Zum Hauptinhalt springen

Kriminologe gegen Regierungspläne

Von Daniel Bischof

Recht
Seit Jahren zeichnet sich eine Verschiebung von Geld- zu Freiheitsstrafen ab.
© Adobe/bluedesign

Fachmann Christian Grafl hält erneute Strafverschärfungen für "unsinnig".


St. Gilgen. "Aus empirischer und kriminologischer Sicht unsinnig": Christian Grafl kann den Plänen der Bundesregierung, das Gewalt- und Sexualstrafrecht erneut zu verschärfen, nichts abgewinnen. Der Kriminologe hat für die Strafrecht-Arbeitsgruppe unter Leitung von Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP), die die Verschärfungen ausarbeitet, ein Gutachten erstellt. Bei einer Tagung der Fachgruppe Strafrecht der Richtervereinigung präsentierte Grafl in St. Gilgen in Salzburg am Mittwochabend seine Ergebnisse.

"Mit grundlegenden Veränderungen sollte man sich Zeit lassen", mahnte Grafl. Der Hintergrund: Seit dem am 1. Jänner 2016 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz werden Gewalt- und Sexualdelikte bereits strenger sanktioniert. Es sei aus empirischer Sicht "völliger Unfug, wenn man nun zwei Jahre später wieder an den Rädchen dreht". Zuerst müsse man die Änderungen von 2016 weiter evaluieren: "Veränderungen der Strafenpraxis nach Reformen sollten langfristig beobachtet werden, um Zufallsschwankungen ausschließen zu können."

Grafl, Professor am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien, untersuchte für die Arbeitsgruppe die Strafenpraxis zwischen 2008 und 2017. Diese werde strenger, so der Kriminologe. "Seit Jahren gibt es eine Verschiebung von Geld- zu Freiheitsstrafen." In Zahlen gegossen: Der Anteil von Geldstrafen reduzierte sich von 2008 bis 2017 deutlich und liegt nun bei ungefähr 30 Prozent, jener von Haftstrafen stieg auf rund 70 Prozent. Auch unbedingte Geld- und teilbedingte Freiheitsstrafen nahmen zu.

"Misstrauen gegen Richter"

Bei der schweren (§ 84 StGB) und absichtlich schweren Körperverletzung (§ 87 StGB), die bei der Reform von 2016 verschärft wurden, werde etwa strenger bestraft. Das liege vermutlich an der Reform: "Die Praxis reagiert auf Gesetzesänderungen." Für genauere Analysen brauche es aber noch zusätzliche Vergleichsjahre.

Ein Plan der Regierung ist, die Mindeststrafrahmen bei manchen Delikten anzuheben. Etwa bei der Vergewaltigung (§ 201 StGB). Künftig soll es bei diesem Tatbestand nicht mehr möglich sein, nur mehr bedingte Haftstrafen zu verhängen. "Das ist ein Misstrauen gegen die Richterschaft", so Grafl. Man solle die breiten Strafrahmen in Österreich, die angemessene Reaktionen auf die verschiedensten Fälle ermögliche, schätzen. "In der Praxis kommen die Richter mit den Strafrahmen gut aus."

Der Kriminologe ging auch auf die Verurteilungsstatistik bei der Vergewaltigung ein. Demnach wurden bei den unbescholtenen Tätern mehr als 80 Prozent zu einer unbedingten oder teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Den Ruf nach einer Verschärfung versteht Grafl nicht. Auch sei der Glaube, dass die Verurteilungsquote bei Sexualdelikten gering ist, falsch. Vergleiche man Sexualdelikte mit anderen Deliktsgruppen, sei kein besonderer Ausreißer festzustellen.

Sollte es zu einer Anhebung der Mindeststrafen kommen, könnte die außerordentliche Strafmilderung bei Überwiegen der Milderungsgründe (§ 41 StGB) wieder vermehrt angewandt werden. Sie ist eigentlich nur für besondere Fälle gedacht.

Strafmilderung für Domina

Ein Beispiel: Eine Domina war wegen absichtlich schwerer Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt. Der Freier starb bei einem Sexspiel, das sich um Atemreduktion drehte. Darauf standen - zum Tatzeitpunkt - fünf bis zehn Jahre Haft. Dieser Strafrahmen erlaubt nur eine unbedingte Haftstrafe. Aufgrund der Eigenheit des Falls und der überwiegenden Milderungsgründe wurde aber die außerordentliche Strafmilderung eingesetzt: Die Frau erhielt zwei Jahre bedingt.

Wie Friedrich Forsthuber, Präsident des Wiener Straflandesgerichts, ausführte, war diese außerordentliche Strafmilderung früher gar nicht so "außerordentlich": "Sie war vor 1975 der Regelfall." Erst mit dem StGB 1975 wurden deutlich niedrigere Mindeststrafrahmen eingeführt. Zuvor waren diese sehr hoch, der Spielraum der Richter also stärker eingeschränkt. Um niedrigere Strafen verhängen zu können, wurde vor 1975 daher wesentlich öfter als heute zur außerordentlichen Strafmilderung gegriffen.