waren - zumindest einen Strafnachlass sichern, falls sich mögliche Verdachtsmomente erhärten.

Die Ergebnisse der Untersuchung werden mit Spannung erwartet. Ähnliche Initiativen der BWB haben hohe Wellen geschlagen, so etwa die Branchenuntersuchung der Baustoffindustrie oder des Lebensmittelhandels (mit Rekordstrafen in Folgeverfahren).

Thomas Lübbig leitet als Partner bei Freshfields die Praxisgruppe Kartellrecht in Wien und Berlin.
Maria Dreher ist Rechtsanwältin und als Principal Associate in der Praxisgruppe Kartellrecht bei Freshfields in Wien tätig.