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Eine neue Chance für Klein- und Mittelbetriebe

Von Barbara Jakubowics

Politik
© Adobe Stock/faithie

Der neue Vorschlag der EU-Kommission soll ein rechtliches Umfeld für Firmen schaffen, sich aus eigener Kraft zu sanieren.


Wien. Ein rechtliches Umfeld, das es Unternehmen ermöglicht, sich aus eigener Kraft zu sanieren: Das ist das Ziel des Richtlinienvorschlags COM(2016)723 der EU-Kommission, den diese am 22. November des Vorjahres vorgelegt hat. Konkret geht es bei diesem um präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren. Der Entwurf der Richtlinie setzt die Rahmenbedingungen für vorinsolvenzliche Restrukturierungen von in Schieflage geratenen Unternehmen fest. Darüber hinaus soll es eine europaweite Vereinheitlichung der Regelungen zur Entschuldung von Unternehmern geben.

Status quo

Die österreichische Rechtsordnung sieht derzeit kein vergleichbares Restrukturierungsverfahren vor. Wollen sich Unternehmen außergerichtlich sanieren, müssen sie ihre Banken, Kunden und Lieferanten informieren. Ein eben solches Herantreten an die Gläubiger des Unternehmens führt allerdings häufig dazu, dass der Markt hellhörig wird und die Gläubiger weitere Sicherheiten verlangen, ihre Lieferkonditionen ändern oder ihre Forderungen eintreiben. Schlimmstenfalls wird gerade erst dadurch der endgültige Zusammenbruch des angeschlagenen aber oftmals noch gar nicht insolventen Unternehmens besiegelt. Da eine solche vorinsolvenzliche beziehungsweise außergerichtliche Sanierung grundsätzlich der Zustimmung aller wesentlichen Gläubiger bedarf, kann derzeit bereits ein einzelner Gläubiger eine solche Restrukturierung blockieren.

Darüber hinaus sind nach der derzeit gültigen Insolvenzordnung die Geschäftsführer eines Unternehmens bei Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise Überschuldung des Unternehmens verpflichtet, unter Einhaltung strikter Fristen einen Insolvenzantrag bei Gericht zu stellen, wenn sie nicht eine zivilrechtliche Haftung oder sogar Strafe wegen Insolvenzverschleppung riskieren wollen. Eben diese strikte Anmeldefrist und die damit verbundene potenzielle Haftung der Geschäftsführung ist das Damoklesschwert jedes außergerichtlichen, vorinsolvenzlichen Restrukturierungsbemühens.

Anders als in Österreich steht in England mit dem Scheme of Arrangement Unternehmen bereits jetzt ein Instrument zur Restrukturierung und Schuldenbereinigung zur Verfügung. Im Kern handelt es sich dabei um eine von einer eingetretenen oder auch nur drohenden Insolvenz unabhängige Vereinbarung zwischen dem Unternehmen, seinen Gläubigern und/oder seinen Gesellschaftern. Die Vereinbarung eines Schemes erfolgt in drei Schritten: Zunächst werden eine oder mehrere Versammlungen jener Gläubiger oder Gläubigerklassen, deren Forderungen vom Scheme umfasst werden sollen, abgehalten. Eben diese Gläubiger stimmen dann über das Scheme ab. Zur Annahme des Schemes sind eine einfache Mehrheit der vertretenen und abstimmenden Gläubiger sowie eine Dreiviertel-Mehrheit nach Forderungsbeträgen in jeder gebildeten Gruppe erforderlich.

Nach der Annahme durch die Gläubiger bedarf das Scheme der Bestätigung durch das Gericht. Das Gericht prüft sowohl die Fairness des Verfahrens als auch den Inhalt des Schemes. Ein gerichtlich bestätigtes Scheme bindet dann alle von seinen Regelungen erfassten Gläubiger, auch jene, die widersprochen haben. Das Scheme of Arrangement stellt ein flexibles Restrukturierungsinstrument dar, welches eine Neuregelung verschiedener Rechtsverhältnisse und insbesondere die Vermeidung des Einstimmigkeitserfordernisses ermöglicht. Die Attraktivität des Verfahrens wird auch dadurch belegt, dass bereits in der Vergangenheit europäische Großunternehmen und Konzerne eigens ihren Sitz nach England verlegt haben oder Finanzierungsverträge nach englischem Recht und mit englischem Gerichtsstand abgeschlossen haben, um das Verfahren in Anspruch nehmen zu können.

Der Richtlinienvorschlag

Gemäß dem Richtlinienvorschlag soll es nunmehr in Zukunft Unternehmen in allen Mitgliedstaaten der EU möglich sein, schon frühzeitig ein dem englischen Scheme of Arrangement vergleichbares Sanierungsverfahren zu durchlaufen. Dieses soll bereits vor einer materiellen Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit respektive Überschuldung) zur Verfügung stehen. Bei dem in Schieflage geratenen Unternehmen würde ein Moratorium eintreten, das die Insolvenzantragspflicht für vier bis allenfalls zwölf Monate aussetzt. Zudem würde es einen Exekutionsstopp vorsehen, um dem Unternehmen die Gelegenheit zu geben, mit den Gläubigern ein Sanierungskonzept zu verhandeln und die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu beseitigen.

Der Geschäftsbetrieb des Unternehmens kann während des Moratoriums ganz normal weiterlaufen. Der Richtlinienentwurf sieht vor, dass während des Moratoriums zwischen dem Unternehmen und Dritten abgeschlossene Verträge oder Lieferbedingungen nicht ohne Weiteres geändert oder gekündigt werden können (Zum Beispiel Lieferung nur gegen Vorauskasse). Alleine schon die Möglichkeit, dass mit einem solchen Restrukturierungsverfahren eine Minderheit überstimmt werden kann, erleichtert dem Unternehmen darüber hinaus die Verhandlungen mit seinen Gläubigern. Damit kann eine Insolvenz im Idealfall abgewendet werden.

Aber brauchen wir ein solches Restrukturierungsverfahren? Auf jeden Fall. Das belegen schon die zahlreichen, in den vergangenen Jahren im Zuge des englischen Scheme of Arrangements erfolgreich abgeschlossenen Restrukturierungen von europäischen Großunternehmen. Beispielsweise die deutschen Unternehmen TeleColumbus, Primacom und Roden-stock sowie die spanische Codere-Gruppe konnten dieses Instrument bereits erfolgreich für ihre Restrukturierung nutzen.

Verbindung zu England

Mittelständischen Unternehmen blieb dieses Restrukturierungsinstrument mangels hinreichend enger Verbindung zu England (die für die Anerkennung eines Schemes in anderen EU-Staaten erforderlich ist) oder mangels der Möglichkeit zur Sitzverlegung des Unternehmens nach England bisher weitgehend verwehrt. Mit Umsetzung des Richtlinienvorschlags stünde österreichischen Klein- und Mittelbetrieben somit zukünftig erstmals ein solches Restrukturierungsinstrument zur Verfügung. Auch vor dem Hintergrund des anstehenden Brexit ist die Einführung eines dem Scheme vergleichbaren beziehungsweise sogar stärkeren Restrukturierungsinstrumentariums zu begrüßen.

Dem Richtlinienentwurf müssen noch der Rat und das Europäische Parlament zustimmen. Es ist jedoch zu erwarten, dass noch einige Änderungen im Gesetzgebungsverfahren vorgenommen werden.

Barbara Jakubowics ist selbständige Wiener Rechtsanwältin und Gesellschaftsrechtsexpertin Northcote.Recht.