Wieder steht er am Dirigentenpult der Salzburger Festspiele, wieder leitet er eine Opernpremiere mit Sängerin Asmik Grigorian und den Philharmonikern - doch das Stück überrascht: Nach den Strauss-Erfolgen gestaltet Franz Welser-Möst heuer Puccinis "Il trittico" (Premiere: 29. Juli). Im Interview spricht er auch über den Krieg und seinen Kollegen Teodor Currentzis.

"Wiener Zeitung":Wie laufen die Probenarbeiten in Salzburg?

Franz Welser-Möst: Gut, wobei: Ich habe jüngst das zweite Mal Covid hinter mich gebracht (lacht). Dadurch habe ich zwei Orchesterproben verloren, aber wir werden das schon hinkriegen. Es war ein milder Verlauf.

Und zum Glück vor der Premiere . . .

In unserem Ensemble waren jetzt einige infiziert. Covid war gnädig mit uns. Die Künstler sind erst dann erkrankt, als wir ihre Auftritte im Probenprozess bereits durchhatten.

Ihre Sympathien für Komponisten wie Richard Strauss oder Leoš Janáček sind bekannt, Sie werden aber eher nicht mit Giacomo Puccini verbunden. Wie kam’s, dass Sie seine Einakter-Trilogie "Il trittico" leiten?

Intendant Markus Hinterhäuser hat mich gefragt, und ich habe mit größter Begeisterung ja gesagt. Ich habe übrigens schon in meiner Zeit als Musikdirektor der Oper Zürich einiges von Puccini dirigiert, auch als Musikdirektor der Wiener Staatsoper.

"Il trittico" wird selten als dreiteiliger Abend gespielt, wie ihn Puccini wollte. Am öftesten kommt die Erbschleicher-Komödie "Gianni Schicchi" zur Aufführung, der düstere Thriller "Il tabarro" schafft es hier und da auf die Bühne. "Suor Angelica" wird dagegen immer wieder das schwächste Glied der Kette genannt.

Regisseur Christof Loy und ich sehen das absolut nicht so. Loy hat die Reihenfolge bewusst verändert. "Suor Angelica" steht jetzt am Schluss - Sie werden ein Taschentuch für dieses Ende brauchen! Loy verbindet die drei Einakter nicht zu einer Geschichte, sondern behandelt sie als unterschiedliche Opern - und macht dabei auch die unausgesprochenen Beziehungen zwischen den Charakteren, selbst den Randfiguren, sehr stark deutlich. Ich arbeite das erste Mal mit ihm, und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Ich bin jeden Tag mit größter Freude zu den szenischen Proben gefahren, was man ja nicht immer sagen kann.

Wie ist die musikalische Arbeit? "Il trittico" besitzt nur einen Ohrwurm, "O mio babbino caro", dafür eine enorme Bandbreite an Klangfarben.

Puccini bietet hier eine grandiose Vielfalt: "Gianni Schicchi" besitzt diese temporeiche Leichtigkeit, aus der sich einiges an Sarkasmus kitzeln lässt; "Il tabarro" zeigt sich, passend zum Handlungsort Paris, an den französischen Impressionisten geschult; und in "Suor Angelica" spürt man ein atmosphärisches Aufgreifen kirchenmusikalischer Bezüge.

In Salzburg diskutiert man dieser Tage nicht nur über Programm, sondern auch über Besetzungen: Hinterhäuser hält, zur Empörung einiger, am Engagement von Dirigent Teodor Currentzis fest, dessen Ensemble MusicAeterna mit russischen Staatsgeldern gefördert wird. Was ist Ihre Haltung zum Umgang mit russischen Künstlern?

Wir leben in einer Zeit, in der differenzierte Aussagen einen schweren Stand haben, sehr rasch ist man bei Schwarz-Weiß-Malerei und bei der Beurteilung, was richtig und falsch ist. Es wäre ein gewisses Maß an Gelassenheit angebracht. Wir haben in unserem Ensemble auch ukrainische und russische Künstler, und alle verstehen sich großartig. Was ich als vollkommen falsch empfinde, ist die sogenannte Cancel Culture: Dass irgendwelche jungen Solisten plötzlich ausgeladen werden, nur weil sie einen russischen Pass haben.

Was Currentzis in Salzburg anbelangt: Das Kuratorium, das auch politisch besetzt ist, hat eindeutig gesagt, dass dies eine künstlerische Entscheidung sei und somit dem Intendanten obliegt. Markus Hinterhäuser schätzt Currentzis sehr, also hat er auch diese künstlerische Entscheidung getroffen.

Haben Sie Fälle von Cancel Culture miterlebt?

Ich kann nur von Cleveland berichten, wo ich als Chefdirigent arbeite. Dort kümmern wir uns nicht um so etwas. Wir haben es zwar heuer unterlassen, am 4. Juli traditionsgemäß Tschaikowskis "Ouvertüre 1812" zu spielen. Aber der Grund dafür ist nicht Tschaikowskis Nationalität, sondern dass diese Musik den Krieg verherrlicht. Uns fiele es nicht im Traum ein, auf Tschaikowski, Schostakowitsch oder Strawinski zu verzichten. Ich verstehe vollkommen die Emotionen der Ukrainer. Aber wir können große Kunst nicht deshalb aus dem Fenster werfen, weil ein Tschaikowski nun einmal in Russland geboren worden ist.

Man sollte im Westen aber wohl doch auf Künstler verzichten, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin demonstrativ unterstützen?

Ja. Wenn ein Künstler dies tut und davon stark profitiert, sehe ich eine rote Linie überschritten.

Anderes Thema: Sie veröffentlichen heuer mit dem Cleveland Orchestra nicht nur Musik von Richard Strauss, sondern im Herbst auch ein Album mit Werken des hierzulande unbekannten US-Amerikaners George Walker. Wie sind Sie auf ihn gekommen?

Er war der erste Schwarze, der als Klaviersolist in der Carnegie Hall auftrat, der einen Pulitzer Preis für eine Komposition gewonnen hat und an der Juilliard School unterrichten konnte. Ein Mitarbeiter hat mich auf seine Musik gebracht, und ich war beeindruckt. Das klingt nicht nach amerikanischer Musik wie bei John Adams oder Leonard Bernstein, sie scheint eher geprägt von der Zweiten Wiener Schule. Es ist eine unglaublich komprimierte, komplexe, intensive Klangsprache.

Dieser Tage werden vermehrt Kunstschaffende ins Rampenlicht gerückt, die keine weißen Männer sind. Auf der einen Seite ist das ein löblicher Versuch, historische Ungerechtigkeiten auszugleichen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass soziale Kriterien wichtiger als künstlerische werden.

Es ist wichtig, dass man jenen Teilen der Gesellschaft, die aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts missachtet worden sind, den gebührenden Platz einräumt. In demokratischen Verfassungen steht, dass jeder Mensch vor dem Gesetz gleich ist, das muss man ernstnehmen. Heute befindet sich vieles im Umbruch, ich befürworte das. Warum soll eine Frau in einem Beruf nicht genauso gut sein wie ein Mann?

Ich will aber auch betonen: Uns in Cleveland geht’s allein um Qualität. Von vier Konzertmeistern sind zwei Frauen asiatischen Ursprungs. Wenn ich denen sagen würde, ich habe sie engagiert, weil sie Frauen sind, würden sie mir zu Recht den Geigenkasten vor die Füße werfen. Ob Frau oder Mann, hell- oder dunkelhäutig, das sind sekundäre Fragen, primär ist die Qualität. Nach diesem Prinzip haben wir auch die Person für unser Composer-Fellow-Programm übernächstes Jahr gewählt. Ich hatte zufällig ein faszinierendes Stück für Flöte gehört; wie sich herausstellte, stammt es von einer schwarzen Komponistin aus New York.

Noch zum Neujahrskonzert 2023, das Sie leiten werden: Die Prognosen für den Jahreswechsel sind in puncto Energiepreise und Inflation düster. Kann da Walzerstimmung aufkommen?

Kunst besitzt immer auch ein bisschen die Eigenschaft, dass man sich in sie flüchten kann. Wir können uns nicht 24 Stunden täglich nur mit negativen Dingen beschäftigen, dann gehen wir vor die Hunde. Wir brauchen positive Signale und einen Schuss Optimismus, gerade jetzt.