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"Im Strafvollzug weiß man wenig über Menschenrechte"

Von Petra Tempfer

Recht
Die Anforderungen an die Justizwache seien gestiegen, sagt Gertrude Brinek.
© Philipp Hutter

Volksanwältin Brinek über zu lange Einschlusszeiten und Aggressivität in der Haft.


Wien. Diesen Sommer fanden für angehende Justizwache-Mitarbeiter die ersten Unterrichtseinheiten über Menschenrechte im Strafvollzug statt. Veranstalter war die Volksanwaltschaft, die seit 2012 für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte zuständig ist und Einrichtungen kontrolliert, in denen es zu Entzug oder Einschränkung der persönlichen Freiheit kommt. Das Thema Volksanwaltschaft und Menschenrechte wird künftig auch Prüfgegenstand für die Justizwachebeamten sein. Jeder Einzelne erhält zudem eine Broschüre mit den Details mit auf den Weg. In Polizeischulen gibt es ebenfalls Vorträge und einschlägige Informationen der Volksanwaltschaft. Den Justizbereich nachhaltig zu informieren, war Volksanwältin Gertrude Brinek seit langem ein Anliegen, sagt sie zur "Wiener Zeitung". Vor allem zu lange Haftraum-Einschlusszeiten und der Umgang mit Aggressivität seien ein Problem. Das neue Maßnahmenvollzuggesetz hält Brinek für gelungen.

"Wiener Zeitung": Justizminister Wolfgang Brandstetter hat die Sicherheitsausrüstung der Beamten in Haftanstalten verbessert, und mit der neuen Strafgesetznovelle wurde die Strafdrohung bei Aggressionen gegen diese auf zwei Jahre vervierfacht. Ist es in den Haftanstalten gefährlicher geworden?Gertrude Brinek: Grundsätzlich kann man nicht von einer Steigerung der Gewalt in den Haftanstalten ausgehen. Das zeigt auch die Statistik. Es gibt allerdings eine gestiegene Herausforderung für die Justizwache, weil immer mehr Häftlinge die deutsche Sprache nicht beherrschen. Aggression kann man jedenfalls nie mit Gegen-Aggression oder Aggressionssymbolen beantworten. Wichtig ist, Deeskalation-Schulungen zu machen, Deeskalation-Maßnahmen zu setzen. Die Verstärkung der Schutzweste oder die Verlängerung des Knüppels gehören nicht dazu.

Wie viele Häftlinge haben sich im Vorjahr mit Beschwerden über die Zustände oder Behandlung in der Haft an die Volksanwaltschaft gerichtet?

Mehrere hundert. Außerdem haben wir zusammen mit unseren Menschenrechts-Kommissionen in fünf Jahren mehr als 300 Haft- und Maßnahmeneinrichtungen kontrolliert. Vor allem Personalmangel und die viel zu langen Einschlusszeiten in den Hafträumen sind das Thema. Hinzu kommt das Versagen der Möglichkeit, sich im Freien zu bewegen. Wir wissen, dass damit ein Aggressionsstau entsteht. Zudem braucht es mehr Ausbildung und Beschäftigung in den Werkstätten - die Häftlinge haben ein Recht darauf. Gesundheit ist ebenso ein Thema. Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig man im Strafvollzug über Rechte, über Menschenrechte weiß.

Die Justizwache hat nicht nur zu bewachen, sondern sich auch um die Ausbildung und Beschäftigung der Häftlinge zu kümmern. Die Nachbesetzung der 60 offenen Planstellen ist daher laut Justizminister schwierig. Wie kann den Rechten der Häftlinge dennoch nachgekommen werden?

Die Anforderungen an die Justizwache und alle im Strafvollzug tätigen Fachkräfte sind gestiegen. Im Zentrum steht die Resozialisierung. Das ist eine fordernde Tätigkeit. Nur gute Vorbereitung und Ausbildung sowie ständige Weiterbildung und Supervision sind der Weg zum Erfolg. Die Suche nach geeigneten Kräften muss weitergehen.

Falls Kritik von der Volksanwaltschaft an einer Haftanstalt kam - wurde darauf reagiert?

Wir müssen beharrlich dranbleiben, dann kommen wir vorwärts.

Welche Haftanstalten sind besonders verbesserungswürdig?

Sicher wird man sich neben Stein zum Beispiel in Göllersdorf (derzeit die einzige Anstalt mit Behandlungsauftrag für nicht zurechnungsfähige, geistig abnorme Rechtsbrecher, Anm.) etwas einfallen lassen müssen. Es ist ein altes Schloss, das nicht per se für therapeutische Zwecke geeignet ist. Zu den vorbildlichen Einrichtungen zählt diesbezüglich Asten.

Bezüglich Göllersdorf: Es hat lange gedauert, bis der Justizminister einen Entwurf zur Reform des Maßnahmenvollzuggesetzes vorgelegt hat. Dass es vor der Nationalratswahl am 15. Oktober beschlossen wird, geht sich nun nicht mehr aus. Ist der Entwurf zufriedenstellend?

Es geht ganz stark in die richtige Richtung. Nämlich, dass der Fokus auf forensisch-therapeutische Zentren für geistig abnorme Rechtsbrecher, die künftig nicht mehr so heißen, gelegt wird - und dass diese vom Strafvollzug getrennt sind. Die Bediensteten in diesen Zentren werden vor allem speziell ausgebildete Experten sein und nicht Justizwachekräfte.

Beim Justizministerium wurde die Unterdotierung der vergangenen Jahre nur teilweise ausgeglichen, das Budget stieg um zehn Prozent - wie soll man die Reform des Maßnahmenvollzugs finanzieren?

Warten wir ab. Am 15. Oktober gibt’s Wahlen. Dann sind neue Anstrengungen zu setzen.

Die forensisch-therapeutische Betreuung liegt auch in der Zuständigkeit der Länder, die Strafanstalten sind Bundessache. Könnte diese Vermischung zwischen Land und Bund, zwischen Gesundheit und Recht ein Problem werden?

Diese Frage ist noch offen. Die Gesundheitspolitik kann sich nicht abmelden.

Wie ist Ihre persönliche Meinung zur Fußfessel, die bei der gestuften Entlassungsvorbereitung laut Reform des Maßnahmenvollzuggesetzes eingesetzt werden soll?Fußfesseln lösen nicht alle Probleme. Wenn es nach den Expertinnen und Experten ein Instrument der Entlassungsbegleitung sein soll, dann ist es mir Recht. Die Fußfessel wird allerdings nicht das Hilfsmittel für alles sein.

In den vergangenen Jahren kamen immer mehr Menschen in den Maßnahmenvollzug. Warum?

Die Zahlen haben sich in den vergangenen zwölf Jahren verdoppelt. Wenn die Gerichte über ein eindeutiges Gutachten bezüglich Gefährlichkeit verfügen, dann werden sie das Risiko der Ignoranz desselben nicht eingehen und sich nicht dagegen entscheiden. Die Gerichte sind eben sehr vorsichtig. Wenn Gutachterinnen und Gutachter für ihre Arbeit zu wenig Zeit haben, ist das eine Qualitätsfrage. Wesentlich ist dabei die Bezahlung. Der Minister hat seinen Einsatz für mehr Geld für Gutachterinnen und Gutachter zugesagt.

War das Risiko in der Vergangenheit dadurch groß, ungerechtfertigter Weise in den Maßnahmenvollzug zu kommen und damit unbegrenzt angehalten zu werden?

Es braucht sicher mehr Grundlagenarbeit über Gewaltphänomene und auch mehr psychiatrisches Wissen bei Gericht.

Werden aufgrund der Aufwertung der Gutachter weniger Menschen in den Maßnahmenvollzug kommen?

Ich denke, dass wir mit all den Methoden das Ansteigen reduzieren und an der Einhaltung der Menschenrechte arbeiten können.

Zur Person

Gertrude Brinek

wurde 2013 für eine zweite Amtsperiode als Volksanwältin angelobt. Auf Bundesebene ist sie u. a. für Steuern, Abgaben, die Justizverwaltung und die Verfahrensdauer bei Gerichten und Staatsanwaltschaften zuständig. Auf Landesebene prüft sie Gemeindeangelegenheiten.