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Peinlichkeiten ohne Ende

Von Peter Hilpold

Gastkommentare

Nichts drückt die aktuelle Krise der Union so gut aus wie der Streit um EU-Recht und die deutsche Pkw-Maut.


Nachdem am 31. März 2017 die Pkw-Maut ("Infrastrukturabgabe") definitiv den deutschen Bundestag passiert hat, ebbt die Kontroverse um diese Abgabe nicht ab, sondern sie gewinnt ständig an zusätzlicher Dimension und Dynamik. Diese Auseinandersetzung ist nicht zuletzt Spiegelbild der besorgniserregenden Verfassung, in der sich der europäische Integrationsprozess gegenwärtig befindet.

Um was geht es hier: Die "große Freiheit", auf deutschen Autobahnen gebührenfrei fahren zu dürfen - angesichts des hervorragenden Ausbaus und des vergleichsweise guten Zustandes des deutschen Autobahnnetzes tatsächlich eine internationale Besonderheit - soll ein Ende haben. Auch in Deutschland wird die Erhaltung der Autobahnen immer teurer, weitere kostspielige Ausbauprojekte liegen vor und auch unter umweltpolitischen Gesichtspunkten ist gut argumentierbar, dass sich die Nutzer der Straßen nutzungsabhängig an den Kosten für Ausbau und Erhaltung dieser Infrastruktur beteiligen sollten.

So weit, so gut. EU-rechtlich problematisch ist aber der Umstand, dass dafür allein die Ausländer aufkommen sollen, da die deutschen Autofahrer parallel zur Einführung der Pkw-Maut mindestens in ebenso hohem Maße von der Kfz-Steuer befreit werden sollen. Dies ist ein seit längerem insbesondere von der deutschen CSU und dem jetzigen Verkehrsminister Alexander Dobrindt verfolgtes politisches Herzensanliegen, das sich politisch wunderbar verkaufen lässt: Man nehme etwas Lokalpatriotismus verbunden mit Bierzeltverärgerung über den kleinen Nachbarn, der deutsche Autofahrer auf seinen kurzen Autobahnstrecken, die auf dem Weg in den sonnigen Süden leider unvermeidbar sind, unverschämt abzockt. Man füge etwas Fürsorgeproklamation für die eigenen Landsleute hinzu und garniere das Ganze mit der gegenwärtig so beliebten Bekundung, für seine Landsleute notfalls auch gegen die übermächtige EU aufzutreten - und schon ist ein Paket geschnürt, das Zustimmung am Wahltag garantiert.

Unionstreue war gestern

Unionstreue, die Loyalität unter den EU-Mitgliedstaaten (eigentlich in Art. 4 Abs. 3 EUV festgeschrieben) war gestern. Heute ist EU-Bashing (aber nicht nur in Deutschland und in Österreich sogar noch stärker) beim Wahlvolk beliebt und damit politisch angesagt. Die deutsche Pkw-Maut stellt in ihrer Koppelung mit der Kfz-Steuerentlastung ganz klar eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar. Sie greift in den Kernbereich des Binnenmarktes, in die Grundfreiheiten (hier im Besonderen relevant: die Dienstleistungsfreiheit), ein. Die deutsche Bundesregierung versucht, verschiedene Argumente zur Rechtfertigung dieser Maßnahmen vorzubringen, und verweist dabei unter anderem auf den Umstand, dass das Steuerrecht nach wie vor im souveränen Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verblieben sei: Pkw-Maut und Kfz-Steuerentlastung seien somit unabhängig voneinander zu sehen und beides für sich genommen rechtmäßig. Ein kurzer Blick in die EuGH-Rechtsprechung hätte aber genügt, um aufzuzeigen, dass diese Trennung nicht zulässig ist. Pikanterweise ist dies gerade in einem Fall deutlich geworden, der Deutschland betraf - und noch dazu Maut-Fragen, konkret die Lkw-Maut, die der EuGH schon 1992 gekippt hatte. Dabei hatte Generalanwalt Jacobs diese Frage ganz offen angesprochen: "Die Verbindung zweier Maßnahmen kann jedoch auch dann gegen den Vertrag verstoßen, wenn jede für sich betrachtet rechtmäßig ist, da sich die gemeinsame Wirkung beider Maßnahmen von der Wirkung jeder einzelnen Maßnahme unterscheiden kann."

Deutschland hätte versuchen können, diesen Konnex zu relativieren, zu verheimlichen, etwa durch die zeitliche Trennung beider Maßnahmen. Aber daran bestand kein Interesse, denn dann wäre die oben beschriebene Delikatesse nicht zustande gekommen: Die europarechtswidrige Koppelung von Mautgebühr und Kfz-Steuerentlastung war nicht nur haushaltspolitisch notwendig, sondern es war politisch geradezu intendiert zu demonstrieren, dass man es denen "da oben" (in Brüssel) und "da unten" (in Österreich) schon zeigen werde.

Angesichts einer so klaren, allein schon über die Medien klar belegbaren Koppelung von dem, was europarechtlich nicht verbunden werden darf, sollte auch die Antwort des allenfalls zu befassenden EuGH schon feststehen, wenn dieser in seiner Rolle als "Wächter des EU-Rechts" weiter ernst genommen werden will. Wenn sich die EU-Kommission schon vorab mit Deutschland einigen sollte, das Vertragsverletzungsverfahren nicht weiter fortzuführen, so kann dies durchaus als Beleg dafür gesehen werden, dass die Kommission auf das raue integrationspolitische Klima mit diplomatischer Zurückhaltung gegenüber den stärksten EU-Mitgliedstaaten reagieren möchte.

Desavouierung sondergleichen

Sie riskiert damit aber auch eine Bloßstellung und politische Desavouierung sondergleichen gerade gegenüber den kleineren und mittleren EU-Staaten, die integrationspolitisch auch nicht völlig unbedeutend sind, insbesondere wenn man sich aktuelle Herausforderungen, wie etwa die Flüchtlingskrise, vor Augen hält.

Österreich hätte in einem Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH gute Karten. Die rechtliche Argumentation ist bereits in einem Gutachten des Bielefelder Professors für Europarecht Franz C. Mayer vom 18. März 2015 sehr deutlich ausgeführt worden. Fast deckungsgleich findet sich dann diese im Bundestag vorgestellte und im Netz nachlesbare Argumentation in späteren Gutachten eines lokalen Europarechtlers.

Dass man sich in Deutschland des eingeschlagenen Weges nicht mehr ganz so sicher ist, zeigen die jüngsten Rechtfertigungsbemühungen auf höchster politischer Ebene: So hat Kanzlerin Merkel argumentiert, Österreich hätte mit Mautgebühren einerseits und Entlastungen über die Pendlerpauschale sowie im Mehrwertsteuerbereich beim Autokauf andererseits nur vorexerziert, was Deutschland nun nachahme - nur um kurz danach kleinlaut wieder zurücknehmen zu müssen, was offenkundig schon auf der Tatsachenebene falsch war.

Peinlichkeiten ohne Ende - und vielleicht ein Grund mehr, darüber nachzudenken, ob eine Rückbesinnung auf eine integrations- beziehungsweise EU-freundlichere Grundhaltung nicht der bessere Weg wäre.