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Eigentlich sind wir anders - wir kommen nur noch nicht dazu

Von Ingo Dieter Joham

Recht

Für junge Anwälte ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtiger als Luxus - mit den Leistungsanforderungen in den Kanzleien ist das per se allerdings nicht vereinbar.


Was waren das für Zeiten, als Leistung noch der Garant für Partnerwürden war. Der anwaltliche Ritterschlag in Form der (Equity-)Partnerschaft galt vielen Juristen früherer Generationen als Motivator, sich die Nächte in den heiligen Hallen heimischer Anwalts- und Wirtschaftstreuhandkanzleien um die Ohren zu schlagen. Auch so sicher wie das Amen im Gebet war der Lohn für all die Mühen: Gesellschaftliches Renommee, mehr Macht, ein eigenes Team und das Abonnement, in der Partner-Riege Platz nehmen zu dürfen. Ein angenehmer Nebeneffekt des puritanischen Arbeitsethos: Mehr Geld. Gleichzeitig aber auch weniger Zeit, sich dem Anhäufen materieller Statussymbole zu widmen.

Zu einer Zeit, als es die Begriffe "Work-Life-Balance" und "Quality-Time" noch gar nicht gab, führte an dieser Idealvorstellung für die Babyboomer und für weite Teile der Generation X kein Weg vorbei. Bei der Generation Y sorgt dieses Mantra der (anwaltlichen) Arbeitswelt indes für Kopfschütteln. Die Prioritäten haben sich in den vergangenen Jahren fundamental verschoben: "Life" schlägt "Work" um Längen. Der neue Luxus dieser Generation heißt Zeit. Die Rolle der harten materiellen Anreize? Nicht unwichtig, aber eher "nice to have". Wichtiger als funkelnder Luxus ist eine sinnstiftende und flexibel gestaltbare Arbeit, die noch dazu eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleistet.

Im Kampf um Talente steigen die Einstiegsgehälter seit Jahren

Dass dieses Lebenskonzept der Generation Y mit den Leistungsanforderungen der Kanzleien per se nicht kompatibel ist, versteht sich von selbst. Wo selbst von blutjungen Berufseinsteigern 1200 Billable Hours, also abrechenbare Arbeitsstunden pro Jahr, und mehr gefordert werden, da bleiben die Life-Balance-Bedürfnisse einer Generation auf der Strecke.

Was fällt vielen Kanzleien ein? Im verzweifelten Kampf um junge Nachwuchstalente sind die Einstiegsgehälter seit Jahren im Steigen begriffen. Währenddessen nämlich Anfang der Zehnerjahre selbst mit einwandfreier akademischer und (prä-)beruflicher Vita selten an der 42.000-Euro-Jahresmarke gekratzt wurde, beobachten wir mittlerweile mehr als 15 Wirtschaftsanwaltskanzleien am heimischen Markt, die mehr bezahlen. Selbst Gehälter über 48.000 Euro stellen keine Seltenheit mehr dar.

Doch die Strategie der üppigen Remuneration ist wenig nachhaltig und touchiert des Pudels Kern lediglich. Das deckt sich auch mit der aktuellen Juve-Bewerberumfrage, die sich der Top-Arbeitgeber für Rechtsanwaltsanwärter angenommen hat: 79 Prozent aller Nachwuchsadvokaten wünschen sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Freizeit und Arbeit. Gleichzeitig geben sie den Kanzleien genau bei diesem Punkt die schlechtesten Bewertungen.

Dass Geld und Karriere nicht mehr das zwingende Nonplusultra darstellen und es durchaus Sozietäten gibt, die auf die Bedürfnisse zu reagieren wissen, zeigt Schönherr Rechtsanwälte: Individuelles direktes Partner-Mentoring und laufende kanzleiweite Trainings zur persönlichen Weiterbildung werden seit kurzem ergänzt durch die Online-Kurse der "Schoenherr e-cademy". Des Weiteren weiß man durch ein hauseigenes Fitnesscenter und einen "Napping Room" zu punkten. Ähnlich die Situation bei Freshfields Bruckhaus Deringer: Die Kanzlei bietet mit ihrer "Smart Balance"-Initiative umfassende Maßnahmen für flexibles Arbeiten und individuelle Weiterentwicklung, wie Konrad Gröller, für Human Resources (HR), also Personal, zuständiger Partner, betont.

Dass eine progressive HR-Strategie nicht nur bei Großkanzleien ein Thema ist, offenbart sich beim Blick auf Schindler Attorneys. Clemens Schindler, Partner der Kanzlei, die am Wiener Markt kürzlich mehrmals durch die Etablierung flexiblerer Arbeitszeitmodelle von sich reden machte, unterstreicht: "Es geht nicht um standardisierte Maßnahmen nach dem Motto ,one size fits all‘, sondern um Flexibilität und Individualität. Für einen kann ein Teilzeitmodell die Lösung sein, jemand anderer ist hingegen mehr an Homeoffice-Möglichkeiten interessiert. Wir möchten für die Besten attraktiv sein, was Offenheit bei der Gestaltung erfordert."

Mehr Urlaub undreduzierte Arbeitszeiten

Dass Flexibilität Trumpf ist und sich mit alternativen Arbeitszeitmodellen bei der Generation Y punkten lässt, weiß man am deutschen Markt schon seit mehreren Jahren: Dem Paradigmenwechsel Rechnung getragen haben dort Mayer Brown. Die US-amerikanische Sozietät bietet seit Jahren ein Arbeitszeitmodell an, bei dem Rechtsanwälte ihren Urlaub auf bis zu 50 Tage im Jahr ausdehnen können. Auch bei Baker McKenzie, McDermott Will & Emery und Linklaters setzt man auf reduzierte Arbeitszeiten: Für zwei Drittel des (regulären Associate-) Gehalts kann man bei Linklaters einen alternativen Karrierepfad einschlagen. Deren transparentes Konzept: maximal 40 Arbeitsstunden pro Woche und der Verzicht auf den Partner- und Manager-Track.

Zwar sind derartige Modelle nach wie vor alles andere als selbstverständlich. Dennoch: Was vor wenigen Jahren niemand für denkbar hielt, beginnt sich in der Praxis zu etablieren. Der New-Work-Deal scheint denkbar einfach: mehr Freizeit - weniger Geld. Es zeigt sich, dass Salär und Boni den anwaltlichen Nachwuchs weit weniger antreiben als die Aussicht auf eine inhaltlich anspruchsvolle berufliche Tätigkeit, die daneben auch noch ausreichend Zeit für Freizeit und Familie lässt.

Schlecht beraten ist, wer der Generation Y simplen chronischen Müßiggang konstatiert. Die nachkommende Generation Z wird das wohl verschärfen. Aus vielen hunderten Gesprächen mit Juristen wissen wir: Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und eine sinnstiftende Tätigkeit sind die Ingredienzien, die die Bewerber von heute wünschen. Stechuhr-Mentalität war gestern, und Geld stiftet keine Zufriedenheit. Weiß man die Bedürfnisse einer Generation nicht in seiner HR-Strategie zu berücksichtigen, so läuft man Gefahr, als attraktiver Arbeitgeber auf der Strecke zu bleiben.

Die Personalsuche der alten Schule fördert nämlich nicht nur das Risiko permanenter "personeller Fehlgriffe" und einer erhöhten Fluktuationsrate, sondern auch daraus resultierende finanzielle Mehrkosten. Sie mündet häufig in Umsatzrückgängen. Darum: Das Talente-Management überdenken, die Bedürfnisse der Mitarbeiter ernsthafter berücksichtigen und in Einklang mit dem Unternehmen bringen. Damit es nicht heißt: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Zum Autor

Ingo Dieter Joham

ist Partner bei lawyers & more I l & m executive search & consulting gmbh und federführend für die Personalsuche in den Bereichen Legal, Tax und Compliance verantwortlich. privat