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Schock, Streit und Schwärzungen

Von Daniel Bischof

Recht

Frau erkannte ihren verstorbenen Mann auf Zigaretten-Schockbildern wieder. Sie klagte die "Wiener Zeitung". Chronik eines langwierigen Rechtsstreites. Samt zahlreichen Akteuren.


Wien. Wer ist der Mann auf den Fotos? In einem Zivilprozess am Handelsgericht Wien dreht sich alles um diese entscheidende Frage. Seit knapp zwei Jahren wird um ihre Beantwortung gerungen. Die Chronik eines langwierigen Gerichtsverfahrens - samt zahlreichen Akteuren.

Mittwoch, 1. Juni 2016: In der "ZiB 2" moderiert Armin Wolf einen Beitrag an. Es gehe um einen "wirklich bizarren Rechtsstreit", sagt Wolf. Im Mittelpunkt stehen die Schockbilder, die sich seit kurzem aufgrund einer EU-Richtlinie verpflichtend auf jeder Zigarettenpackung befinden müssen. Frau Wegerer ist sich "tausendprozentig" sicher: Auf zwei dieser Fotos wird ihr verstorbener Ehemann Franz abgebildet. Dieser wurde 2014 im Wiener AKH wegen eines Gehirntumors behandelt. Gegen seinen Willen sei ihr Mann, der in seinem Leben nie geraucht habe, im AKH fotografiert worden, so Frau Wegerer. Unterstützung bekommt sie von zahlreichen Bekannten, Freunden und Nachbarn. 130 Personen halten auf einer Unterschriftenliste fest, dass es sich bei dem Mann, der auf den Fotos abgebildet ist, um Franz Wegerer handelt.

Die "Wiener Zeitung" (WZ) hatte eines der Bilder bereits am 16. März 2016 in einem Artikel über die EU-Richtlinie veröffentlicht. Es zeigt einen bleichen Mann, der in einem Krankenhausbett liegt und an Schläuche angeschlossen ist. Darüber steht: "Rauchen verursacht Schlaganfälle und Behinderungen." Ein zweites Foto - das nicht von der WZ abgebildet wurde - stellt dar, wie derselbe Mann reanimiert wird.

Im Mai 2016 klagten die Kinder von Franz Wegerer die WZ auf Unterlassung (§ 78 Urheberrechtsgesetz). Die WZ habe durch die Veröffentlichung das Andenken des Verstorbenen verunglimpft und verstoße gegen seinen postmortalen Bildnisschutz, so die Kläger. Mittels einstweiliger Verfügung wollten sie die WZ dazu verpflichten, die Weitverbreitung der Bilder zu unterlassen. Die WZ (vertreten durch Korn Rechtsanwälte) wies das Vorbringen der Kinder zurück: Der Abgebildete schaue Wegerer ähnlich, es handle sich aber um zwei verschiedene Personen.

Streit wandert zum OGH

Im "ZiB 2"-Beitrag beteuert die EU-Kommission, dass es sich keineswegs um Franz Wegerer handle. Der Mann auf dem Foto sei ein Schauspieler gewesen, so die Behörde. Seine Identität könne man aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht bekanntgeben. Seitens des AKHs heißt es: Das Foto könne gar nicht im Krankenhaus aufgenommen worden sein. Denn: Die abgebildete Ausrüstung wie die Beatmungsschläuche und Wäsche würden "mit Sicherheit" nicht im AKH verwendet werden.

Diesen Aussagen schenken die Kläger keinen Glauben. Der Rechtsstreit wandert bis zum Obersten Gerichtshof. Die Kläger wenden sich an das Höchstgericht, nachdem die Vorinstanzen die einstweilige Verfügung nicht erlassen haben. Doch auch beim OGH (6 Ob 2/17p) dringen sie nicht durch. So wie von den Vorinstanzen ausgeführt, stehe nicht fest, dass auf dem Foto Wegerer abgebildet sei. Und die "zufällige Ähnlichkeit des Abgebildeten mit dem Vater der Kläger allein" begründe keinen Unterlassungsanspruch, erklärt der OGH im Jänner 2017.

Zwar wird mit dieser Entscheidung das Provisorialverfahren abgeschlossen (eine einstweilige Verfügung dient nur der vorläufigen Sicherung gerichtlicher Ansprüche). Der Rechtsstreit ist damit aber noch lange nicht beendet. In einem zivilrechtlichen Hauptverfahren versuchen die Kläger (vertreten durch B&S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte) nun durch Zeugen nachzuweisen, dass es sich sehr wohl um Herrn Wegerer handle.

Die verfahrensgegenständlichen Schockbilder bereiten der EU-Kommission in der Zwischenzeit nicht nur in Österreich Probleme. Im April 2017 meldet sich eine 42-jährige Frau aus dem englischen Essex. Sie ist sich sicher, dass der an die Schläuche angeschlossene Mann zu "110 Prozent" ihr Vater sei. Er sei während eines Spitalaufenthaltes gegen seinen Willen fotografiert worden, sagt die 42-jährige Engländerin. Mittlerweile gibt es laut Angaben der EU-Kommission bereits 80 ähnlich gelagerte Fälle, die sich alle auf diese zwei Schockbilder beziehen.

Agentur stellt sich tot

Aber zurück nach Österreich: Das zivilrechtliche Hauptverfahren vor dem Handelsgericht Wien ist im vollen Gange. Im November 2017 werden unter anderem die Witwe, der Pfarrer, Freunde und ein Arzt des Verstorbenen befragt. Sie geben alle an: Für sie ist der Abgebildete Herr Wegerer. Gottfried Korn, der Rechtsvertreter der WZ, setzt unterdessen auf die EU-Kommission. Monatelange Recherchen folgen. Welcher Fotograf die Fotos aufgenommen hat, wo sie genau aufgenommen wurden: Diese Fragen können nicht beantwortet werden. Es stellt sich heraus: Die EU-Kommission hat die Fotos von der deutschen PR-Agentur "mc group" machen lassen. Diese Agentur stellt sich tot. Die zahlreichen an sie gerichteten Anfragen ignoriert sie einfach.

Einblick in die Arbeit dieser Agentur liefert allerdings ein Artikel des britischen "Guardian" vom 28. Jänner 2018. Darin berichtet ein Mann - unter Verletzung seiner Verschwiegenheitsverpflichtungen -, wie er zum Modell für zwei Schockbilder wurde. Er zog 2012 nach Berlin. Dort sah er eine Anzeige für Fotoshootings für Tabakwarnungen. Für 300 Euro ließ er sich in einem Leichensack und als deprimierten, zusammengekauerten Mann (daraus wird später eine Warnung gegen Impotenz) ablichten. Erst beim Start der Schockbildkampagne 2016 merkte er, dass er nun auf Millionen von Zigarettenpackungen europaweit zu sehen ist: "300 Euro für Millionen von Abbildungen meines nackten Körpers waren definitiv kein lukratives Geschäft." Die EU-Kommission bestreitet die Angaben des Mannes: Er sei umfassend und schriftlich über die Verwendung der Bilder aufgeklärt worden.

EU-Beamtin sagt aus

Nachdem die Kontaktaufnahme mit der PR-Agentur keine Früchte trägt, gibt es für die WZ an anderer Front Erfolge. Mitte März 2018 erhält sie von der EU-Kommission eine leicht geschwärzte schriftliche Vereinbarung aus 2012. Sie wurde zwischen dem Geschäftsführer der "mc group" und jenem Schauspieler, der auf den Fotos in der Causa Wegerer zu sehen sein soll, abgeschlossen. Zuvor war nur eine stark geschwärzte Version dieser Vereinbarung übermittelt worden. Auf der neuen Version ist nun aber eindeutig ersichtlich, dass der Schauspieler Thomas S. heißt. Dieser erklärt sich laut dem Vertrag bereit, gegen Bezahlung Fotos von sich anfertigen zu lassen, die zur "gesundheitlichen Aufklärung (. . .) sowie auf Verpackungen von Tabakprodukten" verwendet werden sollen.

Auch wird nach monatelanger und harter Arbeit eine mit der Materie vertraute EU-Beamtin ausfindig gemacht. Sie reist für die Gerichtsverhandlung aus Brüssel an und wird diese Woche Dienstag als Zeugin vor dem Handelsgericht Wien befragt. Die Beamtin hat das Schockfoto-Projekt mitbetreut. Ihre Aufgabe war es, zu den textlichen Warnhinweisen die passenden Bilder herzustellen.

Anfang 2012 habe sie von der PR-Agentur die ersten Bilder bekommen - darunter seien auch die verfahrensgegenständlichen Fotos gewesen, erklärt sie. "Sie wurden laut der Fotoagentur am 26. Februar 2012 gemacht. Diese Fotos habe ich dann erstmals am 14. Mai 2012 gesehen. Ich habe dazu auch die entsprechenden E-Mails", erklärt sie. Ausführlich schildert sie den Werdegang des Projekts, die einzelnen Schritte, und legt diesbezügliche Grafiken vor.

Urteil ergeht schriftlich

"Sie haben sehr exakt geantwortet", räumt Dieter Böhmdorfer, der Klagevertreter, ein. Zugleich schießt sich der frühere Justizminister aber auf die EU-Kommission ein. Die Behörde hätte diese Informationen den Klägern bereits wesentlich früher mitteilen können: "Das ist reine Bürokratiequälerei, die Sie hier betreiben." Die Beamtin weist das entschieden zurück: Die entsprechenden Fragen seien nicht an die EU-Kommission herangetragen worden. Die Richterin greift ein und beendet den Streit.

Nach einer längeren Zeit - ein Ruhen des Verfahrens wird diskutiert - verkündet die Richterin den Schluss der Verhandlung. Ein Urteil gibt es in der Rechtssache noch nicht. Es wird erst in den nächsten Wochen beziehungsweise Monaten schriftlich ergehen.