Der Titel wirkt wie ein düsterer Zeitkommentar, ist aber natürlich nicht so gemeint. Carl Orffs "De temporum fine comoedia", auf Deutsch: "Das Spiel vom Ende der Zeiten" steht als Eröffnungspremiere der heurigen Salzburger Festspiele seit Jahren fest, und zwar aus künstlerischen Gründen: Der Operneinakter, vor knapp 50 Jahren bei dem Festival uraufgeführt, hat Intendant Markus Hinterhäuser zu einer Neubegegnung gereizt.

Gerade im Krisensommer 2022 fällt es allerdings schwer, diesen Titel nicht auf die Gegenwart zu beziehen. Nicht nur nimmt der Klimawandel immer virulentere Formen an; die Pandemie treibt nun auch im Sommer ihre Blüten und könnte manchen Festspieltermin gefährden. Zudem ist am 24. Februar der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Wie lange die Zerstörungswut von Russlands Präsident Wladimir Putin in der Ukraine noch anhält, ist unwägbar - ebenso wie sein Gebaren als Gaslieferant Europas. Kurz: Probleme, wohin man blickt.

Zum ersten Mal mit geharnischter Kritik konfrontiert: Intendant Markus Hinterhäuser. 
- © afp / Alex Halada

Zum ersten Mal mit geharnischter Kritik konfrontiert: Intendant Markus Hinterhäuser.

- © afp / Alex Halada

Auch die Festspiele müssen sich mit einem Teilaspekt des Kriegs herumschlagen. Die Frage ist zwar nur moralisch, aber wird doch vehement debattiert: Wie umgehen mit Musikern und Sponsoren aus Putins Reich? Intendant Hinterhäuser nimmt dazu einen differenzierten Standpunkt ein, der manche überrascht hat - und den bisherigen Publikums- und Medienliebling einigen Zuspruch gekostet hat.

Keine Kollektivschuld

Aber der Reihe nach. Bereits ab März gerieten russische Künstler ins Visier, die bisher konfliktfrei in Ost und West gewerkt hatten. Vor allem für Valery Gergiev, in der Heimat gewissermaßen Putins Leibdirigent und Chef des Mariinski-Theaters, in Deutschland Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, kam es dick. Die bayerische Politik forderte ihn auf, entweder Farbe gegen den Krieg zu bekennen oder seinen Posten niederzulegen - woraufhin Gergiev ins Vaterland zurückkehrte.

Auch Anna Netrebko geriet unter Druck: Die weltweit führende Sopranistin hatte im Jahr 2014 eine Fahne der Separatisten im Donbass geschwenkt und war Putin immer wieder persönlich begegnet, mutmaßlich als Unterstützerin. Die Sängerin mit der russisch-österreichischen Doppelstaatsbürgerschaft reagierte ungeschickt auf die Zwickmühle: Erst distanzierte sie sich halbherzig von der Invasion und löschte diese Erklärung - wodurch sie ihre Engagements im Westen verlor. Später distanzierte sie sich klar von dem Krieg und wurde in Russland als "Verräterin" punziert.

Währenddessen begann sich unter den heimischen Veranstaltern ein gemäßigter Grundsatz herauszubilden: Man schließe nur Künstler aus, die den völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine unterstützen sowie Präsident Putin, hieß es aus den Wiener Klassiktempeln. Was man sicher nicht tun werde: Musiker russischer Herkunft kategorisch auszuladen oder sie zu einem Offenbarungseid gegen Putin zu zwingen. Ein vernünftiges Vorgehen, denn ein solches forciertes Credo wäre gerade für Künstler mit russischem Wohnort eine Zumutung: Es würde ihre Existenz vernichten, wenn nicht gar eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen. Bis zu 15 Jahre drohen Russen alleine dafür, die "Spezialoperation" in der Ukraine als Krieg zu bezeichnen.

Aber zurück zu den Salzburger Festspielen. Die meinten, für heuer erst einmal konfliktfrei davongekommen zu sein. Immerhin waren für diesen Sommer keine Auftritte von Gergiev und Netrebko geplant, und sonst ging es ja vorerst um niemanden. Allerdings: Es sollte doch noch ein besonders delikater Fall zu entscheiden sein - verbunden mit dem Namen Teodor Currentzis.

Der griechisch-russische Dirigent und Gründer von MusicAeterna arbeitet seit Jahrzehnten mit seinem Orchester in wechselnden russischen Städten, seit 2019 in St. Petersburg. Das pikante Detail: Das Ensemble wird dort maßgeblich von der VTB-Bank gesponsert, die zu 60 Prozent dem russischen Staat gehört und auf der europäischen Sanktionsliste steht. Die Gretchenfrage: Soll man MusicAeterna deshalb aus Europa verbannen - obwohl Currentzis den Krieg niemals explizit befürwortet hat?

Matthias Naske, Intendant des Wiener Konzerthauses, entschied sich im Frühjahr dafür, ein geplantes Gastspiel nicht abzusagen. Das begann dann mit zwei umjubelten Konzerten im April, ging aber mit einer Schlappe zu Ende - und das trotz rührender pazifistische Gesten. Für das Finale hatte sich Currentzis bereit erklärt, ein Benefizkonzert zugunsten von Ukraine-Flüchtlingen zu geben, das Orchester war in Wien außerdem mit ukrainischen Musikern verstärkt worden. Doch der Abend wurde politisch torpediert: Naske ließ sich vom ukrainischen Botschafter zu einer Absage bewegen.

Ein ähnlicher Druck baut sich seit Frühling gegen die Salzburger Festspiele auf, prallt aber an der Tür des Intendanten ab. Markus Hinterhäuser hat Currentzis sowie den Chor von MusicAeterna für den erwähnten Orff-Einakter am Festivalbeginn engagiert und das russische Orchester auch für einen Konzertauftritt Mitte August - und der Intendant sieht keinen Grund, daran etwas zu ändern.

Dass sich Currentzis nicht dezidiert gegen den Krieg äußert? Es ist für Hinterhäuser nur logisch: Der Dirigent schütze damit seine russischen Musiker. Dass die VTB-Bank das Ensemble unterstützt? Hinterhäuser prophezeit, dass Currentzis eine neue Heimat für sein Orchester suchen werde, sich dies in Kriegszeiten aber nicht schnurstracks erledigen lasse. Außerdem möge man bitte die Kirche im Dorf lassen: VTB finanziert das Orchester, nicht die Salzburger Festspiele.

Keine russische Übernahme

Falsch ist laut Hinterhäuser auch, dass russische Geldgeber die Salzburger Festspiele mehr oder minder "unterwandern" würden, wie dies in manchen Medienberichten behauptet wurde. Die Festspiele haben keine Großsponsoren aus Putins Reich, betonte der Intendant jüngst zum wiederholten Mal. 2019 wurde zwar ein Projekt-Sponsoring mit Gazprom und OMV paktiert, de facto floss dann aber kein Cent.

Stimmt zwar, dass die Festspiele auch russische Förderer besitzen; die V-A-C-Stiftung etwa des Oligarchen Leonid Michelson, seines Zeichens Hauptaktionär des russischen Petrochemie-Konzerns Sibur. Dessen Stiftung steht bis heute aber nicht auf der Sanktionsliste der EU, weshalb sich die Salzburger Festspiele weiter von ihr unterstützen lassen. Das gleiche Prinzip gilt für den russischen Freundeverein der Festspiele - eine Vereinigung, die laut Hinterhäuser aus rund 15 Personen besteht. Die meisten davon hätten eine Silver-Club-Mitgliedschaft, würden den Festspielen also einen Beitrag von 10.000 Euro jährlich spenden.

Verglichen mit dem Jahres-Etat des Festivals sind das Peanuts: Das Budget rangiert bei 66,7 Millionen Euro. Nur 27 Prozent davon stammen aus dem Steuertopf, die restlichen 73 Prozent müssen über Tickets, Vermietungen, Merchandising und die erwähnten Sponsoren und Mäzene erwirtschaftet werden. Der bedeutendste private Geldgeber ist dabei der Verein der Freunde der Salzburger Festspiele: Der Verband mit global mehr als 6.000 Mitgliedern steuert rund fünf Prozent des Jahresbudgets bei, also rund drei Millionen Euro. Die Sponsoren - zu den bedeutendsten zählen Audi, Siemens und Rolex - stellten im Vorjahr insgesamt neun Millionen Euro zur Verfügung.

Zum Image-Problem entwickelte sich heuer allerdings ein Projektsponsor, nämlich das Bergbauunternehmen Solway mit Sitz in der Schweiz. Der Sponsorenvertrag mit den Festspielen wurde in dieser Woche "mit sofortiger Wirkung im gegenseitigen Einvernehmen" aufgelöst, hieß es. Die Vorgeschichte: Eine Rechercheplattform hatte Solway Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in Guatemala vorgeworfen. Zwei Künstler des heurigen Salzburger Sommers haben die Festivalleitung in der Folge darauf hingewiesen und auch öffentlich Stellung gegen Solway bezogen. Das Bergbauunternehmen, das im Vorjahr 150.000 Euro zur Verfügung gestellt hatte, versprach daraufhin eine Prüfung der Vorwürfe, konnte diese aber bis Anfang Juli nur teilweise ausräumen. Wohl um gröbere Misstöne rund um die Festspiel-Eröffnung zu vermeiden, wurde die Verbindung zwischen Salzburg und der Firma in dieser Woche gekappt.

Das Thema beschäftigt mittlerweile auch die Politik: Kunststaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) lässt derzeit eine Richtlinie für ethisch korrektes Sponsoring erarbeiten, das Papier soll im Herbst vorliegen. Das Ziel: Die Wirtschaft möge zwar weiterhin die Kunst fördern. Doch privates Geld, das mit Menschenrechtsverletzungen, Gesetzesbrüchen oder Kriegstreiberei erwirtschaftet wurde, soll nicht mehr in öffentlich subventionierte Bühnen fließen. Inwiefern sich der Wunsch nach "sauberem" Geld in einer globalisierten, diffizil verwobenen Wirtschaftswelt realisieren lässt, bleibt freilich abzuwarten.