Zum Hauptinhalt springen

Ein fast krimineller Kauf oder ein enthirnter Psychopath?

Von Wolfgang F. Vogel

Recht

Kritik ist durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung weithin privilegiert - in einem Vorwurf einer vorsätzlichen strafbaren Handlung findet sie jedoch ihre Grenze.


Es ist sehr wohl ein Unterschied, ob man jemandem einen "fast kriminellen Kauf" vorwirft, oder ob man ihn als "enthirnten Psychopathen" bezeichnet. Auch "Folterer" und "Mörder" gehen als Tatsachenbehauptungen durch, die allerdings des Wahrheitsbeweises bedürfen und, sollte der gelingen, durchaus Anlass zum Werturteil geben, jemand sei ein psychopathischer Fall und brutaler Sadist. Der Oberste Gerichtshof (OGH) bemüht sich in zwei Entscheidungen um die Aufarbeitung semantischer Grenzfälle.

"Auch Kritik, die durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung weithin privilegiert ist, findet ihre Grenze in einem Vorwurf einer vorsätzlichen strafbaren Handlung, der durch entsprechendes Tatsachensubstrat nicht gedeckt ist," zieht der OGH (OGH 28.2.2018 6 Ob 243/17d) einen Schluss aus einem Verfahren, das an sich schon interessant wäre. Jemand hat im Rahmen einer außerordentlichen Generalversammlung eines bestimmten Verbands die Abstimmung über zwei Bewerber als Vorstand des Verbands durch eine "fast kriminelle Handlung" verhindert, indem sie den "Verband gekauft" habe. Dass die spätere Klägerin dabei ein Einstandsgeschenk von drei mal 60.000 Euro gemacht hat, wurde im gesamten Verfahren nie bestritten.

Unterlassung und Widerruf

Jedenfalls strebte die Klägerin gestützt auf § 1330 ABGB Unterlassung und Widerruf der Behauptung an, sie habe durch eine "fast kriminelle Handlung" in die Entscheidung eingegriffen, indem sie den "Verband gekauft" habe. Und so sieht das der OGH: "Bei Rechtsfolgenbehauptungen (hier: "fast kriminelle Handlung") wird jedoch danach differenziert, ob diese einfach aus dem Gesetz abzulesen sind oder auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruhen: Je eingehender die Grundlagen dieses Erkenntnisprozesses dargestellt werden und je deutlicher zum Ausdruck kommt, dass eine subjektive Überzeugung im geistigen Meinungsstreit vertreten wird, umso eher liegt ein reines Werturteil vor. Um Werturteile handelt es sich beispielsweise bei Äußerungen, ein bestimmtes Verhalten sei ,wettbewerbswidrig‘, jemanden treffe ein ,Mitverschulden‘ oder eine Klausel in einem Vertragswerk sei standeswidrig."

Es handle sich also, so der OGH, um ein (nicht exzessives) Werturteil. Auch der Vorwurf einer "fast" kriminellen Handlung ist nicht vergleichbar mit dem Vorwurf, ein "enthirnter Psychopath" zu sein (6 Ob 244/16z), und damit kein beleidigendes Werturteil ohne jegliches Tatsachensubstrat. Ja mehr noch: Der OGH bricht für die deftige Sprache eine Lanze und stellt fest, dass zwar Werturteile, die konkludente Tatsachenbehauptungen sind, nicht schrankenlos geäußert werden dürfen, jedoch angesichts der heutigen Reizüberflutung selbst überspitzte Formulierungen unter Umständen hinzunehmen sind, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt.

Tatsache versus Werturteil

Etwas differenzierter erkannte der OGH in einem anderen Fall (OGH 28. 2. 2018, 6 Ob 239/17s). Da hatte ein Rechtsanwalt in einem Verfahren die Aussage getroffen, eine bestimmte (mittlerweile verstorbene) Person sei ein Folterer und Mörder gewesen. Dies wertete der OGH als eine Tatsachenbehauptung. Die Aussagen, der Verstorbene sei ein psychopathologischer Fall und brutaler Sadist gewesen, sind hingegen als Werturteile zu qualifizieren.

Zu Tatsachenbehauptungen steht - anders als zu Werturteilen -der Wahrheitsbeweis offen. Für den Fall, dass der Wahrheitsbeweis nicht gelingt, ist dies ein Wertungsexzess wie es auch die Vorinstanzen gesehen haben. Gelingt der Wahrheitsbeweis, läge kein Wertungsexzess vor: Wenn jemand gefoltert oder gemordet oder beides getan hat, ist dies hinreichendes Tatsachensubstrat, um diese Person als Psychopathen und brutalen Sadisten zu bezeichnen.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies nicht viel. Das Verfahren ist in diesem Sinne zu ergänzen, weil der Beklagte den Wahrheitsbeweis angeboten hat, dies von den Vorinstanzen aber nicht zugelassen wurde.

Zum Autor

Wolfgang F. Vogel studierte Rechtswissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft und Geschichte unter anderem in Graz, Milton Keynes (England) und Wien. Er ist derzeit für eine Unternehmensgruppe tätig, die sich bemüht, Arbeitslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren.