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Drohen Massenabmahnungen?

Von Philip Raffling und Simone Brunnhuber

Recht

Die ersten Fälle bezüglich der Datenschutzgrundverordnung liegen vor.


Ein deutsches Online-Medium berichtet aktuell mit Headlines wie "Das Gespenst der DSGVO-Abmahnung geht um" oder "Abmahnungen wegen DSGVO: Die ersten Fälle sind da" und informiert im aktuellsten Beitrag über einer Abmahnung in Höhe von 12.500 Euro als Schadenersatz, weil bei einem Kontaktformular auf der Webseite eines Unternehmens das SSL-Zertifikat fehlen würde. Ein Déjà-vu? Die Datenschutzgrundverordnung der EU (DSGVO) trat am 25. Mai 2018 in Kraft - manch einer erinnert sich bei diesen ersten Fällen möglicherweise an zahlreiche Abmahnungen von diversen Vereinen gegen Unternehmen in Österreich wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Informationspflichten des § 5 ECG, nachdem das E-Commerce-Gesetze (ECG) am 1. Jänner 2002 in Kraft getreten war.

Die Bestimmung normiert, kurz zusammengefasst, dass Diensteanbieter den Nutzern ständig Informationen über seinen Namen oder seine Firma samt Anschrift, Kontaktangaben, Firmenbuchnummer und -gericht leicht und unmittelbar zugänglich zur Verfügung zu stellen haben. Diese Abmahnschreiben enthielten meist nicht nur die Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung sowie zur Entrichtung eines Kostenersatzes für das Einschreiten, sondern auch die Drohung mit einer wettbewerbsrechtlichen Klage, sofern der Aufforderung nicht entsprochen werde. Man berufe sich auf die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs.

"Abmahn- oder Klage-Vereine"

Die meist weitgehend gleichlautenden und gänzlich vereinheitlichten Briefe oder E-Mails deuteten auf eine vermeintlich systematische Abmahntätigkeit und die Absicht hin, in rechtsmissbräuchlicher Weise die Adressaten auszubeuten. 2009 meldete etwa der Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb einen Fall von rechtsmissbräuchlichem Verhalten seitens eines Vereines, der einen Verstoß gegen das Tabakgesetz behauptete.

So ähnlich könnte es sich mit der seit 25. Mai 2018 normierten Pflicht zur Bereitstellung einer umfassenden Datenschutzerklärung verhalten; diese ist in Deutschland schon seit Inkrafttreten des "Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts" im Jahre 2016 verpflichtend. Auf dieser Grundlage wurde eine deutsche Steuerberatungsgesellschaft noch im selben Jahr von einem Wettbewerbsverband abgemahnt, da es in ihrem Kontaktformular an den erforderlichen Informationen zum Umgang mit den erhobenen Daten mangelte. Diese Abmahnungen erfolgten aber nach Ansicht des Oberlandesgericht Köln nicht rechtsmissbräuchlich, weshalb das Urteil zugunsten des Wettbewerbsverbands erging.

Die erforderliche Datenschutzerklärung gründet sich in Österreich auf Art 13 DSGVO. Denkt man nun an die Abmahntätigkeiten der Vereine etwa betreffend das ECG und die Reaktionen auf die in Deutschland seit Februar 2016 bestehende neue wettbewerbsrechtliche Lage zurück, muss man sich dringend mit der Frage befassen, ob derartige Abmahnwellen auch im Zuge des Inkrafttretens der DSGVO in Österreich zu erwarten sind. Denn in der österreichischen Vereinslandschaft verfolgen schon jetzt unzählige Vereine nach ihrem statutenmäßigen Zweck ausschließlich wettbewerbswidrige Verletzungen. Derartige "Abmahn- oder Klage-Vereine" treten meist erst dann in Erscheinung, wenn ein wettbewerbsrechtlicher Verstoß feststellbar und verfolgbar ist.

Aktivlegimitation ist zu prüfen

In jedem dieser Fälle ist stets zu prüfen, ob der Verein überhaupt zur Erhebung einer Klage nach dem Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) aktivlegitimiert ist (§ 14 UWG) und dann vorliegt, wenn sie wirtschaftliche Interessen fördern und die wettbewerbswidrige Handlung jene Interessen berührt, die von dieser Vereinigung vertreten werden.

Probleme bereitet vor allem die erste der beiden Voraussetzungen: Zur Frage, wann genau eine Vereinigung zur Förderung wirtschaftlicher Interessen vorliegt, hat sich der Oberste Gerichtshof (OGH) bereits eingehend geäußert. In diesem Fall sind zwei Gruppen zu unterscheiden. Einerseits sind Vereinigungen, deren Tätigkeit neben der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen auch noch andere Tätigkeiten zur Förderung wirtschaftlicher Interessen von erheblichem Gewicht umfasst, ohne Zweifel aktiv klagslegitimiert. Andererseits auch Vereinigungen, deren Tätigkeit ausschließlich in der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen liegt; bei diesen muss weiters differenziert werden, ob dem Verein nur Unternehmer angehören (so ist er ohne weiteres klagslegitimiert), oder dem Verein in einem solchen Fall auch Mitglieder angehören, die nicht dem Unternehmerstand angehören.

Ist Zweiteres der Fall, ist er nur dann klagslegitimiert, wenn eine Verfolgung von Wettbewerbsverstößen im wirtschaftlichen Interesse gewährleistet ist. Eine Ausnahme besteht, wenn der Vereinigung auch öffentlich-rechtliche Körperschaften angehören, weil dann ungeachtet der Mitgliederstruktur die Klagebefugnis besteht.

Provozieren von Verstößen

Ist die Klagebefugnis des Vereins an sich gegeben, so kann ihre an sich berechtigte Inanspruchnahme trotzdem rechtsmissbräuchlich sein. So kann bei übermäßiger Prozessführungstätigkeit auf rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise geschlossen werden, wenn Wettbewerbsverstöße nur zum eigenen Nutzen oder vorwiegend zur Förderung anwaltlicher Einkommensinteressen gerügt werden. Dies gilt auch für das absichtliche Provozieren von Wettbewerbsverstößen.

Wegen zunehmender missbräuchlicher Praktiken in Deutschland wurde 1981 durch einige Spitzenorganisationen der Wirtschaft zusammen mit Wettbewerbsvereinigungen, die von Kammern oder Wirtschaftsverbänden getragen wurden, Grundsätze für die Betätigung von Wettbewerbsvereinigungen erarbeitet, die Gerichte für die Beurteilung rechtsmissbräuchlicher Praktiken heranziehen.

Wettbewerbsvereinigungen leisten zweifelsfrei einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung eines lauteren und leistungsgerechten Wettbewerbs. Wenn jedoch vermeintliche Gesetzesverstöße durch Private mittels ungerechtfertigter Abmahnungen bzw. unlauterer Praktiken geahndet werden, so findet eine solche Verfolgung ihre Grenzen in der Rechtsmissbräuchlichkeit. Sollte daher im Rahmen der DSGVO ein Abmahnschreiben zum Beispiel eines Vereins einlangen, so wird als erster Schritt empfohlen, die Informationspflichten gemäß Art 13 DSGVO (also die Datenschutzerklärung) umgehend im Nachhinein (auf der Webseite) zur Verfügung zu stellen. In einem zweiten Schritt sollte man sich bei Verdacht auf Rechtsmissbrauch oder die fehlende Klagebefugnis des Vereins mit der jeweiligen Fachgruppe der Wirtschaftskammer - oder einem Rechtsanwalt - in Verbindung setzen, um eine rechtliche Beratung einzuholen.

Verbandsklage durch Hintertür

Ob es zu Missbräuchen durch Abmahnungen im Namen des Allgemeininteresses an der Erhaltung eines lauteren Wettbewerbs und zur Förderung gewerblicher Interessen kommen wird, bleibt abzuwarten.

Aber auch Verbände haben die Möglichkeit, Abmahnungen gegen Unternehmen einzubringen. In Bezug auf die DSGVO hat der österreichische Gesetzgeber allerdings nicht von der Möglichkeit einer Verbandsklage (Art 80 Abs 2 DSGVO) Gebrauch gemacht und die Verletzung datenschutzrechtlicher Angelegenheiten nicht explizit im § 28a KSchG aufgenommen. Dieser ermöglicht es klagslegitimierten Verbänden wie dem Verein für Konsumenteninformation, eine Unterlassungsklage bei gesetzwidrigen Praktiken, die die allgemeinen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, einzubringen.

Auch mit dem kurzfristigen Abänderungsantrag vom 20. April 2018 wurde die Möglichkeit der Vertretung bei der Geltendmachung auf Schadenersatz gestrichen. Obwohl in Österreich keine Möglichkeit einer (datenschutzrechtlichen) Verbandsklage besteht, so möchte nun die EU die Möglichkeiten von Sammelklagen erweitern: Durch den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher sollen vor allem der kollektive Rechtsschutz durch Verbände ausgebaut und die Sanktionen verschärft werden. Damit wäre eine datenschutzrechtliche Verbandsklage in Österreich wieder möglich.