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Die Verleumdung eines wehrlosen Flüchtlings

Von Jan Michael Marchart

Recht
Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Ehefrau Doris Schmidauer und dem "Musterlehrling".
© Carina KARLOVITS

Die Causa "Musterlehrling" ist auch für die rechtliche Praxis mit Facebook ein Lehrbeispiel.


Wien/Linz. Was Anfang September passierte, machte einen sprachlos. FPÖ-Klubchef Johann Gudenus beschuldigte einen Flüchtling, ein Terrorsympathisant zu sein. Dieser soll auf Facebook eine syrische Islamistengruppe geliked haben, so die Beweise. Die "Krone" berichtete groß darüber, ohne die Geschichte zu überprüfen. Die FPÖ erstattete Anzeige gegen den Flüchtling. Nach einem weiteren Artikel der "Krone" ("Musterlehrling jetzt Fall für den Verfassungsschutz"), den hunderttausende Leser anklickten, befasste sich der Verfassungsschutz tatsächlich mit der Causa und befragte den Jugendlichen auch wenig später.

Nur: Die Geschichte stimmte nicht. Das berichtete die "Wiener Zeitung" Tage vor dem Urteil der Staatsanwaltschaft. Den Freiheitlichen kam sie bloß gelegen.

Dem Jugendlichen droht die Abschiebung, die Regierung forderte zeitgleich, dass eine Lehre kein Grund dafür sei, bei einem negativen Bescheid länger im Land zu bleiben. Außerdem war der Jugendliche ein Schützling des oberösterreichischen Landesrats und Grünen Rudi Anschober, der ihn zwei Wochen zuvor gemeinsam mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seiner Lehrstelle, ein Supermarkt in Oberösterreich, öffentlichkeitswirksam besuchte. Seither war er in den heimischen Gazetten als "Musterlehrling" bekannt.

Der junge Flüchtling wurde nicht nur tagelang durch die Boulevardpresse gezogen und kriminalisiert, auch rechtsextreme Webseiten übernahmen den Bericht der "Krone". Neben Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Gudenus ließen zudem viele blaue Parteifunktionäre die Falschmeldung im Internet viral gehen. Gudenus "bedauerte" seinen zweifellosen Fehler nur, entschuldigte sich aber nie dafür.

Damit ist der Fall noch nicht erledigt. Anschober erwägt rechtliche Konsequenzen. Er wird Gudenus wegen des Verdachts der üblen Nachrede und Verleumdung klagen. Unterstützt wird er von Medienanwältin Maria Windhager. Laut Gesetz stehen dem jungen Lehrling wegen "immaterieller Schäden" bis zu 20.000 Euro zu.

Gute Prozess-Chancen

Die Chancen, den Prozess zu gewinnen, stehen gut. Die FPÖ unterstellte dem Flüchtling, mit einer Terrorgruppe zu sympathisieren, und seine Person war zudem leicht identifizierbar: Der Lehrling wohnt in einer 1500-Seelen-Gemeinde und von der Supermarktkette, für die er arbeitet, gibt es dort genau eine Filiale.

Aber auch die "Krone" könnte geklagt werden. Sie hat den Text zwar richtiggestellt, freilich klein und versteckt in der Print-Ausgabe, aber die tausendfach angeklickte Ausgangsgeschichte war noch stundenlang online und tagelang auf der Facebook-Seite der Zeitung zu finden. Gudenus entfernte ebenfalls erst Tage später den Eintrag von seiner Facebook-Seite, in dem er behauptet, dass der Jugendliche "der Terrororganisation Hisbollah huldigt".

Bis zuletzt machte die FPÖ Anschober dafür verantwortlich, was dem Jugendlichen zugestoßen ist. Die Causa habe auf seiner Facebook-Seite ihren Ursprung genommen. Das stimmt - aber auch nicht. Um diesem Vorwurf die Grundlage zu nehmen, braucht es die Vorgeschichte.

Bundespräsident Van der Bellen hatte Mitte August den von Abschiebung bedrohten Lehrling öffentlichkeitswirksam besucht. Dies wurde auch auf der Facebook-Seite des Landesrats Anschober mit mehreren Fotos dokumentiert. Im Text dazu ist der Vorname des Lehrlings angegeben, auf einem der Fotos jedoch, auf dem der Jugendliche zu sehen ist, war dieser mit einem anderen Facebook-Profil verlinkt. Auf diesem Profil war schnell ersichtlich, dass es sich um eine völlig andere Person handelt, die außerdem angibt, in Wien zu leben. Diese Person zeigte die FPÖ aber an und hielt sie fälschlicherweise für den besagten Lehrling.

Neben "Gefällt mir"-Angaben, dem berühmten Daumen nach oben, gibt es weitere Möglichkeiten, wie man auf einem Facebook-Profil interagieren kann: User können Beiträge kommentieren oder Personen, aber auch sich selbst in einem Textbeitrag oder auf Bildern markieren. So kann jemand ein Familienporträt hochladen und alle seine Verwandten mit ihrem Facebook-Profil darauf markieren, Profil und Person auf dem Bild verbinden.

Andererseits können sich vergessene Verwandte selbst mit ihrem Profil auf dem Bild verewigen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Funktion ist generell für alle freigegeben, oder der Inhaber des Fotos muss der Markierung zustimmen, wenn die Privatsphäre-Einstellungen entsprechend geregelt sind. In jedem Fall lässt sich nachprüfen, wer wen oder ob sich jemand selbst markiert hat.

Anschober hat den Account, den die FPÖ verdächtigte, nachweislich nicht auf den Bildern mit dem "Musterlehrling" markiert. Das war die Person selbst. Die Funktion, Fotos mit Profilen zu markieren, ist auf Anschobers Facebook-Seite für alle Nutzer freigegeben. "Anschober kann daher nicht zur Verantwortung gezogen werden", sagt Windhager. Das sei nur der Fall, wenn Anschober die Markierung selbst gesetzt hätte und der bloße Gesamteindruck entsteht, dass er sich "mit einem problematischen verlinkten Inhalt identifiziert". An der Causa "Musterlehrling" werde aber deutlich, was passieren könne, wenn man sich mit den Funktionen von
Facebook nicht auskenne, so Windhager.

Hätte er es wissen müssen?

Die weitere Frage, die sich stellt, ist, ob Anschober der problematische Account hätte auffallen müssen. Windhager ist skeptisch, da die normale Haftung bei der Löschung, etwa von Kommentaren, auf der Kenntnis über die Inhalte beruht. Juristen sind sich einig, dass hier eine Prüfpflicht auszuschließen ist, da man sonst jeden Account, der auf einem öffentlichen Profil etwas postet oder sich auf einem Foto markiert, auf problematische Inhalte durchforsten müsste.

Inzwischen wurden auch gegen das eigentliche Profil, das sich als "Musterlehrling" ausgeben hat und von der FPÖ angezeigt wurde, die Ermittlungen eingestellt. Jene Person hat die Seite der "Liwa Fatemiyoun", eine afghanische Kampfmiliz im Syrien-Krieg, zwar geliked, sie sei aber keine Terrororganisation, befand die Staatsanwaltschaft. Ein "Like" reiche zudem nicht aus, um als Mitglied einer Terrororganisation zu gelten, sagte der Rechtsanwalt Wolfgang Blaschitz in dieser Zeitung, der sich als Vertreter der "Austro-Dschihadisten" einen Namen gemacht hat. An der Causa "Musterlehrling" der FPÖ stimmte also zum Schluss rein gar nichts.