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Fortschritt gegen Vorurteil

Von Daniel Bischof

Recht

Vor hundert Jahren wurde erstmals versucht, Frauen den Weg auf die Geschworenenbank zu ebnen.


Wien. Es war Anfang Juli 1917, als eine damals ganz ungewöhnliche Idee im österreichischen Reichsrat aufkam. Drei Jahre wütete nun schon der Erste Weltkrieg in Europa. Drei Jahre schon war in Österreich die Geschworenengerichtsbarkeit ausgesetzt. Als im Reichstag darüber debattiert wurde, ob man nicht wieder eine aktuelle Geschworenenliste erstellen solle, setzte sich in so manchem Kopf ein Gedanke fest.

Seit Einführung der Schwurgerichte 1850 durften nur Männer Geschworene sein. Sollte man nun auch weibliche Laienrichter zulassen? "Es gab Diskussionen, ob Frauen dazu überhaupt geistig in der Lage sind", erklärt Gabriele Schneider, Assistenzprofessorin am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien. Stereotype seien reichlich bedient worden. "Man hat behauptet, die Frau sei zu gefühlsbetont und könne daher keine Geschworene sein", so Schneider. Zunächst setzte sich der Justizausschuss des Reichsrats Anfang Juli 1917 dafür ein, Frauen als Geschworene zuzulassen.

Erste Hürde, kein Erfolg

Ein entsprechender Antrag wurde mit sieben zu sechs Stimmen angenommen. "Den Schutz der Rechtsgüter wird man der Frau ruhig anvertrauen können, denn sie fühlt sich vom Radikalismus bedroht und bringt eine konservative Lebensauffassung mit", kommentierte die "Neue Freie Presse" vom 7. Juli 1917.

Die erste Hürde ward genommen. Doch der Erfolg sollte nicht lange währen. Der Justizausschuss machte in einer späteren Sitzung einen Rückzieher. Dem Abgeordnetenhaus legte er einen Bericht vor, nach dem erneut
nur Männer als Laienrichter tätig sein dürfen. Zu einer erneuten Wende kam es im Abgeordnetenhaus nicht mehr. "Frauen haben schon im öffentlichen Leben weniger Rechte. Sie haben etwa kein Wahlrecht. Warum sollen wir ihnen dann genau hier den Weg ebnen?"

"Völlige Klischees"

So habe man teils im Abgeordnetenhaus argumentiert, erklärt Schneider. Erst nach Kriegsende wurde die Reformidee wiederbelebt. Im Zuge der Einführung des Frauenwahlrechts wurde am 23. Jänner 1919 ein Gesetz erlassen, das auch weibliche Geschworene zuließ. "Laut der Literatur ist dann im Jänner 1920 mit Fritzi Ruschka erstmals eine Frau Geschworene gewesen. Darauf hat sich die Presse gestürzt", sagt Schneider. Wird seitdem milder geurteilt? Sprechen Frauen eher frei?

"Das sind völlige Klischees", sagt Strafverteidiger und Rechtsanwalt Wolfgang Blaschitz. Teilweise beobachte er bei Sexualdelikten sogar die Tendenz, dass Frauen strenger seien. Das Verständnis für eine Tat sei aber grundsätzlich geschlechtsneutral.

"Ausschlaggebend sind der Bildungsgrad und der Migrationshintergrund der Geschworenen", so Blaschitz. "Es gibt bei den Geschworenen keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Beide können emotional oder rational urteilen", meint Anwalt und Strafverteidiger Rudolf Mayer. Problematisch sei, dass man nicht nachvollziehen könne, ob Emotionen und Vorurteile oder rationale Überlegungen zum Urteil geführt haben.

Samen des Fortschritts

"Dies deshalb, da das Geschworenenurteil nicht begründet wird", erklärt Mayer. Vorurteile ließen vor hundert Jahren den ersten Reformversuch scheitern. Doch der Samen des Fortschritts war gesät. So hieß es im Bericht der "Neuen Freien Presse" auch: "Der Gedanke, Frauen auf der Geschworenenbank zu sehen, ist noch ungewohnt (...).

Aber er entspringt dem Geiste der Zeit und technische Bedenken können den Fortschritt nicht aufhalten. Die Frau ist zum Staatsbürger herangereift."