Als das Coronavirus die Wirtschaft Mitte März lahmlegte, saß Maskenbildnerin Regina Tichy in ihrem Atelier in Wien-Simmering. Sie arbeitete an Perücken für eine große Produktion. Hunderte Statisten stattet sie mit passenden Kopfbedeckungen aus. Tichy knüpft sie noch mit der Hand. Eine mühselige Arbeit: Bis zu 45 Stunden sitzt sie an einer Perücke. Woanders auf der Welt werden sie längst maschinell gefertigt. Ab Mitte Juni wäre Tichy voll im Einsatz gewesen: Oper im Steinbruch St. Margarethen, Seefestspiele Mörbisch, Haydn-Festspiele. Nun ist alles auf Eis gelegt, Vorstellungen sind auf 2021 verschoben. "Ich bin bis nächstes Jahr ohne Job. Alle Theater- und Filmproduktionen sind abgesagt", sagt Tichy der "Wiener Zeitung".

Alle Aufträge storniert

Tichy ist seit 2006 selbständig, davor arbeitete sie mehrere Jahre an der Wiener Staatsoper. Sie bereitet sich monatelang auf die Produktionen vor. Im Herbst beginnt sie für den kommenden Sommer zu planen. Bezahlt wird sie nicht nach jeder Vorstellung, sondern erst am Ende der Saison. "Ich habe kein Monatseinkommen im traditionellen Sinn. Die Regierung hat keine Ahnung von unserem Beruf", sagt Tichy. Das Geld muss sie sich einteilen. Weil sie zwischen Mitte März und Mitte April keinen Verdienstentgang vorweisen kann, hat sie keinen Anspruch auf die Gelder aus dem Härtefallfonds, den die Regierung für Ein-Personen-Unternehmen und Selbständige aufgelegt hat.

"Mir fehlt die Hälfte meines Jahreseinkommens", sagt die Maskenbildnerin. Die andere Hälfte verdient sie mit Events wie Halloween, Hochzeiten oder Fotoshootings, bei denen sie Menschen schminkt. Doch auch diese Aufträge sind komplett storniert. Sie schätzt, dass ihr Umsätze in Höhe von 20.000 Euro fehlen. Auf der Ausgabenseite stehen Fixkosten von 2500 Euro. Um ihr Atelier zu erhalten, verkauft sie auf der Plattform Willhaben Kleidung. Sie muss im Moment jeden Euro umdrehen. In ihrem Atelier lagern 1500 Perücken, die Arbeit mehrerer Jahre. Sie zu verkaufen, hat Tichy schon in Betracht gezogen, auch wenn es schmerzlich wäre. "Das käme einem kompletten Wertverlust gleich", sagt Tichy.

Als Mitglied der Wirtschaftskammer (WKO) fühlt sie sich im Stich gelassen. Sie versteht nicht, dass die Rücklagen der Kammer nicht angetastet werden. "Für welchen Fall werden diese Rücklagen denn sonst aufgehoben?" Sie hat bei der Kammer angefragt und E-Mails geschrieben. Seit eineinhalb Wochen wartet sie auf einen Rückruf. "Man wird mit automatischen Mails vertröstet", sagt Tichy. Die Förderregeln seien schwammig gemacht, die Formulare unübersichtlich. "Zum Ausfüllen brauche ich einen Steuerberater und der kostet wieder extra", beschwert sich Tichy.

Bangen um Existenz

Die Geschichte von Regina Tichy steht exemplarisch für die rund 315.000 Ein-Personen-Unternehmen (EPU), Kleinstunternehmen und Selbständigen in Österreich. Der Shutdown hat sie besonders stark getroffen. Stornierte Aufträge, verschobene Projekte, entgangene Umsätze: Viele bangen um ihre Existenz. Seit 16. März hat die Regierung ein System von Hilfen und Förderungen aufgebaut, um die Wirtschaft zu stützen. Für die EPU wurde ein eigener Härtefallfonds aufgelegt. Der Topf war zunächst mit einer Milliarde Euro gefüllt. Nach Kritik an Lücken im Rettungsschirm - die "Wiener Zeitung" berichtete - wurde der Kreis der Bezieher ausgeweitet, die Hilfen auf zwei Milliarden Euro aufgestockt.

Laut Wirtschaftskammer wurden bisher 137.000 Anträge gestellt, 115,7 Millionen Euro ausbezahlt. Wie viele Anträge auf die Soforthilfe von bis zu 1000 Euro abgelehnt wurden, kann man bei der WKO nicht beantworten. Beim Formular gebe es Pflichtfelder. Wer diese nicht ausfüllt, gelange nicht zum nächsten Schritt. Wer also aus der Antragsstellung rausfällt, werde nicht erfasst.

Die Regierung versprach mantraartig eine "rasche und unbürokratische Hilfe". Doch viele EPU sind frustriert. Wer sich eine schnelle Hilfe erwartet hatte, wurde enttäuscht. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erzählen Betroffene von den Problemen. Die Kriterien seien zu kompliziert, ständig ändere sich etwas, Termine werden verschoben - wie zuletzt das Datum für die Antragstellung für Phase 2 von 16. auf 20. April. Bis Geld fließt, vergehen Wochen. Die Höhe der Hilfen würde oft nicht mal einen Bruchteil der Kosten decken.

"Es mischt sich völlige Frustration mit absoluter Empörung", sagt Sonja M. Lauterbach, die eine Facebook-Gruppe für betroffene EPU und Selbständige gegründet hat. Lauterbach ist Unternehmensberaterin und leidet selbst auch unter der Krise. Sie sagt, dass die Soforthilfe den Allermeisten nicht helfe. "Den Verantwortlichen ist das aber nicht bewusst", sagt Lauterbach.

Kritik an Berechnung

Kritik wird etwa daran laut, dass die Hilfen der Regierung an der Realität der EPU vorbeigehen. Das Feld der Ein-Personen-Unternehmen ist breit gefächert. Von Friseuren über Fotografinnen bis hin zu Physiotherapeuten und Vortragenden. Geld fließt meist nicht regelmäßig, sondern in Wellen. Es gibt Monate mit Umsatzspitzen und Monate, in denen sie streng haushalten müssen. Viele arbeiten projektbezogen. Und EPU und Selbständige haben es generell schwerer, an Gelder zu kommen, als große Unternehmen mit eigener Buchhaltung.

Um sich durch den Antrags-dschungel zu kämpfen, brauchen viele deshalb die Hilfe eines Steuerberaters. "Viel komplizierter hätte man das nicht machen können", sagt der Wiener Steuerberater Josef Horvath, der viele EPU betreut. Er versteht nicht, warum in den Kriterien die Umsatzrentabilität bei der Berechnung der Anspruchshöhe zum Tragen kommt. Die Umsatzrentabilität gibt an, in welchem Verhältnis der Gewinn zum Umsatz steht. "Wenn ein Ein-Personen-Unternehmer 2018 Verlust gemacht hat, weil er Neugründer war, hat das wenig Bedeutung für 2020", sagt Horvath.

Die Kriterien für den Härtefallfonds verlangen aber positive Einkünfte aus selbständiger Arbeit und/oder Gewerbebetrieb. Das Problem liegt darin, dass die Umsatzrentabilität nicht die aktuellen Umsatzentgänge widerspiegelt. Die Kennziffer sagt lediglich aus, wie rentabel ein Unternehmen im ganzen Jahr ist. Sie lässt keine Rückschlüsse auf getätigte Investitionen, saisonale Schwankungen oder "Gesundheit" eines Unternehmens zu. "Durch diese Berechnungsanweisung fallen viele aus dem Anspruchskreis raus", sagt die Unternehmensberaterin Lauterbach.

"Hier wurde an der Realität vorbeigeregelt", sagt Horvath. Er sei gespannt, wie viele EPU ihn ab 20. April brauchen werden, wenn die Anträge für die zweite Phase gestellt werden können.

In der zweiten Phase können EPU maximal 6000 Euro für drei Monate beantragen. Das Geld wird wie in Phase 1 als Zuschuss gewährt und muss nicht refundiert werden.

Ob Elisabeth J. für die zweite Phase einen Antrag stellt, weiß sie noch nicht. "Ich habe noch nicht eingereicht, weil die Chancen so schlecht stehen, etwas zu bekommen", sagt J. Sie betreibt in Wien eine Praxis für Logopädie, in der sie hauptsächlich Kleinkinder behandelt. Seit Mitte März ist ihre Praxis geschlossen. Eine behördliche Anordnung hat es dazu zwar nicht gegeben, doch sie konnte aufgrund der verschärften Hygieneauflagen und Sicherheitsabstandsregelungen keine Patienten mehr empfangen.

"Es fühlt sich so unfair an, weil man hart getroffen ist, aber kein Geld bekommt", sagt Logopädin Elisabeth J. - © Andreas Jawkerth
"Es fühlt sich so unfair an, weil man hart getroffen ist, aber kein Geld bekommt", sagt Logopädin Elisabeth J. - © Andreas Jawkerth

J. rechnet ihre Patienten quartalsweise mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) ab. Im März 2020 erhielt sie etwa Geld für Leistungen aus dem letzten Quartal 2019. "Ich hatte im März de facto Umsatzeinbußen von 100 Prozent", sagt J. Für die WKO-Kriterien werden die Zahlungen aus dem Vorjahr aber als Umsatz gewertet. Deshalb kann J. keinen 50-prozentigen Umsatzentgang - wie in den Kriterien vorgesehen - geltend machen.

"Die vorgegebenen fixen Beobachtungszeiträume der Wirtschaftskammer werden uns bei der Quartals-Verrechnungs-Verzögerung zum Verhängnis", sagt sie. Beim Verband der Logopäden Österreich kennt man die Problematik der Vertragslogopäden. Man sei in Kontakt mit der ÖGK, um das Problem mit den Zahlungen zu klären.

"Es fühlt sich so unfair an, weil man hart getroffen ist, aber kein Geld bekommt", sagt J. Sie kann ihre Miete und die anderen Fixkosten noch aus Erspartem bezahlen. Die Ungewissheit macht ihr jedoch zu schaffen.

Feedback wird aufgenommen

Aus dem Finanzministerium heißt es, man nehme Feedback jederzeit auf. "Wir schauen uns an, wie groß der Bedarf an Nachbesserungen ist. Aktuell sehen wir keinen Bedarf", heißt es. Das Netz für die EPU sei nun sehr breit geknüpft, die meisten sollten damit erreicht werden. Bei der WKO verweist man darauf, dass durch die Ausweitung der Kriterien wesentlich mehr Unternehmer anspruchsberechtigt seien.

Maskenbildnerin Regina Tichy denkt noch nicht ans Aufgeben. Sie hat ihr Atelier mit Desinfektionsmittel gereinigt und kümmert sich um die Buchhaltung. Ihre Reserven reichen noch bis September. "Danach wird es haarig", sagt sie. Anfang Mai dürfen die Friseure ihre Salons wieder aufsperren und Kunden empfangen. Auch Tichy ist gelernte Friseurin. Sie könnte ihr Atelier zum Salon umfunktionieren. "Doch woher soll ich Kunden kriegen?"

Anmerkung: Im Artikel war zunächst von 4000 Perücken die Rede. 1500 Perücken ist die korrekte Zahl.