Wien. Derzeit gibt es in Österreich rund 6200 Rechtsanwälte und 2200 Anwärter - nur 20 Prozent sind Frauen. Unter den Richtern hat sich das Verhältnis bereits gedreht, hier sind etwas mehr Frauen (rund 53 Prozent) als Männer tätig. Auch der Frauenanteil unter den Jus-Absolventen steigt. Derzeit schwankt er der Universität Wien zufolge zwischen 55 und 59 Prozent. Anfang des Jahrtausends lag er bei etwa 52 Prozent. Doch warum ist es gerade der Anwaltsberuf, in dem nur so wenige Frauen Fuß fassen? Ist er mit einer potenziellen Mutterschaft schlecht vereinbar? Anna Wolf-Posch ist eine der wenigen Frauen, die als Anwältin Karriere gemacht hat - und das mit einer 18 Monate alten Tochter. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" erklärt sie, warum sie glaubt, dass Frauen und Männer grundsätzlich die gleichen Chancen haben. Man müsse sich aber ein Netzwerk schaffen.

"Wiener Zeitung": Der "Women in Law Award 2018" von der Vereinigung Österreichischer Unternehmensjuristen und dem Netzwerk Women in Law ging im Mai an die Wirtschaftskanzlei CHSH: jene Kanzlei, bei der Sie seit Jänner Partnerin sind. Der Award wurde für die herausragenden Leistungen im Bereich der JuristInnenförderung vergeben. Hätten Sie es in einer anderen Kanzlei als Frau mit Kind auch so weit gebracht?

Anna Wolf-Posch: Also zunächst bin ich zu CHSH gegangen, weil das Kartellrecht-Team einen tollen Ruf hat und die Möglichkeit, da als Partnerin dazuzustoßen, einfach wahnsinnig attraktiv war. Aber natürlich braucht man als Elternteil die Unterstützung der Firma, ohne die geht es einfach nicht.
Hat man es da als Frau schwieriger als die männliche Konkurrenz?
Ich glaube, dass Frauen und Männer grundsätzlich gleiche Chancen haben. Wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, dann ist man als Frau allerdings tendenziell schon stärker gefordert, zu zeigen, dass man das vereinbaren kann - man schafft das aber auch ganz gut. Als Frau neigt man vielleicht stärker als der Mann dazu, sich selbst kritisch zu betrachten, und gerade beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf braucht man ein gewisses Selbstbewusstsein. Letztlich muss man sich gut organisieren können.
Wie organisieren Sie sich?
Meine Familie ist in Deutschland, die Familie meines Mannes lebt außerhalb von Wien. Meine Tochter geht vormittags in den Kindergarten, nachmittags haben wir eine Betreuung, und mein Mann und ich teilen uns die Spätnachmittage und Abende auf. Ich glaube, das Wichtigste ist, sich sein Netzwerk zu schaffen und dieses auch zu nutzen. Man braucht ein gutes Grundsetting, das für das Kind fair ist. In Ländern wie Großbritannien ist das nicht so selten wie bei uns. Im angelsächsischen Raum gibt es auch mehr erfolgreiche Partnerinnen bei Kanzleien, die nicht nur ein Kind, sondern mehrere Kinder haben.