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"Jeder Mensch hat ein Recht auf ein faires Verfahren"

Von Petra Tempfer

Politik

Behörden sind im Umgang mit Beschuldigten mit Beeinträchtigungen mitunter überfordert.


Wien. "Ich habe nichts verstanden", sagte im Nachhinein ein Beschuldigter mit intellektuellen und psychosozialen Beeinträchtigungen über die Art und Weise der Kommunikation während des Strafverfahrens. Und ein anderer: "Am Ende habe ich ihnen gesagt, was sie hören wollten."

Die Beschuldigten wurden im Zuge eines zweijährigen, von der Europäischen Kommission geförderten Pilotforschungsprojektes unter der Leitung des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte (BIM) interviewt. Dabei wurde die Umsetzung der EU-Empfehlung von 2013 in fünf EU-Mitgliedstaaten erhoben, wonach verdächtigten oder beschuldigten schutzbedürftigen Personen ein faires Strafverfahren garantiert sein soll.

Infoblatt für Festgenommene in leicht verständlicher Sprache

Menschen mit intellektuellen und psychosozialen Beeinträchtigungen gehören diesem Personenkreis an. Das Projekt ist nun abgeschlossen, die Erkenntnisse und Empfehlungen wurden am Donnerstag präsentiert. Außerdem hat das BIM diese in einem Handbuch für die im Strafverfahren involvierten Berufsgruppen wie Polizisten, Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Ärzte und Justizwachepersonal zusammengefasst.

"Behörden sind im Umgang mit Beschuldigten mit intellektuellen und psychosozialen Beeinträchtigungen oft überfordert", sagte Barbara Linder vom BIM, "weil sie nicht geschult darin sind." Das habe die Erhebung der Situation in allen fünf untersuchten EU-Mitgliedstaaten Österreich, Bulgarien, Tschechische Republik, Litauen und Slowenien gleichermaßen ergeben.

"Menschen mit Beeinträchtigungen dieser Art reagieren nicht wie gewohnt, verstehen nicht immer und werden vielleicht aggressiv", so Linder weiter. Können ihnen wesentliche Schritte nicht verständlich gemacht werden, verletze man damit jedoch klar die Menschenrechte. Denn jeder Mensch habe ein Recht auf ein faires Strafverfahren.

Das Informationsblatt für Festgenommene zu lesen und zu verstehen, sei schon für Menschen ohne Beeinträchtigungen "eine Herausforderung", ergänzte Nora Katona, ebenfalls vom BIM. Einen Entwurf für das Informationsblatt in leicht verständlicher Sprache gebe es bereits.

Ein erster, wichtiger Schritt wäre jedoch laut BIM, standardisierte Identifikationsmechanismen für die Schutzbedürftigkeit zu schaffen. Dafür bräuchte es grundlegende Schulungen im Bereich der forensischen Psychiatrie und Psychologie sowie eine laufende Fortbildungspflicht für die im Strafverfahren involvierten Berufsgruppen. Auch für die psychiatrischen Gutachten soll es qualitätssichernde Maßnahmen geben. Das Problem dabei: In Österreich gibt es keinen Lehrstuhl für forensische Psychiatrie wie zum Beispiel in Deutschland, und daher auch ein gewisses Nachwuchsproblem.

Weiters sollen dem BIM zufolge Menschen mit psychosozialen und intellektuellen Beeinträchtigungen während des gesamten Verfahrens Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung haben. Ähnlich wie bei Opfern von Gewalt, gefährlicher Drohung und Sexualdelikten sowie Angehörigen in direkter Linie, die bereits Anspruch auf Prozessbegleitung haben. Und schließlich sollten etwaige Therapien so bald wie möglich und nicht erst nach dem rechtskräftigen Urteil begonnen werden.

Das Innenministerium setze bereits seit mehreren Jahren auf verschiedene Maßnahmen und Schulungen in diesem Bereich, heißt es auf Nachfrage der "Wiener Zeitung". Im Rahmen des modularen Kompetenztrainings in der Polizeigrundausbildung etwa werde auf diese Thematik eingegangen, genauso wie im Rahmen der Offiziersausbildung und jener für dienstführende Beamte. Zudem gebe es bei den Fortbildungswochen ein ADL-Training (A World of Difference), das auch als Seminar angeboten werde. In allen Landespolizeidirektion gebe es Dienstanweisungen für absolute Handlungssicherheit beim Einschreiten gegen psychisch kranke Personen (UbG-Unterbringungsgesetz).

Forensisch-therapeutische Zentren "liegen in Schublade"

Aktuell befänden sich je 400 geistig abnorme zurechnungsfähige sowie zurechnungsunfähige Rechtsbrecher im Maßnahmenvollzug, sagt Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien. Insgesamt seien derzeit rund 9000 Menschen in irgendeiner Form von Haft (also auch U-Haft, Schubhaft, Anhaltung).

Die vom vorigen Justizminister Wolfgang Brandstetter geplanten forensisch-therapeutischen Zentren mit Nachbetreuung nach dem Vorbild von Asten in Oberösterreich wären diesbezüglich "ein großer Wurf" gewesen, so Forsthuber. "Der Plan liegt jetzt aber leider wieder in einer Schublade." Das Justizministerium war bis Redaktionsschluss für einer Stellungnahme dazu nicht erreichbar.

Am kommenden Montag, dem 25. Juni, findet von 9.30 bis 17 Uhr im Haus der Europäischen Union in der Wipplingerstraße 35 in Wien die internationale Konferenz "Menschenwürde auf der Anklagebank" zu dem Thema statt. Nähere Infos unter http://bim.lbg.ac.at/de