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Wahlreformen gefordert

Von Paul Grohma, Michael Lidauer und Armin Rabitsch

Recht

Kommenden Mai wird auf EU-Ebene gewählt - das Wahlsystem ist aber reformbedürftig, ist aus Brüssel zu hören.


Die Europawahl ist eines der größten demokratischen Ereignisse weltweit: Im Mai 2019 können etwa 340 Millionen Wahlberechtige über 705 Abgeordnete im Europäischen Parlament entscheiden und bestimmen so die Zukunft der Europäischen Union direkt mit. Das Wahlsystem ist aber reformbedürftig, wie aus Brüssel zu hören ist.

Seit der erstmaligen Durchführung der Europawahl 1979 wurde der entsprechende Rechtsrahmen bis auf die Einführung des Verhältniswahlrechts nicht wesentlich geändert. Auf europäischer Ebene basiert dieser hauptsächlich auf dem Vertrag über die EU und dem 1976 verabschiedeten Direktwahlakt, der allerdings nur Leitprinzipien festlegt. Das Europäische Parlament kann Änderungen des Rahmens dem Europäischen Rat vorschlagen. Die Mitgliedstaaten müssen diese akzeptieren.

Die Abhaltung der Wahl ist jedoch in wesentlichen Bereichen nicht durch europäisches Recht, sondern durch nationale Rechtsprechung und Traditionen geregelt. Technisch gesprochen handelt es sich bei der Europawahl 2019 um 27 Einzelwahlen für ein gemeinsames Vertretungsorgan. Die Wahl kann sich je nach Land bezüglich aktiver und passiver Wahlberechtigung, Wahlsystem, -einteilung, -alter, -tag, Fristen für die Registrierung von Kandidaten und Wählern, Regeln für die Wahlkampffinanzierung und in weiteren Bereichen unterscheiden.

Um die Grundlagen zur Abhaltung der Europawahl zu harmonisieren und niedriger Wahlbeteiligung durch eine "Europäisierung" entgegenzuwirken, hat eine Mehrheit im Europäischen Parlament schon im November 2015 für Wahlreformen gestimmt. Der Europäische Rat hat nach zweieinhalb Jahren nur in wenigen Bereichen zugestimmt. Die Umsetzung der Reformvorschläge ist schwierig, da die Mitgliedstaaten zu Einstimmigkeit verpflichtet sind und manche Reformen in einzelnen Ländern Verfassungsänderungen bedingen. Hier die Empfehlungen im Detail:

Sichtbarkeit der Europaparteien: Diese sind den Wählern wenig bekannt und sollten auf dem Stimmzettel zusammen mit nationalen Listen angeführt sowie auf Wahlwerbungsmaterial kenntlich gemacht werden. Dieser Vorschlag wird nur auf freiwilliger Basis umgesetzt. In Österreich werden die Europaparteien auf dem Stimmzettel angeführt.

Einheitliche Fristen:Die Wettbewerbsbedingungen für Kandidaten zur Europawahl sind in den EU-Ländern nicht einheitlich. Das Europäische Parlament hat eine Mindestfrist von zwölf Wochen zur Erstellung wahlwerbender Listen vorgeschlagen, der Europäische Rat hat einem Minimalkonsens von drei Wochen zugestimmt.

Sperrklauseln:Um der Zersplitterung des Europäischen Parlaments durch Kleinstparteien vorzubeugen, wurde eine Einzugshürde vorgeschlagen. Diese wurde vom Europäischen Rat angenommen und auf einen Bereich zwischen zwei und fünf Prozent festgelegt. Die neue Regelung tritt aber erst 2024 in Kraft und betrifft nur Deutschland und Spanien.

Einheitliches Wahlende: Viele EU-Länder wählen am Sonntag, aber nicht alle. Deshalb erstreckt sich die Europawahl von Donnerstag bis Sonntag. Ziel des Parlamentsvorschlags war es, die Wahl durch einen gemeinsamen Abschluss mehr zu einem europäischen Ereignis zu machen. Der Vorschlag wurde nicht angenommen.

Gemeinsame Spitzenkandidaten: Bestrebungen für europaweite Spitzenkandidaten beruhen auf der Hoffnung, dadurch das Interesse der Wähler an der EU zu stärken. Der Vorschlag wurde bereits 2014 teilweise umgesetzt und gilt auch für die Europawahl 2019. Die Idee wird aber nicht von allen Mitgliedstaaten unterstützt und an die Wahlberechtigten kommuniziert.

Wahlrecht für EU-Bürger in Drittländern:Das Parlament hat die Empfehlung geäußert, dass EU-Bürger mit Wohnsitz in Drittländern das Recht haben sollten, an der Europawahl teilzunehmen, da dies nicht überall der Fall ist. Damit im Zusammenhang sieht die Änderung des Wahlakts Maßnahmen zur Verhinderung doppelter Stimmabgabe vor. Die EU-Länder haben sich verpflichtet, Kontaktstellen für den Austausch von Daten einzurichten, um das Wahlrecht im europäischen Ausland zu gewährleisten. Dieser Datenaustausch soll spätestens sechs Wochen vor der Wahl beginnen.

Einführung eines einheitlichen Wahlalters: Das Parlament schlug ein einheitliches Wahlalter mit 16 vor, das außerhalb Österreichs auf nationaler Ebene nur in Malta besteht. Diese Empfehlung wurde nicht umgesetzt.

E-Voting und Briefwahl:Die EU-Abgeordneten äußerten auch Empfehlungen hinsichtlich alternativer Wahltechniken. Der neue Europäische Ratsbeschluss erlaubt den Mitgliedstaaten die vorzeitige und elektronische Stimmabgabe sowie die Internet-Wahl, fordert dabei aber Maßnahmen zur Gewährleistung der Ergebnissicherheit sowie des Schutzes von Wahlgeheimnis und personenbezogener Daten.

Frauenbeteiligung: Der Frauenanteil im Europäischen Parlament unterscheidet sich zwischen den Mitgliedstaaten deutlich und liegt im Durchschnitt bei 37 Prozent. Das Parlament hat empfohlen, diesen in allen Aspekten der Europawahl zu fördern. Die Empfehlung wurde nicht umgesetzt.

Über diese Themen hinaus, für die nur ein Minimalkonsens mit meist nicht verpflichtenden Richtlinien gefunden wurde, stellen sich neue Herausforderungen, die auch die österreichische EU-Ratspräsidentschaft beschäftigen. Beim Treffen der EU-Führungsspitze in Salzburg hat die Europäische Kommission Empfehlungen "zu Wahlkooperationsnetzen, zu Online-Transparenz, zum Schutz vor Cybersicherheitsvorfällen und zur Bekämpfung von Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit Wahlen zum Europäischen Parlament" bereitgestellt. Diese Themen werden nicht zuletzt aufgrund von Cyberattacken auf Wahlen in den USA und in Frankreich intensiv diskutiert und werden Wahlbehörden, Kandidaten und Wähler noch beschäftigen.

Durch den Brexit Ende März 2019 verliert das Europäische Parlament 73 Mandatare. 27 Sitze werden auf 14 Mitgliedstaaten umverteilt; Österreich bekommt einen Sitz dazu und hat künftig 19 Mandate. Die verbleibenden 46 Sitze werden für transnationale Sitze oder neue Mitgliedstaaten reserviert. Die Idee transnationaler Sitze, die von allen Wahlberechtigten in der EU gemeinsam gewählt werden könnten, wird seit Jahren diskutiert und vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron unterstützt, hat bislang aber keine Mehrheit gefunden.

Diese Auseinandersetzungen sollten EU-Bürger in allen Mitgliedstaaten beschäftigen. Das Europäische Parlament lanciert die Initiative "Diesmal wähle ich", um zur Wahlteilnahme zu motivieren. Als Instrument zur steten Verbesserung der Wahlpraxis wäre auch eine regelmäßige Beobachtung und Bewertung der Europawahl auf Basis internationaler Standards und guter Praktiken wünschenswert. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat die Europawahl 2004 und 2009 beobachtet und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Europäischen Wahlrechts formuliert. Eine neuerliche OSZE-Wahlbeobachtung 2019 wäre sinnvoll.

Die OSZE ist allerdings nicht in der Lage, die Europawahl in allen Mitgliedstaaten zu beobachten. Diese Maßnahme könnte nur durch zivilgesellschaftliche Wahlbeobachter geleistet werden. Um dies zu ermöglichen, braucht es ebenso wie für die Umsetzung anderer Wahlreformen ein ausreichendes Maß an politischem Willen. Alle EU-Länder haben zwar das Kopenhagen-Dokument der OSZE (1990) unterzeichnet, das die teilnehmenden Staaten zu gegenseitiger sowie zivilgesellschaftlicher Wahlbeobachtung verpflichtet. Viele EU-Länder sind in der Umsetzung jedoch säumig. OSZE-Berichten zufolge haben bisher nur vier EU-Mitgliedstaaten (Kroatien, Finnland, die Niederlande, Rumänien) einen ausreichenden rechtlichen Rahmen für internationale und nationale Wahlbeobachtung geschaffen.

Wahlreformen sind nicht nur in Europa Thema, sondern auch auf nationaler Ebene. Mitte September haben Vertreter der OSZE und der zivilgesellschaftlichen, unparteiischen Initiative wahlbeobachtung.org, dessen Team aus Paul Grohma, Michael Lidauer und Armin Rabitsch besteht, Empfehlungen für Wahlreformen in Österreich mit den Verfassungssprechern aller Parlamentsparteien diskutiert. Die Veranstaltung im Parlament mit mehr als 100 Teilnehmern setzte ein positives Signal für partizipative Wahlreformen und stellt den Auftakt für weitere Gespräche dar. Es bleibt zu sehen, ob das Wahlrecht noch vor der Europawahl im Mai 2019 aktualisiert wird.

Was die Umsetzung internationaler Übereinkommen, von Prinzipien geleiteten Wahlreformen sowie die Einrichtung von Wahlgleichheit in der Europäischen Union betrifft, gibt es also noch viel zu tun. Wahlbeobachtung könnte ein Mittel und Werkzeug dafür sein, die relevanten legislativen als auch politischen Reformprozesse auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten zu unterstützen.