Das "neue Normal" ist immer noch reichlich weit entfernt vom "alten Normal". Ausgangsbeschränkungen wurden zwar gelockert, aber Spaß hat man "da draußen" immer noch eher wenig. In Zeiten des Überangebots – wer sich noch dran erinnert – fiel gar nicht auf, was wir alles machen könnten und früher vielleicht – ohne Arbeit, Kinder und Stress – gemacht haben. Der neue, reduzierte Alltag führt daher zur Renaissance von teilweise schon vergessenen Aktivitäten und die neuen Kommunikationsbedingungen zu ungeahnten Kreativitätsschüben. Im Folgenden ein kleines Kompendium von überraschenden Rückkehrern und Phänomenen, deren Stunde jetzt gekommen ist.
Die Stunde des Puzzles: 10.000 Teile, man weiß ja nie, wie lange die Krise dauert. Also los. Hinsetzen und puzzeln. Wer sich nicht sicher ist, ob das alte Puzzle noch komplett ist, vielleicht doch ein neues besorgen, denn 9996 Teile verstärken die Gefahr der negativen Auswirkungen von Ausgangssperren und Quarantäne. Endlich bildschirmfreie Zeit genießen, mit den Motiven um die Welt reisen. Mittlerweile gibt es auch Rate- und Rätselpuzzles oder Exit-the-Room-Aufgaben zu lösen. Wer ein hohes Toleranzlevel hat oder Erfahrungen mit Meditation und Entspannung, der kann zu MC-Escher-Motiven oder Strandbildern greifen.
Die Rückkehr des Ausmalbuchs: Vor einigen Jahren gab es ein seltsames Phänomen, das in diesen Tagen eine kleine Renaissance feiert: das Ausmalbuch für Erwachsene. Der Grund dafür ist sicher, dass das meditative Buntstiftschwingen eine recht beruhigende Wirkung hat in Zeiten der Unsicherheit. Kleinteilige Landschaften, kuriose Tierarten oder Bauhaus-inspirierte Architektur – das Spektrum ist groß und wer den Weg in den Handel scheut, der wird auch im Netz fündig, wo Illustratoren etwa auf InstagramAusmalmotive verschenken. Das Snoopy-Museum macht das übrigens für Fortgeschrittene: Es hat einfache Nachzeichen-Kurse für Snoopy, Charlie Brown und Woodstock auf Facebook gestellt.
Die Stunde des Oberkörpers: Viele haben die Erfahrung schon gemacht: Im Homeoffice ist die Perspektive eingeschränkt. Den Unterleib der Kollegen sieht man jetzt eigentlich nur mehr kurz, wenn er oder sie Kind respektive Haustier aus dem Kamerablickfeld entfernt. Umso mehr konzentriert sich nun der Fokus auf den Oberkörper des Gegenübers. Das muss kein Nachteil sein. Ja, neue Schuhe oder einen feschen Minirock zu kaufen bringt jetzt gerade nicht sehr viel, wenn man ein Publikum damit erfreuen will. Aber die erbauliche Wirkung von großen bunten Broschen kann schwerlich geleugnet werden. Mit dem Blickpunkt auf den Oberkörper kann es auch nicht lange dauern bis zum Comeback des Lustigen-Sprüche-T-Shirts.
Die Stunde des dramatischen Augen-Make-ups: Der ganze Alibert ist voll mit Lippenstiften? In der kompletten Schattierungspalette von Nude über Mauve bis Beere? Gratulation. Aber die nächsten Monate ungefähr so unbrauchbar wie ein Terminkalender oder ein Reisepass. Hinter der Schutzmaske ist das vor allem eins: eine ziemliche Schweinerei. Kosmetisch gesehen wird man sich jetzt besser auf die Augenpartie verlegen. Dramatische Augenschminke von künstlichen Wimpern über kunterbunt und großflächig bemalten Lidern bis zu Strass in den Augenbrauen – es gibt sicher Online-Lernvideos von Dragqueens, die einem das anständig beibringen.
Die Rückkehr der Ruhe: Ja, gut, im Homeoffice mit Kleinkindern ist das vielleicht nicht unbedingt als Erstes aufgefallen. Aber bitte, was ist das mit den Vögeln heuer? Sind das mehr? Haben die irgendwie besonderen Mitteilungsdrang? Oder warum singen die so viel lauter als sonst? Nun, einer der Gründe könnte sein, dass es keine störenden Nebengeräusche gibt. Wie zum Beispiel Flugzeuge, die über einen hinwegdonnern. Daran hatte man sich schon so gewöhnt, dass man die neue Akustik erst gar nicht richtig deuten konnte. Weil das aber wahrscheinlich nicht mehr allzu lang so bleiben wird: am besten noch ausgiebig genießen, diese unverhoffte Ruhe. Also mitsamt den Vögeln.
Die Stunde der Instrumente, die man immer schon lernen wollte: Nichts ist es gerade mit der legendären Frage nach der Rückkehr von einem geselligen Abend: "Und, was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?" So ein Abend kann nun mitunter ganz schön lang sein, da bietet sich etwas an, wofür man sonst eh nie Zeit hat: Wie wäre es mit dem Erlernen eines Instruments? Blasinstrument lässt man jetzt besser einmal aus, das wird noch länger stigmatisiert sein. Und die blockflötenphoben Nachbarn freuen sich auch. Aber eine Ukulele lässt sich zum Beispiel via Youtube recht flink erlernen. Die ist auch platzsparend, wenn sie nach der Pandemie dann nicht mehr so oft zum Einsatz kommen sollte.
Die Rückkehr des Fotoalbums: Das Handy hat acht Gigabyte Speicher, und siebeneinhalb davon sind mit Fotos belegt? Das soll öfter vorkommen, als man denkt. Wenn man sich schon in einer Situation befindet, die einen manchmal denken lässt, man sei in der Zeit zurückgefallen, kann man gleich auch ganz altmodische Dinge neu entdecken. Wie zum Beispiel das analoge Fotoalbum. Am besten mit Spinnenpapiertrennblättern und Fotoecken. Spannender als die meisten Netflix-Serien sind übrigens die Geschichten, die man sich erzählen kann, wenn man alte Familien-Fotoalben durchblättert.
Die Stunde des intensiven Briefwechsels: Menschen sind weit weg, E-Mails sind in der aktuellen Zeit zu einem entbehrlichen Gut geworden und die Videokonferenzen und Telefonate ermüden zunehmend. Also bewusst hinsetzen und nachdenken. Man erkennt seine eigene Handschrift am Anfang nicht mehr, aber mit der Zeit funktioniert es wieder. Und dann fließen die Gedanken heraus und die Themen kommen von ganz alleine. Und erst ein paar Tage später eine Antwort zu bekommen, ist eine Erfahrung, die man sich nicht nehmen lassen sollte. Achtsamkeit und Entschleunigung pur. Natürlich heißt das, man muss zur Post. Aber wie gut tut es, wenn man seinen Postkasten öffnet und dann lauter Briefe von Menschen findet, die sich wirklich hingesetzt und nachgedacht haben.
Die Stunde des Hometrainers: Jahrelang standen sie ungenutzt im Weg, waren Kleiderständer oder Wäschetrockner. Doch nun ist ihre Zeit gekommen. Aus dem Keller geholt, glänzt selbst der rostigste Ergometer nun voller Stolz. Im unendlichen Angebot der Online-Sportstunden, die lächelnde Trainer, fitte Vorturnerinnen und schwitzende Gymnastikkollegen auf die Bildschirme bringen, ist der Heimtrainer ein wertungsfreier, stummer Zeuge des Versuchs, in der Quarantäne wenigstens einen gepflegten Waschbärbauch zu bekommen.
Die Stunde der Modelleisenbahn: Während die einen im Wohnzimmer arbeiten müssen, sollen sich die anderen im Keller amüsieren. Was gibt es Besseres, als seine alte Modelleisenbahn wiederaufzubauen? Den Kindern oder Enkeln zeigen, was jahrzehntelang den Keller bevölkert hat und nun wieder an die Luft darf. Das Krokodil und der Orientexpress in trauter Zweisamkeit immer in der gewünschten Spur und endlich wieder Kontrolle über etwas haben. Der Boom hat sich verstärkt, je mehr Bedienstete des öffentlichen Verkehrs wegen der Ausgangssperren zuhause bleiben mussten. Und auch die Mitarbeiter der Fluglinien haben Zeit und können den Flugsimulator wieder auspacken.
Die Stunde des Poledance: Eine Stange im Zimmer montieren und schon gehts an die Muskelmasse. Keine Diskussionen mehr um reinen Frauen- oder Männerbereich. Keine stinkenden, verschwitzten Menschen. Ein Körper und eine Stange kämpfen um die stählerne Post-Corona-Strandfigur. Den Kopf freibekommen und sich hängen lassen – in einer neuen Variante, wer will das nicht?

Bunt macht lustig: Ausmalbücher, auch für Erwachsene, boomen wieder einmal.
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Musik hilft immer, gerade jetzt. Warum also nicht zur Selbsthilfe schreiten und ein Instrument lernen.
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