Atanas Pekanov, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, war noch in den USA, als dort die ersten Vorboten der Pandemie auftauchten. Zurück in Europa hat er damit zu tun, die düsteren Konjunkturmodelle zu interpretieren.
"Wiener Zeitung": In Europa ebbt die erste Pandemie-Welle langsam ab. Ist auch ökonomisch das Schlimmste vorüber?
Atanas Pekanov: Die derzeitigen Prognosen sind meiner Einschätzung nach zu optimistisch: Denn ein großes Comeback der Weltwirtschaft für nächstes Jahr ist unwahrscheinlich. Zu stark ist die Wirtschaftsentwicklung vom Virus und den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bestimmt. Mittlerweile ist außer Zweifel: Der Absturz ist viel tiefer als in der Großen Rezession von 2008 - ein Vergleich mit der Großen Depression von 1929 ist leider viel passender.

Was erwarten Sie für Österreich?
Österreich steht besser da als andere EU-Länder. Und zwar aus zwei Gründen: Die drastischen Maßnahmen der Regierung waren sehr effizient. Das erlaubt jetzt eine frühere Lockerung. Zweitens: Die Regierung hat ein relativ umfangreiches Hilfspaket auf den Weg gebracht. Unternehmen und Haushalte werden unterstützt und das reduziert die Unsicherheit im System. Damit ist auch die Hoffnung auf Konsum-Nachholeffekte in zwei, drei Monaten intakt.
"Go fast - go big", also ein schnelles, gigantisches Hilfspaket: Das sei der richtige Weg, hieß es von Expertenseite. Hat Österreich das gemacht?
Absolut. Das war der richtige Weg. Die Devise lautet: "Whatever it takes" - alles zu tun, was notwendig ist, um die Wirtschaft zu retten. Die Kurzarbeit - ein wirklich hervorragendes Instrument in der jetzigen Situation - wurde Schritt für Schritt aufgestockt. Kurzarbeit funktioniert wunderbar, aber dieses Instrument kostet natürlich viel Geld. Aber: Österreich ist eines der stabilsten Länder in der Eurozone, die Zinsen auf Staatsanleihen sind sehr, sehr niedrig. Die Republik hat daher einen sehr großen finanziellen Spielraum.
Wie geht es Österreichs Nachbarn?
Ich komme selbst aus Bulgarien und beobachte die Lage in Mittel-, Ost- und Südosteuropa daher mit großem Interesse. Die meisten Länder der Region haben entschlossen auf die Pandemie reagiert und die Lage scheint unter Kontrolle. Makroökonomisch wird Osteuropa aber sehr stark getroffen, weil es - vor allem was die Industrieverflechtungen betrifft - sehr stark an Kerneuropa angebunden ist. Die Schließung der Automobilwerke in Deutschland bedeutet auch für die Zulieferer in Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen schwere Verluste. Zudem leiden Kroatien und Bulgarien sehr unter dem Einbruch des Tourismus. Für Österreich - aber auch für den Euroraum - ist Italien die größte Sorge. Eine der Aufgaben wird nun sein, Italien wirtschaftlich auf die Beine zu helfen.
Wie sieht es außerhalb Europas aus?
Ich war im März noch in den USA und da gab es schon damals Sorge, dass die Bundesbehörden viel zu lange zugewartet haben. Aber: Die USA können massiv eingreifen - und das ist ja bereits geschehen. Der US-Kongress hat ein gigantisches Hilfspaket auf den Weg gebracht und auch die Notenbank Federal Reserve hat die US-Wirtschaft massiv unterstützt. Kurzfristig sind die Schäden für die Wirtschaft extrem - vor allem, weil es in den USA kaum eine soziale Abfederung gibt. In Europa bewährt sich das Kurzarbeitsmodell einmal mehr. Denn wenn Millionen von Menschen ihre Jobs einfach verlieren wie in den USA, dann gehen auch die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verloren und es dauert beim Wiederaufschwung viel länger, bis die Unternehmen wieder voll arbeitsfähig sind. Nach dem Ende der Krise wird es in den USA einige Zeit dauern, bis die Arbeitslosenzahlen wieder sinken. Das Europäische Modell ist effizienter, wenn man die Wirtschaft - wie jetzt geschehen - einfrieren muss. Aber wie gesagt, die USA haben das Dollar-Privileg - das gibt der Notenbank des Landes, der Federal Reserve einen unglaublichen Spielraum.
Kann es sein, dass man nun eine Chance auf einen notwendigen Strukturwandel der Wirtschaft vertut, indem man etwa Zombie-Firmen am Leben erhält, die mit oder ohne Corona untergegangen wären?
Ich halte von der Zombie-Unternehmen-Debatte nicht viel. Der Grund: Die überwiegende Zahl der österreichischen Firmen war ja vor Corona kerngesund. Es kann schon sein, dass jetzt ein paar Firmen das Leben verlängert wird, die vorher schon marode waren. Aber solche Unternehmen werden nach der ersten Rettungsphase umso schneller untergehen und nicht monatelang durch die Unternehmenslandschaft geistern. Was ich viel eher sehe: Das Virus wirkt wie eine Innovationspeitsche für viele Unternehmen. Homeoffice, Teleworking, Digitalisierung, E-Commerce. Vieles, was da in Vergangenheit verschlafen worden ist, musste jetzt in einem Monat nachgeholt werden. Ich möchte aber nicht falsch verstanden werden: An das Gerede von der "Krise als Chance" glaube ich nicht. Dazu ist der angerichtete Schaden viel zu groß. Ich glaube auch, dass die Krise für die notwendigen Transformationsprozesse - Stichwort Nachhaltigkeit - alles andere als hilfreich ist. Weil jetzt muss man Projekte rasch implementieren, da fehlt einfach die Zeit für Projekte, die diesen längerfristigen Transformationsprozess unterstützen. Und danach droht vielfach, dass Geld für solche wichtigen Investitionen fehlt.
Im Moment zieht ein Player den anderen nach unten: China und Südkorea können nicht so richtig ins Wachstum zurückkehren, wenn Europa noch tief in der Krise steckt. Und Europa kann sich nicht erholen, solange die USA in einer Depression gefangen sind.
Absolut. Auch Länder wie Österreich oder Deutschland, die die Krise recht gut meistern, sind von ihren Handelspartnern abhängig. Die Weltwirtschaft wird leiden, solange die USA und die Eurozone in der Krise stecken. So weit wir sehen können, ist das Wachstum in China ebenfalls anämisch, in Korea und Japan erst recht. Das bedeutet, dass Asien auch nicht als Wirtschafts-Lokomotive herhalten kann.
Wenn wir von der großen Depression reden, dann klingt das sehr, sehr dramatisch: Das letzte Mal, 1929, zog die große Depression Massenarbeitslosigkeit und Verelendung nach sich. Adolf Hitler kam an die Macht, in Österreich die Austrofaschisten. Große Depression: Das klingt wie Vorhof zur Hölle.
Da kann ich Sie beruhigen. Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht, sagte US-Präsident Franklin Delano Roosevelt bei seiner Antrittsrede im März 1933 mitten in der Großen Depression. Und er hatte recht. Heute stimmt das umso mehr. Unsere Volkswirtschaften sind nämlich heute viel flexibler als damals. Vor einem Monat hat uns der Mangel an Beatmungsgeräten und medizinischer Schutzausrüstung in Panik versetzt. Jedes Land begann, diese Dinge zu horten. Jetzt wird überall tonnenweise medizinisches Equipment produziert. Wir haben heute einen hohen Grad an Resilienz - eben weil wir unsere Produktion blitzschnell adaptieren können. Auch wenn wir bis zum Herbst keine Impfung haben, werden wir bis dahin viel besser ausgestattet sein: Es wird bereits die ersten wirkungsvollen Medikamente
geben, wir können kurzfristig Intensivbetten bereitstellen und ein Impfstoff könnte zumindest in Reichweite sein.
Und die Politik?
Sie muss entscheiden, wie entschlossen sie gegen den Wirtschaftseinbruch vorgeht. Wie weit ist die Politik bereit, eine tiefere Verschuldung zu akzeptieren? Wie weit will sie in der Fiskalpolitik gehen? Da stehen viele schwierige Entscheidungen an: Die Debatte in der Eurozone wird weitergehen, daran besteht kein Zweifel. Ist es okay, wenn die Nettozahler einen noch größeren Beitrag leisten, um den Defizit-Ländern zu helfen? Oder bleiben wir weiterhin bei einer nationalen Fiskalpolitik?
Können Sie sich Vermögenssteuern vorstellen?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass zumindest befristete Vermögenssteuern notwendig sein könnten, um die Hilfspakete zu finanzieren. Aber: Das Wichtigste ist, dass die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt. Denn selbst wenn die nominelle Schuldenlast höher ist, dann kann man durch Wachstum diese relative Schuldenlast - also die Schulden bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt - vermindern. In den letzten Jahren gibt es eine sehr aktive Debatte über die Besteuerung von Vermögen. Das ist längst kein Tabuthema mehr. Das Problem: Bisher konnten die Reichen Vermögenssteuern relativ leicht entkommen. Um Steuerflucht in Zukunft zu verunmöglichen, wird es eine enge europäische Koordination brauchen.