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EuGH-Entscheidung stärkt Verbraucherschutz

Von Alexander Lindner

Recht

Gastbeitrag: Urteil erleichtert Konsumenten die Beweislast bei Mängeln in ersten sechs Monaten nach dem Kauf.


Wien. Aus Anlass der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 1999/44/EG wurde in Österreich im Jahr 2001 das Gewährleistungsrecht grundlegend neugestaltet. Eine wesentliche in Umsetzung dieser Richtlinie ergangene Rechtsvorschrift ist die Vermutung der Mangelhaftigkeit, die dann greift, wenn ein Mangel innerhalb von sechs Monaten nach Übergabe der Sache hervorkommt (§ 924 S 2 ABGB).

Diese Vermutung gilt jedoch nicht, wenn sie mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist (§ 924 S 3 ABGB). In Österreich ist die genannte Beweislastregel nicht nur auf Verbrauchergeschäfte anwendbar, sondern sie gilt allgemein und auch gleichermaßen für Kauf- und Werkverträge.

Über die Reichweite der infolge dieser Bestimmung eintretenden Beweislastverschiebung herrscht in der österreichischen Lehre und Rechtsprechung nach wie vor Uneinigkeit. Ausgangspunkt im Gewährleistungsprozess ist, dass nach den allgemeinen Beweislastregeln der Käufer/Werkbesteller (Übernehmer) zu beweisen hat, dass bereits bei Übergabe der Sache ein Mangel vorlag, zumindest sofern die Übernahme vorbehaltslos erfolgte. Strittig ist nun, ob die widerlegbare Beweislastumkehr des § 924 S 2 ABGB lediglich die Vermutung, dass der aufgetretene Mangel bereits bei Übergabe bestand, aufstellt oder aber auch den Übernehmer von der Beweislast befreit, dass überhaupt ein Mangel vorlag.

Demzufolge würde es dem Verkäufer obliegen, den Gegenbeweis zu erbringen, dass der Mangel bei Übergabe noch nicht vorlag oder erst durch einen Bedienungsfehler verursacht wurde. Letzterer Ansicht folgte der EuGH in seiner Entscheidung vom 4. Juli 2015 in der Rechtssache Faber (C 497-13), in der er klarstellte, dass der Käufer lediglich den Mangel, also den nunmehrigen vertragswidrigen Umstand, und dessen Hervorkommen innerhalb von sechs Monaten nach Lieferung, nicht jedoch die Mangelursache oder den Umstand, dass der Mangel dem Verkäufer zuzurechnen sei, zu beweisen habe.

Käufer vonBeweislast befreit

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um einen Gebrauchtwagen, der innerhalb der Sechsmonatsfrist während einer Fahrt plötzlich Feuer fing und vollständig ausbrannte. Der aufgrund des Fehlens einer vereinbarten oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaft der Sache eingetretene Zustand, hier das Feuerfangen des Fahrzeugs, bedeutet eine nunmehrige Mangelhaftigkeit (= Vertragswidrigkeit), deren Bestehen - nach der Beweislastregel - bereits bei Übergabe vermutet wird. Somit hat der Verkäufer zu beweisen, dass dieser Mangel bei Übergabe des Fahrzeugs noch nicht vorlag oder erst später durch einen Bedienungsfehler verursacht wurde. Dieser Beweis ist jedoch für den Übergeber so schwer zu erbringen, dass in der Praxis von einer Haltbarkeitsgarantie während der ersten sechs Monate gesprochen werden kann.

Die wenig spektakulär anmutende - praktisch jedoch ausgesprochen bedeutsame - EuGH-Entscheidung hat den deutschen BGH am 12. Oktober 2016 (VIII ZR 103/15) dazu veranlasst, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen und den Käufer von der Beweislast zu befreien, dass das innerhalb von sechs Monaten aufgetretene Mangelsymptom seine Ursache in einem bei Übergabe vorhandenen latenten Mangel hat.

In richtlinienkonformer Interpretation wird auch der OGH seine diesbezüglich widersprüchliche Rechtsprechung präzisieren und zur in 1 Ob 199/07g vertretenen Rechtsansicht zurückkehren müssen, wonach der Übergeber in diesen Fällen zu beweisen hat, dass er mangelfrei leistete bzw. ein dem Übernehmer zuzurechnender Bedienungsfehler nach Übergabe den Mangel hervorgerufen hat. Die - auch als Rückwirkungsvermutung bezeichnete - Beweislastregel des § 924 S 2 ABGB beschränkt sich also nicht auf eine Vermutung des Zeitpunkts des Vorliegen des Mangels, sondern beinhaltet auch die Vermutung, dass dieser Mangel dem Übergeber zuzurechnen ist. Bemerkenswert ist ferner, dass mitunter die Art des Mangels (Spuren einer offensichtlichen Fehlbehandlung) auf einen Bedienungsfehler schließen lässt, was zur Folge hat, dass die Beweislastumkehr erst gar nicht zur Anwendung gelangt.

Im Gegensatz zu Deutschland sind die gesetzlichen Beweislastregeln des § 924 ABGB nicht auf Verbrauchergeschäfte beschränkt, sondern allgemein und daher auch auf beidseitig unternehmensbezogene Rechtsgeschäfte anwendbar. Es stellt sich daher die Frage, ob die käuferfreundliche Rechtsprechung des EuGH in Österreich auch außerhalb von Verbrauchergeschäften maßgebend ist.

Zwar hat der OGH in einer Entscheidung vom 10. Juli 2012 (4 Ob 80/12m) ausgesprochen, dass die erweiterte Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in Österreich nicht zur Folge habe, dass der EuGH-Rechtsprechung auch außerhalb von Verbrauchergeschäften gefolgt werden müsse. Die in dieser Entscheidung relevanten Erwägungen lassen sich jedoch nicht auf die Interpretation des § 924 ABGB übertragen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die sechsmonatige de facto-Haltbarkeitsgarantie in Österreich auch im B2B- und C2C-Bereich gilt.

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Alexander Lindner

ist in Wien als Wirtschaftsanwalt tätig und auf Zivilgerichts- und Schiedsverfahren spezialisiert.