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Der Blick über den Gesetzesrand

Von Daniel Bischof

Recht

Juristen müssen oft auf Gesetze anderer Staaten zurückgreifen. In Dürnstein verglichen Justizminister nationale Rechtslagen.


Dürnstein. Nationale Gesetze. EU-Verordnungen. Internationale Konventionen. Bei all den verschiedenen Rechtsquellen kann man als Jurist schnell einmal den Überblick verlieren. Doch sich nicht nur mit den österreichischen Normen auszukennen, wird immer wichtiger. Familienrechtliche Streitigkeiten zwischen verschiedenen Staatsbürgern oder Cyberangriffe von kriminellen Organisationen machen nicht vor den nationalen Landes- und Gesetzesgrenzen Halt.

Über die eigenen Grenzen zu schauen. Gesetze zu vergleichen. Sich auszutauschen. Das waren auch die Ziele eines Treffens der deutschsprachigen Justizminister in der Wachau. Für zwei Tage fanden sich Mitte Mai die Vertreter von Deutschland, Österreich, Liechtenstein, Luxemburg und der Schweiz in Dürnstein ein. Von familienrechtlichen Entwicklungen über den Kampf gegen den Terrorismus bis hin zum Umgang mit Zwangsehen reichte die Themenpalette.

"Unsere nationalen Gesetzgebungen betreffen schon seit längerer Zeit und mit steigender Tendenz nicht nur unsere Staatsangehörigen", hielt der luxemburgische Justizminister Félix Braz fest. 50 Prozent der Ehen oder eingetragenen Partnerschaften werden in Luxemburg laut Braz zwischen binationalen Paaren, etwa zwischen Luxemburgern und Österreichern, geschlossen. "Wir reden sehr oft über gemeinsame Staatsbürger, wenn wir über Familienrecht reden."

Europäische Verordnungen

Was aber, wenn solche Paare sich wieder scheiden lassen wollen und ein Ehepartner wieder in sein Heimatland zurückzieht? Welches nationale Recht kann dann angewendet werden? Bei familienrechtlichen Fragen dieser Art hat sich der Jurist bereits vielfach mit Verordnungen der Europäischen Union zu beschäftigen.

Die Rom-III-Verordnung regelt etwa, welches nationale Recht auf eine Ehescheidung bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist. Sie gilt in allen teilnehmenden Mitgliedsstaaten der EU. Weitere Rom-Verordnungen sind geplant.

Auf nationaler Ebene ist man bemüht, Normen in Hinblick auf ihre europäische Konformität zu erlassen. "Ich möchte nicht, dass wir - in welchem Bereich auch immer - Regelungen entwickeln, die im europäischen Kontext nicht wirklich stimmig oder passend sind", meinte Justizminister und Vizekanzler Wolfgang Brandstetter in Dürnstein. Deswegen sei es auch wichtig, sich an den Staaten, die ähnliche Regelungen haben, zu orientieren.

Die Rechtslagen in den verschiedenen Staaten hinsichtlich einzelner Gebiete unterscheiden sich teilweise noch sehr voneinander - sei es bei der Fortpflanzungsmedizin oder Homosexuellenrechten. Auch beim Thema Terrorismus und Überwachung gibt es rechtliche Differenzen.

"Deutschland ist weitergegangen, was die Möglichkeiten der Überwachung im Terrorverdacht betrifft, etwa bei der Internetüberwachung", sagte Brandstetter. Der Einsatz von Staatstrojanern - Programme, die beispielsweise Computer ausspähen können - soll in Deutschland ausgeweitet werden. Brandstetter hofft, dass die österreichische Novelle zur Strafprozessordnung bald verabschiedet werden kann. Sie enthält eine Nachfolgereglung zur früheren Vorratsdatenspeicherung und ermöglicht die Überwachung der Kommunikationsdienste WhatsApp und Skype. Damit soll eine "Lücke" bei der Telefonüberwachung geschlossen werden. Der Gesetzesentwurf liegt derzeit der SPÖ vor.

Unterschiedliche Intensität

Dass die Staaten von Problemen auch in unterschiedlicher Intensität betroffen sind, zeigte sich beim Umgang mit Kinder- und Zwangsehen. In den vergangenen Jahren wurde dieses neue Problemfeld in Österreich vermehrt diskutiert. Mit 1. Jänner 2016 wurde im Strafgesetzbuch dann auch der Tatbestand der Zwangsheirat verankert. Demnach ist unter anderem zu bestrafen, wer "eine Person mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung oder Drohung mit dem Abbruch oder Entzug der familiären Kontakte zur Eheschließung oder zur Begründung einer eingetragenen Partnerschaft nötigt". Der Strafrahmen: sechs Monate bis zu fünf Jahre Haft.

In Liechtenstein mit seinen rund 38.000 Einwohnern nimmt der Umgang mit Kinder- und Zwangsehen keine große Stellung ein. Fälle gibt es laut der liechtensteinischen Justizministerin Aurelia Frick nicht. Als sie Bildungsministerin gewesen sei, habe sie von fast jedem Kind gewusst, in welche Klasse es gehe. Auch angesichts der Migrationsströme müsse die Sache aber von verschiedenen rechtlichen Blickwinkeln betrachtet werden.

So müsse man mitbedenken, "dass, wenn man die Ehe einfach nichtig erklärt, auch ein gewisser Schutz verloren geht - das betrifft das Erbrecht eventuell vorhandener Kinder, deren Namen, den Asylstatus", so Frick. Intuitiv denke man sich: "Das ist Unrecht. Das sollte man aufheben."

Zu überlegen sei allerdings, dass es Kulturen gebe, "wo es traditionell so ist, dass man sich freiwillig auch viel jünger dazu entscheidet, eine Ehe einzugehen, und das in einem anderen Kontext stehen. Wir müssen aufpassen, dass wir unser Rechtsverständnis, bei dem man spät heiratet, nicht einfach über ein anderes Rechtsverständnis legen. Zeitgleich darf man nicht verpassen, die Kinder zu schützen, die in eine Zwangsehe gedrängt werden."

Trotz der schwierigen Themen war in Dürnstein aber auch Platz für etwas Humor und Leichtigkeit. Das Formelle trat hin und wieder hinter das Informelle zurück. So war aus dem Besprechungszimmer mitunter lautes Gelächter zu hören. Ein sachlicher, aber durchaus herzlicher Ton dominierte die anschließende Pressekonferenz. Man redete sich teils mit Vornamen an, für schulbubenhafte Lacher sorgte die für Brandstetter noch ungewohnte Anrede "Herr Vizekanzler".

Das Justizministertreffen ist ein jährliches Event. 2016 traf man sich in Bern, 2018 soll es erstmals in Luxemburg stattfinden.