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Wahlrechtsreform vor der Europawahl 2019

Von Paul Grohma, Michael Lidauer und Armin Rabitsch

Recht

Es braucht so bald wie möglich einen inklusiven und partizipativen Wahlreformprozess, um umfassende Wahlreformen zu diskutieren und neue Wahlgesetze zeitnah vor der Europawahl zu verabschieden.


In weniger als einem Jahr, am 26. Mai 2019, werden in Österreich jene 18 Parlamentarier neu gewählt, die Österreich im Europaparlament vertreten. Zur Durchführung dieser Wahl bedarf es einer Wahlrechtsnovelle, um auch der neuen, ab 25. Mai 2018 in Kraft getretenen EU-Datenschutz-Grundverordnung zu entsprechen. Diese Novellierung betrifft wieder eine notwendige Abänderung des bestehenden Briefwahlkuverts, das - seit dem Wegfall der Lasche aufgrund von Kleberproblemen - Name und Unterschrift des Wählers an der Außenseite sichtbar macht. Konkret geht es dabei um die Einführung eines dritten Überkuverts, um personenbezogene Daten und Unterschriften vor den Blicken von Dritten zu schützen.

In der Regierungsvereinbarung (Seiten 20 bis 21) wurde die "Weiterentwicklung des Wahlrechts auf Basis des bestehenden Verfassungsrechts in Richtung eines besseren Services für die Bürger sowie gleichzeitig Vermeidung von Manipulationsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes anlässlich der Aufhebung der Bundespräsidentenwahl" beschlossen. Die Koalitionsparteien verständigten sich auf einige wenige Wahlreformpunkte - inklusive einer Ausweitung der persönlichen Stimmabgabe bereits vor dem Wahltag. Diese soll durch die gesicherte Abgabe der Briefwahlkarte in jedem Gemeindeamt schon in den Tagen vor dem tatsächlichen Wahltag ermöglicht werden.

Österreich, der Nachzügler

Österreich ist dennoch in Bezug auf die Umsetzung von internationalen Wahlempfehlungen ein Nachzügler innerhalb der westeuropäischen Teilnehmerstaaten der OSZE. Der Verein wahlbeobachtung.org verweist darauf, dass 42 der insgesamt 44 Empfehlungen des Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der OSZE sowie 6 der 11 Empfehlungen der Gruppe gegen Korruption (Greco) des Europarats bis heute noch nicht oder nur unvollständig umgesetzt wurden. Ebenso gilt es zu bedenken, dass laut Code of Good Practice in Electoral Matters der Venedig Kommission des Europarats wesentliche Änderungen des Wahlrechts zumindest zwölf Monate vor Wahlen abgeschlossen werden sollten, um ein robustes rechtliches Rahmenwerk zur Durchführung von Wahlen zu gewährleisten.

wahlbeobachtung.org empfiehlt daher, sobald als möglich einen inklusiven und partizipativen Wahlreformprozess in Gang zu setzten, um umfassende Wahlreformen zu diskutieren und neue Wahlgesetze zeitnah vor der Europawahl 2019 zu verabschieden. Reformen sollten jedoch unter der Prämisse stattfinden, dass nur die Neuerung des Briefwahlkuverts für Briefwahlkarten vor der Wahl in Kraft tritt, während substanzielle Änderungen des Wahlrechts jedoch erst nach der Wahl wirksam werden. Zu schnell beschlossene Wahlreformen haben meist den Nachteil, dass diese zu wenig konsultativ durchgeführt werden und spätere Nachbesserungen erforderlich sind. Beispielsweise hat sich Österreich bereits 2008 verpflichtet, die Nationalratswahlordnung mit der Behindertenkonvention der Vereinten Nationen in Einklang zu bringen. Dies ist bisher nicht ausreichend geschehen. Die Einrichtung barrierefreier Wahllokale ist nach wie vor vom guten Willen der Gemeinden abhängig und vor Gericht nicht einklagbar.

Gängige Praxis fortgeführt

wahlbeobachtung.org begrüßt ausdrücklich den Vorsatz in der Regierungsvereinbarung, dass Briefwahlstimmen künftig zusammen mit den Urnenstimmen der jeweiligen Gemeinde am Wahltag auszuzählen sind und nicht mehr gesondert behandelt werden. Diese Empfehlung von wahlbeobachtung.org zur Briefwahl wurde bereits 2016 mit Verfassungssprechern im Parlament diskutiert. Neuerungen der Briefwahl sollten jedoch auch beinhalten, dass diese ausschließlich als solche - per Post oder Abgabe im "eigenen" Wahllokal - ausgeübt wird. Die Abgabe der Briefwahlkarte in einem "fremden" Wahllokal - etwa am Ziel des Wochenendausflugs - sollte nicht mehr zur Anwendung kommen, um ein möglichst korrektes Wahlergebnis am Wahlabend zu gewährleisten und die Anonymität des Wählers zu wahren.

In der Regierungsvereinbarung ist diesbezüglich allerdings ausdrücklich die Fortführung der gängigen Praxis festgeschrieben, was wiederum ein verspätetes Wahlergebnis, eine verspätete Zuordnung der Briefwahlstimmen zur jeweiligen Gemeinde und damit ein unpräzises, vorläufiges Wahlergebnis am Wahlabend zur Folge haben würde. Zudem könnte in Gemeinden mit geringer Wähleranzahl der Wählerwille eruiert werden und damit eine Verletzung der geheimen Wahl vorliegen, da aus den später zugerechneten Briefwahlstimmen ersichtlich ist, welcher Partei beziehungsweise welchem Kandidaten einzelne Stimmen zugerechnet wurden.

Interessante Neuerungen basierend auf dem 2017 eingeführten zentralen Wählerregister, wie etwa die mögliche elektronische Nachverfolgung der aufgegebenen Briefwahlkarte durch den Wähler bis zur Ankunft in der Heimatgemeinde, könnten ebenso in die kommende Reform miteinbezogen werden. Zusätzlich wird erstmals die Bestellung von Beisitzern erwogen, die nicht von Parteien nominiert, sondern aus geschulten Freiwilligen rekrutiert werden. Verpflichtende Trainings für alle Beisitzer und eine einheitliche Entschädigung würden zur Aufwertung dieser wichtigen Tätigkeit führen und das weitläufige Problem fehlender Beisitzer beheben.

Grundsätzliche Zielsetzungen

wahlbeobachtung.org hat es sich zum Ziel gesetzt, den Wahlreformprozess zu unterstützen und einen Dialog zwischen Politik und Zivilgesellschaft bezüglich notwendiger Neuerungen und internationaler Empfehlungen in Gang zu bringen. In Podiumsdiskussionen mit österreichischen Wahlexperten und anderen zivilgesellschaftlichen Demokratie-Initiativen wurden bereits grundsätzliche Zielsetzungen formuliert:

Umfassende Wahlreformen sollten innerhalb dieser Legislaturperiode unter Einbindung der Zivilgesellschaft umgesetzt werden.Wahlreformen sollten zu einer Vereinfachung der Wahlprozesse und des Wahlrechts führen, unter Einhaltung Österreichs internationaler und regionaler Verpflichtungen.

Wahlreformen sollten verbesserte Bürgerbeteiligung und erhöhte Transparenz der Wahlprozesse zum Ziel haben.

In einem Mitte Mai stattgefundenen Treffen mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der einem Dialogprozess zu Wahlreformen grundsätzlich zugestimmt hat, konnte das Team von wahlbeobachtung.org die Möglichkeiten zur Umsetzung internationaler Empfehlungen sowie eigene Wahlreformvorschläge erläutern. Zudem wurden mögliche Verbesserungen zu Beisitz, Wahlkartenwahl, Einspruchsrecht und vorgezogenen Wahlmöglichkeiten diskutiert. Vor allem die Möglichkeit nationaler Wahlbeobachtung wurde betont, weil diese bis jetzt im Rechtsrahmen nicht vorgesehen ist, obwohl sich Österreich im Rahmen internationaler Vereinbarungen dazu verpflichtet hat.

Dieser Austausch sollte nun im Vorfeld der Europaparlamentswahl 2019 und darüber hinaus weiter gepflegt und dafür genutzt werden, notwendige Verbesserungen im Sinne internationaler Verpflichtungen und Empfehlungen umfassend umzusetzen.

Zu den Autoren:

wahlbeobachtung.org ist eine unabhängige, unparteiische, zivilgesellschaftliche Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Wahlbeobachter und -experten Paul Grohma, Michael Lidauer und Armin Rabitsch mit internationaler Wahlerfahrung, die das Ziel verfolgen, konstruktiv zur Verbesserung der Wahlprozesse und des -systems beizutragen.