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Die vier Säulen des neuen Erwachsenenschutzrechts

Von Gernot Fellner

Recht

Das neue, zweite Erwachsenenschutz-Gesetz soll – sofern es nicht verschoben wird – am 1. Juli 2018 in Kraft treten.


Das Sachwalterrecht, eingeführt im Sommer 1984 als Ablöse für die alte Entmündigungsordnung aus 1916, hat sich als flexibles Vertretungsinstrument für körperlich und/oder geistig beeinträchtigte Personen grundsätzlich bewährt. In den vergangenen Jahren haben sich aber gravierende Probleme daraus ergeben, dass die Sachwalterschaft nicht als "letztes Mittel" eingesetzt wurde, sondern Sachwalterbestellungen recht großzügig vorgenommen wurden. Grund dafür ist, dass der Bedarf an gesetzlichen Vertretungen in den vergangenen zwanzig Jahren stark angestiegen ist.

Die Ursachen hiefür dürften wiederum vielfältig sein. Die zunehmende Vereinsamung älterer Menschen in den städtischen Ballungsräumen, das Ende der bäuerlichen Großfamilie auf dem Land mögen ebenso ausschlaggebend sein wie der Anstieg der für jüngere Menschen wegen Drogenmissbrauchs oder aus medizinischen Gründen erforderlichen Zahl an Sachwaltern. Auch eine von den Gerichten mitunter zu rigoros gehandhabte Bestellungspraxis könnte eine Rolle spielen.

Rechte von Menschen mit Behinderungen wurden verletzt

Mit der Einführung des Instrumentes der Vorsorgevollmacht und der Ausformung der gesetzlichen Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger hat der Gesetzgeber schon ab 2006 versucht, der steigenden Anzahl von Sachwalterschaften von den betroffenen Personen selbstwählbare Alternativen entgegenzusetzen.

Ausschlaggebend für eine durchgreifende Reformierung des Sachwalterrechtes war letztendlich die Tatsache, dass Österreich bei Bestehenbleiben der geltenden Rechtslage die Verletzung des Artikels 12 des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorgeworfen wird. Österreich ist demnach verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um behinderten Menschen die Unterstützung zukommen zu lassen, die nötig ist, damit sie ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit ausüben können.

Das neue, zweite Erwachsenenschutz-Gesetz soll am 1. Juli 2018 in Kraft treten - sofern es nicht verschoben wird. Anfang der Woche wurde nämlich bekannt, dass Justizminister Josef Moser (V) an eine Verschiebung denkt. Grund: Es fehle das Geld. Immerhin geht es dabei um 17 Millionen Euro. Kanzleramtsminister Gernot Blümel (V) gab allerdings am Mittwoch bekannt, dass das Gesetz nun doch gleich kommen werde. Finanzminister Hartwig Löger (F) bleibt allerdings dabei, dass es keine zusätzlichen Mittel geben könne und das Justizministerium durch Umschichtungen in seinem Budget seine Aufgaben zu gewährleisten habe. Eine Klärung soll es im Zuge der gerade laufenden Budgetgespräche geben.

Wie auch immer. Das neue Erwachsenenschutz-Gesetz soll die Vorteile des alten Sachwalterrechts übernehmen, seine erkannten Schwächen jedoch ausräumen. Ab Inkrafttreten des Gesetzes wird es vier mögliche Arten der Vertretung einer unterstützungsbedürftigen volljährigen Person geben.

Das Vier-Säulen-Modelldes Erwachsenenschutzes

Die Vorsorgevollmacht wird weitgehend aus dem geltenden Recht übernommen. Die gerichtliche Kontrolle wird bei diesem Instrument im Wesentlichen auf die Genehmigung von Entscheidungen bei medizinischen Behandlungen und bei dauerhaften Wohnortverlegungen ins Ausland beschränkt. Völlig neu bei der Vorsorgevollmacht wird jedoch sein, dass sie einerseits nur als solche gelten wird, wenn sie im Österreichischen zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) eingetragen ist und auch ihre Wirksamkeit in diesem Register vermerkt wird. Die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht aber wird man künftig nur mehr dann im ÖZVV eintragen lassen können, wenn der Registrierungsstelle (Notar, Rechtsanwalt oder Erwachsenenschutzverein) mit einem Gutachten nachgewiesen wird, dass die vollmachtgebende Person ihre Entscheidungsfähigkeit verloren hat. Die Vorsorgevollmacht wird wie bisher auf unbestimmte Zeit erteilt werden können.

Zweite Säule der Erwachsenenvertretung wird die gewählte Erwachsenenvertretung sein. Wer eine Vorsorgevollmacht mangels voller Geschäftsfähigkeit nicht mehr errichten kann, wird mit dem neuen Gesetz immerhin noch einen gewählten Erwachsenenvertreter namhaft machen können, der im ÖZVV einzutragen sein wird. Der gewählte Erwachsenenvertreter unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Die gewählte Erwachsenenvertretung wirkt auf Dauer.

Dritte Säule der künftigen Erwachsenenvertretung wird die gesetzliche Erwachsenenvertretung sein. Sie löst das bisherige Vertretungsrecht nächster Angehöriger ab. Auch diese neue Vertretungsform ist zwecks Wirksamkeit im ÖZVV einzutragen. Sie unterliegt der gerichtlichen Kontrolle und muss nach spätestens drei Jahren erneuert werden.

Vierte und letzte Säule der Erwachsenenvertretung ist die gerichtliche Erwachsenenvertretung, die den bisherigen Sachwalter ersetzen soll. Dieses Instrument wird also dann eingesetzt werden, wenn jemand weder eine Vorsorgevollmacht errichtet noch einen gewählten Erwachsenenvertreter bestimmt hat und nächste Angehörige entweder nicht vorhanden sind oder nicht willens oder in der Lage sind, die gesetzliche Erwachsenenvertretung zu übernehmen. Allerdings gibt es mit dem neuen Gesetz bei der gerichtlichen Erwachsenenvertretung keine Bestellung für alle Angelegenheiten einer behinderten Person mehr.

Grundsatz des Erwachsenenschutz-Gesetzes ist nämlich, dass das Selbstbestimmungsrecht und die rechtliche Autonomie behinderter Personen so weit als irgend möglich aufrecht bleiben sollen. Personen, die nach geltendem Recht nicht mehr geschäftsfähig wären, können nach neuem Recht in einzelnen Angelegenheiten entscheidungsfähig sein, jedoch einer Mobilisierung beim Vorbringen ihrer Wünsche bedürfen.

Die Vorsorgevollmacht wird mit dem neuen Gesetz die erste Säule der vier Vertretungsformen bilden, die das neue Erwachsenenschutzrecht auszeichnen. Sie ist in Bezug auf die Eingriffsintensität das gelindeste der künftig zur Verfügung stehenden Mittel. Die Vorsorgevollmacht ist, wie auch alle übrigen Vertretungsformen, in das ÖZVV einzutragen. Die Regelung der Vorsorgevollmacht wird weitgehend aus dem bisherigen Recht übernommen, weil sie sich bewährt hat. Konstitutive Voraussetzung der Wirksamkeit einer solchen Vollmacht ist aber, dass sowohl die Tatsache der Errichtung einer Vorsorgevollmacht als solcher als auch der Eintritt des Vorsorgefalls im ÖZVV eingetragen werden.

Das Vertrauen des Drittenwar bisher nicht geschützt

Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage darf der Eintritt des Vorsorgefalls im ÖZVV künftig nur insoweit eingetragen werden, als der Vollmachtgeber die zur Besorgung der (in der Vollmacht) anvertrauten Angelegenheiten erforderliche Entscheidungsfähigkeit verloren hat. Dritte betroffene Verkehrskreise durften bisher darauf vertrauen, dass der Vorsorgefall eingetreten war, wenn ihnen vom Bevollmächtigten neben der Vollmacht selbst auch eine Bestätigung über die Registrierung des Wirksamkeitszeitpunktes aus dem ÖZVV vorgelegt wurde.

Bei nachweislicher Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis, dass der Vorsorgefall noch nicht eingetreten ist, war bisher das Vertrauen des Dritten nicht geschützt. De lege ferenda kommt es auf das Vertrauen des Dritten nicht mehr an, weil durch die Eintragung der Wirksamkeit der Eintritt des Vorsorgefalls konstitutiv bestätigt wird. Insofern ist den Gesetzesmaterialien zuzustimmen, dass die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für betroffene dritte Verkehrskreise, die mit dem Bevollmächtigten namens des Vollmachtgebers in rechtsgeschäftlichen Kontakt treten, erhöht wird.

Zum Nachweis des Verlustes der Entscheidungsfähigkeit der vollmachtgebenden Person bei einer Registrierungsstelle wird ein entsprechendes ärztliches Zeugnis vorzulegen sein. Die Verantwortung für die Richtigkeit dieser Bescheinigung wird vom Gesetzgeber ausgelagert an den ärztlichen Gutachter einerseits und an die Registrierungsstelle andererseits. Zu bescheinigen ist der Registrierungsstelle die weitgehende Einschränkung der Entscheidungsfähigkeit des Vollmachtgebers in den laut Text der Vollmacht vom Wirkungsbereich des Vertreters zu besorgenden Angelegenheiten.

Unklarheit über Artdes ärztlichen Gutachtens

Dies dürfte in der Praxis einige Probleme aufwerfen. Der Gutachter muss nämlich im Sinne des vom Erwachsenenschutzgesetz normierten Grundsatzes der größtmöglichen Erhaltung der Autonomie einer erwachsenen Person in einem ersten Schritt genau prüfen, welche rechtlichen Belange von der Vorsorgevollmacht umfasst sind und in einem zweiten Schritt prüfen, ob und inwieweit die vollmachtgebende Person in diesen Belangen noch entscheidungsfähig ist oder nicht. Der Eintritt des Vorsorgefalls darf ja nicht generell eingetragen werden, sondern nur hinsichtlich der in der Vollmacht konkret zur Besorgung aufgetragenen Angelegenheiten, diesbezüglich aber auch nur im Umfang des Verlustes der Entscheidungsfähigkeit. Diese notwendigen Abgrenzungen werden in der Praxis ein relativ aufwendiges Procedere nach sich ziehen, das auch auf die Kosten für das ärztliche Zeugnis Einfluss haben dürfte.

Unklar ist außerdem, ob ein fachärztliches Gutachten zum Beispiel eines Neurologen notwendig ist, oder ob ein "schlichtes" Gutachten des Hausarztes ausreicht. In letzterem Fall ist die Verantwortung sowohl des niedergelassenen praktischen Arztes als auch der Registrierungsstelle nicht unerheblich. Denn eine Registrierungsstelle wird aufgrund eines fachärztlichen Gutachtens eher annehmen können, dass der Vorsorgefall eingetreten ist, als aufgrund der Bescheinigung durch einen nicht auf psychiatrisch-neurologische Erkrankungen spezialisierten Arzt. Möglicherweise wird es sinnvoll sein, dem Gutachter die inhaltliche Reichweite der Vorsorgevollmacht mitzuteilen und konkret zu fragen, welche der darin aufgetragenen Maßnahmen der Vollmachtgeber noch alleine zu setzen in der Lage ist und welche nicht.

Bei einer schleichenden Demenzerkrankung wird ein zumindest periodisches Nachbessern oder "Nachschärfen" des Vertretungsumfanges unerlässlich sein. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Vorgaben des Gesetzgebers umsetzen lassen und welche Richtschnur die Judikatur zu diesen Problemen spannen wird.

Faktum ist, dass dem bisher erfolgreichen Instrument Vorsorgevollmacht durch den vorgeschriebenen Nachweis des Verlustes der Entscheidungsfähigkeit einiges von seiner Flexibilität genommen wird. Zwar wird ein möglicher Missbrauch oder eine Überschreitung der Vollmacht durch Bevollmächtigte, die ohne Eintritt des Vorsorgefalles namens des Vollmachtgebers agieren, nahezu unmöglich gemacht, doch gleichzeitig ist ein aufwendiges und womöglich kostenintensives Procedere nun auch bei Vertretungen im engsten Familienkreis, bei denen naturgemäß ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Vollmachtnehmer besteht, notwendig.

Ob das Vertrauen einer vollmachtgebenden Person in einen nächsten Angehörigen (zum Beispiel Sohn oder Tochter) nicht darunter leidet, wenn der nächste Angehörige die vollmachtgebende Person dazu überreden muss, sich einer psychiatrischen oder neurologischen Untersuchung zu unterziehen, um die Vorsorgevollmacht wirksam schalten zu können, wäre zu überdenken.

Der Vollmachtgeber kanneine Umwandlung anordnen

Auch für die registrierende Stelle wird die Verantwortung steigen, denn es wird geprüft werden müssen, ob das vorgelegte ärztliche Zeugnis inhaltlich ausreichend ist und die vom Verlust der Entscheidungsfähigkeit betroffenen Teilbereiche des in der Vorsorgevollmacht beschriebenen Vertretungs- und Auftragsverhältnisses genügend detailliert umschrieben sind, ansonsten die Registrierung der Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht abgelehnt werden müsste.

Einen kleinen Ausweg aus der Misere, einen Vollmachtgeber erst selbst davon überzeugen zu müssen, dass er nicht mehr ausreichend entscheidungsfähig ist, um ein einschlägiges Gutachten erstellen zu dürfen und die Vorsorgevollmacht überhaupt in Kraft zu setzen, könnte § 260 zweiter Satz ABGB idF 2. ErwSchG bieten. Der Vollmachtgeber kann auch die Umwandlung einer bestehenden Vollmacht in eine Vorsorgevollmacht bei Eintritt des Vorsorgefalls anordnen.

Ein inhaltlich detailliert wie eine Vorsorgevollmacht ausgeführter allgemeiner, "schlichter" Bevollmächtigungsvertrag iSd §§ 1002 ff ABGB, als Notariatsakt errichtet, dient vor Eintritt des Vorsorgefalles zur Besorgung der Angelegenheiten der vollmachtgebenden Person. Verliert diese Person die Entscheidungsfähigkeit in Teilbereichen, kann immer noch ein ärztliches Gutachten beigeschafft und die schlichte Vollmacht in eine Vorsorgevollmacht umgewandelt werden.

Letztlich bleibt noch die Möglichkeit, eine Vorsorgevollmacht nach den geltenden Rechtsvorschriften bis Inkrafttreten des neuen Gesetzes zu errichten und von der Registrierungsstelle als sofort wirksam in das ÖZVV eintragen zu lassen. Derartige Vorsorgevollmachten behalten auch nach dem Inkrafttreten ihre Gültigkeit.