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Vom Backen und von Fremdwährungskrediten

Von Thomas Kainz

Recht

Gastbeitrag: Zinsgleitklauseln und andere Leckereien.


Wien. Haben Sie Ihrem netten Nachbarn, der so gerne bäckt, schon einmal Zucker, Eier oder Milch "geliehen" mit der Bitte, Ihnen die gleiche Menge zu einem späteren Zeitpunkt zurückzugeben? Ja? Dann können Sie mit Fug und Recht behaupten, schon einmal einen waschechten Darlehensvertrag (und nein, es ist keine Leihe) geschlossen zu haben.

Natürlich handelt es sich bei dem beschriebenen Darlehen um eine sehr einfache Darlehensform, nämlich ein unbefristetes Sachdarlehen. In der realen (Banken- und Wirtschafts-) Welt haben die Gelddarlehen, speziell die entgeltlichen (Kreditverträge), die Vorherrschaft. Das "Entgelt" der Kreditverträge besteht gemäß § 988 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) in der Regel in der "vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen". Diese betragen gemäß § 1000 Abs. 1 ABGB ohne genaue Vereinbarung vier Prozent im Jahr. Bei anderslautender Vereinbarung ist eine andere Höhe des Zinses möglich.

Von derartigen abweichenden Regelungen haben Kreditinstitute in der Vergangenheit reichlich Gebrauch gemacht. Besonders beliebt nach der Jahrtausendwende: Fremdwährungskredite. Mit dieser Art des Kredites haben viele Kunden teils horrende Verluste erlitten. Die meisten Fremdwährungskredite sehen keinen fixen Zinssatz vor, sondern enthalten so genannte "Zinsgleitklauseln" oder "Zinsanpassungsklauseln", das sind Vertragsbestimmungen, wonach sich der Sollzins aus einem variablen Referenzzinssatz (Libor, Euribor) und einem fixen Aufschlag zusammensetzt. Der zu zahlende Sollzinssatz kann entsprechend (im Falle eines hohen Referenzzinssatzes) höher aber auch (im Falle eines niedrigen Referenzzinssatzes) niedriger sein.

Nur, was passiert, wenn der Referenzzinssatz plötzlich ins Negative gleitet? Was, wenn dies so weit geht, dass der Referenzzinssatz den vereinbarten fixen Aufschlag "aufzehrt" und der Sollzins damit insgesamt negativ wird? Hat die Bank dann dem Kunden (Negativ-)Zinsen zu zahlen?

Als der Referenzzinssatz im Jänner 2015 negativ wurde, haben die Kreditinstitute darauf unterschiedlich reagiert: Einige Banken verkündeten ihren Kunden, den negativen Referenzzinssatz nicht zu akzeptieren, sondern den Referenzzinssatz bei null Prozent "einzufrieren". Entsprechend verrechnen diese Banken ihren Kunden - trotz vereinbarter Zinsgleitklausel und trotz negativem Referenzzinssatz - den vollen Aufschlag. Andere Banken agieren "kundenfreundlicher", indem sie zwar erklärten, dass ein negativer Referenzzinssatz nicht so weit gehen könnte, dass die Bank als Kreditgeberin letztlich dem Kunden als Kreditnehmer Zinsen zu zahlen habe, der negative Referenzzinssatz jedoch auf den Aufschlag angerechnet werde, sodass der Sollzinssatz auch unter den vereinbarten Aufschlag fallen und damit null Prozent betragen kann.

Klarheit hat der Oberste Gerichtshof (OGH) als Höchstgericht geschaffen: In der Entscheidung 10 Ob 13/17k vom 21. März 2017 stellte der Oberste Gerichtshof klar, dass Vertragsparteien, die eine Zinsgleitklausel vereinbaren, im Allgemeinen davon ausgehen, dass "eine rechnerische Entwicklung des Zinsniveaus ins Negative (lediglich) das für die Zurverfügungstellung des Kredits vom Kreditnehmer zu zahlende Entgelt - allenfalls bis auf Null - reduzieren wird". Der Kunde werde damit "von seiner Verpflichtung, Sollzinsen als Entgelt für die Gewährung eines Kredits zu zahlen, (nahezu) vollständig befreit."

In den beiden am 30. Mai 2017 ergangenen Entscheidungen 8 Ob 101/16k und 8 Ob 107/16t bestätigte der OGH diese Sichtweise und erkannte jeweils, dass eine "einseitige Begrenzung der Zinsgleitklauseln nach unten, durch die für die Beklagte eine Zinszahlung in Höhe des vereinbarten Aufschlags erhalten bliebe, ohne eine gleichzeitige Begrenzung nach oben" unzulässig sei. Die Rechtsprechung des OGH kann diesbezüglich nunmehr als gefestigt angesehen werden. Kreditinstitute haben einen negativen Referenzzinssatz sehr wohl zu berücksichtigen und diesen auf den vereinbarten Aufschlag anzurechnen. Ein "Einfrieren" des Referenzzinssatzes bei null Prozent und eine entsprechende Verrechnung des vollen Aufschlags, wie dies viele Banken nach wie vor tun, sind damit unzulässig.

Die OGH-Entscheidungen sind nicht nur rechtlich korrekt, sondern auch fair den Kunden gegenüber: Warum soll ein Kreditinstitut, das eine Zinsgleitklausel ausgibt, von einem steigenden Referenzzinssatz profitieren, aber ein sinkender bzw. negativer dem Kunden nicht zugutekommen? Bank und Kunde haben nun einmal vereinbart, dass der Sollzinssatz aus dem Referenzzinssatz und dem Aufschlag bestehen soll. Der Referenzzinssatz kann positiv wie negativ sein, sich zugunsten wie auch zulasten beider Parteien entwickeln. Dies ist im Übrigen auch in Einklang mit § 6 Abs 1 Z 5 des Konsumentenschutzgesetzes: Dessen Zweck entsprechend darf es für den Referenzzinssatz keine Untergrenze geben, wenn in der Zinsgleitklausel nicht gleichzeitig auch eine Obergrenze vorgesehen ist. Und eine solche Obergrenze fehlt in der Regel.

Kreditkunden, denen ihre Bank trotz negativen Referenzzinssatzes aufgrund eines "Einfrierens" des Referenzzinssatzes den vollen Aufschlag verrechnet, sollten sich daher zur Wehr setzen und unter Berufung auf die neuen Entscheidungen des OGH die zu viel eingezogenen Sollzinsen von ihrem Kreditinstitut zurückverlangen. Auf Zinszahlungen der Bank in Form von (Negativ-)Zinsen können Kreditnehmer allerdings nicht hoffen. So hat der OGH einer Zahlungsverpflichtung der Bank an den Kunden in Form von (Negativ-)Zinsen für den Regelfall eine Abfuhr erteilt.

Thomas Kainz: Der Rechtsanwalt und Partner bei LCK ist Experte für Bank- und
Anlegerrecht. Er unterrichtet auch als Lektor an der Fachhochschule des
BFI Wien und vertritt in mehreren Verfahren betreffend
Fremdwährungskredite.