Zum Hauptinhalt springen

Die Stärke des "nachgiebigen Rechts"

Von Nikolaus Schwärzler

Recht
Seit 2012 ist die Volksanwaltschaft auch für die Förderung der Menschenrechte zuständig.
© Fotolia/high_resolution

Vor mehr als 40 Jahren nahm die Volksanwaltschaft ihre Arbeit auf - ihre Empfehlungen konnten stets und können zwingendem Recht nahekommen.


Seit 1977 gibt es die österreichische Volksanwaltschaft. 2012 hat sie eine neue Aufgabe, den "präventiven Schutz der Menschenrechte", übernommen - dies im Gegensatz zu mehr als 40 Jahren eines "nur nachfolgenden" Schutzes. Im Zuge ihrer neuen Aufgabe überprüft die Volksanwaltschaft Justizanstalten, die Exekutive, spricht mit Menschen in Pflegeheimen und psychiatrischen Einrichtungen und ist dort, wo sich Menschen nicht frei bewegen dürfen. Auf Jahre des Erfolges der Volksanwaltschaft zurückzublicken, bietet sich daher an.

Volksanwaltschaften haben in Österreich in vier Jahrzehnten der Arbeit Hervorragendes geleistet, obwohl wir den Schutz durch den Volksanwalt nur als sogenanntes "nachgiebiges Recht" ("soft law") kennen. Für die Zukunft gilt, dass jedermann, der etwa sein künftiges Leben in einem Heim zubringt, im Voraus eines angemessenen Schutzes bedarf. Bisher konnte nur beurteilt werden, ob die zu überprüfenden Behörden rechtmäßig vorgegangen waren.

Der Rechtsschutz hat seit Kreisky einen hohen Stellenwert

Der Rechtsschutz ist gewachsen, hatte aber schon in der Vergangenheit Eigenheiten, die auch im internationalen Vergleich besonders erwähnt werden dürfen. Denn der Rechtsschutz des Bürgers hat in Österreich seit der Ära Bruno Kreisky (von 1970 bis 1983 Bundeskanzler) einen bemerkenswert hohen Stellenwert.

Drei Schwerpunkte sind es, die es verdienen, heraus gehoben zu werden: Die Arbeit von Volksanwaltschaften in Österreich war schon durch 357 erteilte förmliche Empfehlungen nicht kraftlos, durch die zumindest 65 Verordnungsprüfungs-Anträge an das Verfassungsgericht äußerst stark, und sie hat sich am Beispiel Tirols als entwicklungsfähig erwiesen.

Der in Österreich Volksanwalt genannte Ombudsman steht im 42. Jahr der Arbeit. Sein Ziel ist es, dem Einzelnen im Streit mit der Verwaltung zu seinem Recht zu verhelfen, weil die eigentlich zuerst dazu berufene Behörde versagt hatte.

Die bei den Begriffen "nachgiebiges Recht" beziehungsweise "soft law" verwendeten Adjektive "soft", "weich", "nachgiebig" bedeuten dabei nicht, dass das, was ein Ombudsman sagt, in seiner Aussage schon weich im Sinne von "unbedeutend" wäre und in einem Teilbereich durch Anfechtung noch weicher würde. Die Aussagen eines Ombudsmans sind inappellabel, können also nicht angefochten werden.

Das wichtigste Mittel des Volksanwaltes, Veränderungen zu erreichen, sind seine Empfehlungen, und zwar solche, die förmlich, in aller Regel also schriftlich und somit nachweisbar erteilt wurden. Die Empfehlungen zwingen den Empfänger (die Behörde) zwar noch nicht zu bestimmtem Handeln in der Sache, können aber auf ihre besondere Art auch deutlich härter sein als das Wort "Empfehlung" vermuten lässt.

Und so können sie zwingendem Recht nahekommen. Erlegt der Gesetzgeber der Verwaltung die Pflicht auf, einer Empfehlung des Ombudsman entweder direkt zu entsprechen oder binnen einer angemessenen Frist zu begründen, weshalb sie dies nicht tut, dann bleiben wir bei dennoch sinnvoller Gestaltung des Rechts. Die Verwaltung hat eine gewisse Freiheit des Handelns. Die Pflicht zur Darlegung der Gründe ihres Nichtentsprechens der Empfehlung des Ombudsmans ist Sanktion genug, denn dem Ombudsman ist es in aller Regel offen, die Causa in der Öffentlichkeit - also medial - zu erörtern und jedenfalls in seinem Tätigkeitsbericht über sie an das Parlament zu berichten.

Die Möglichkeit, die Sache auch medial zu behandeln, ist ein starkes und sinnvolles Werkzeug in der Hand des Ombudsmans. Das Werkzeug ist die Knospe, seine Anwendung kann zur Blüte führen. Der Ombudsman kann den Weg wählen und ebenso die Verwaltung. Die Verwaltung hat hier in Österreich die Wahl, der Empfehlung des Ombudsmans zu folgen oder schriftlich in bestimmter Frist zu begründen, warum sie dies nicht oder nicht fristgerecht tut.

Durch den Volksanwalt wirddie Gewaltenteilung bewusst

Das war in einer stattlichen und beeindruckenden Anzahl die von der Verfassung grundgelegte Möglichkeit, aus weichem Recht deutlich härteres werden zu lassen. Eine von der Verfassung vorgesehene Variante, rechtswidrig gebogenes, also verbogenes Recht wieder ins Lot zu bringen.

Die österreichische Verfassung kennt noch ein deutlich stärkeres Instrument, das an deren Ende bis zur Beseitigung der belastenden Norm führen kann, die also die Quelle des behaupteten Unrechts ist. Das nun Großartige ist es, dass ein Volksanwalt nicht daran gebunden ist, nur dann eine Verordnung beim Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen, wenn die Bedenken im Rahmen einer Beschwerdeprüfung konkret werden. Der Prüfungsantrag kann auch gestellt werden, wenn dem Volksanwalt Bedenken hinsichtlich einer Verordnung abstrakt und ohne konkreten Beschwerdefall kommen.

Der Volksanwalt ist dem Parlament zuzurechnen. Durch seine Arbeit wird Gewaltenteilung bewusst gemacht, nämlich, dass das Parlament nicht nur Gesetzgeber, sondern auch Kontrollorgan der Verwaltung ist. Diese Möglichkeit des Ombudsmans, einen Antrag auf Prüfung der Rechtmäßigkeit (meist Gesetzmäßigkeit) einer Verordnung stellen zu können, weist den Volksanwalt wahrlich als ein dem Parlament zuzurechnendes Kontrollorgan gegenüber der Verwaltung aus. Seine Aufgabe liegt allein in der Kontrolle der Verwaltung, und Verordnungen werden ja in klassischer Weise von Verwaltungsbehörden erlassen.

Dass die Volksanwälte aber bei einem Antrag auf Prüfung einer Verordnung auf deren Gesetzmäßigkeit nicht an einen Antrag des Bürgers gebunden sind, sondern eine Verordnung auch in abstracto überprüfen lassen können, geht deutlich über die Gebundenheit an ein Vorbringen des Bürgers an den Volksanwalt hinaus und erhebt den Volksanwalt auch zu einem dominanten Organ der Mitwirkung an der abstrakten Normenkontrolle.

Das Ergebnis der Anwendung der förmlichen Empfehlung und die Beantragung der Verordnungsprüfung ist auch in ihrer Zahl beeindruckend. In Österreich wurden in der Zeit seit der Gründung von Volksanwaltschaften, also seit l977, von Volksanwälten 357 Empfehlungen förmlich erteilt, sodass die in Kritik gezogenen Behörden daraufhin der Empfehlung folgen oder auf die erteilte Empfehlung rechtfertigend reagieren mussten.

In dieser Zeit wurden von Volksanwälten auch in 65 Fällen Verordnungsprüfungsanträge an den Verfassungsgerichtshof gestellt, also Anträge aus der Überzeugung eines Volksanwaltes, eine Verordnung sei zur Gänze oder in bestimmten Teilen aufzuheben.

Es wurde bewusst darauf verzichtet, nach den Arten der Entscheidungen des Verfassungsgerichthofes zu unterscheiden, also nicht danach, ob ein Antrag eines Volksanwaltes zurückgewiesen wurde (selten), zur Aufhebung führte oder der Verfassungsgerichtshof den Argumenten des Volksanwaltes nicht folgte.

Die Entscheidung des Gerichtshofes hat die Wirkung der sprichwörtlichen Sentenz "Roma locuta - causa finita" (Rom hat gesprochen, die Sache ist endgültig erledigt) und dient der Rechtsordnung durch Perpetuierung des rechtmäßigen Zustandes oder zu einer neuen dem Recht besser entsprechenden allfälligen Novellierung der in Kritik gezogenen Norm.

Die Bürger suchen oft nurnach rechtlicher Aufklärung

In aller Regel kann sich ein Bürger (ein "Jedermann") nur dann an den Ombudsman wenden, wenn es sich um eine Sache handelt, in der er selbst betroffen ist. Diese Zuständigkeit zur Erhebung einer sogenannten Popularbeschwerde ist der jüngste Fortschritt in der Entwicklung des Ombudsmanwesens und ist auf das Land Tirol beschränkt.

Die Erfahrung zeigt, dass eine solche Betroffenheit recht oft vorkommt. So zum Beispiel im Bereich des Baurechtes. In zahlreichen Fällen dieser Art stellt der Ombudsman den ihn besuchenden Bürger schon allein durch rechtliche Aufklärung zufrieden. Die Kompetenzen des Ombudsman sind hier auch ein Maßstab dafür, wie viel dem Staat an einem Beitrag zur Erhaltung einer inneren Friedensordnung gelegen ist. Es hat sich also gelohnt, auch diesen Weg zu gehen.

Im Vorjahr konnte der Schutz der in Österreich lebenden physischen und juristischen Personen sein 40-jähriges Bestehen feiern. Eine enorme Errungenschaft, deren Vater der damalige Regierungschef Kreisky ist. Dass dieser in der Idee der Vorbilder von Schweden und Dänemark wandelte, tut dem Wert der Sache keinen Abbruch.

Nikolaus Schwärzler begann nach Absolvierung eines Laientheologiestudiums seine Berufslaufbahn als Finanzbeamter in Bregenz. Nach den Studien von Recht und Sozial- und Wirtschaftswissenschaften war er mehrere Jahre als Generalsekretär am Verfassungsgerichtshof tätig und schließlich von 1985 bis 1997 der erste Landesvolksanwalt von Vorarlberg. privat