Vom Bett zum Kühlschrank zum Schreibtisch zum Kühlschrank zum Bett: So sah der Alltag während der Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus für viele wochenlang aus. Bei einigen habe das auch seine Spuren hinterlassen, sagten Thomas Dorner und Christian Lackinger von der Österreichischen Gesellschaft für Public Health an der MedUni Wien am Donnerstag vor Journalisten. Konkret durch durchschnittlich zwei Kilogramm mehr auf den Rippen.

In Österreich habe man zwar lediglich eine sehr kleine Gruppe von zwölf Probanden beobachtet, Vergleiche mit groß angelegten, repräsentativen Studien aus Italien und Japan seien allerdings alle auf etwa das gleiche Ergebnis gekommen, hieß es: Die Menschen nahmen im Shutdown zuhause um durchschnittlich zwei Kilogramm zu. Ausschlaggebend dafür sei allerdings nicht, weniger Sport betrieben zu haben, sagte Lackinger. "Jene, die das vorher schon machten, haben das beibehalten, und die anderen haben nicht damit angefangen." Es sei vielmehr der Wegfall der Alltagsaktivitäten wie der Fußweg ins Büro oder von den U-Bahnen zu Bus oder Straßenbahn dafür verantwortlich: Den Studien der MedUni Wien zufolge wendet man für Wege wie diese im Normalfall eine Stunde und 40 Minuten auf - während der Krise seien es nur 42 Minuten gewesen.

20.000 Kilokalorien

- © M. Hirsch
© M. Hirsch

Oder in Kilokalorien ausgedrückt: "Der Leistungsumsatz wird durch eine Stunde weniger Alltagsaktivität um 400 Kilokalorien pro Tag reduziert", so Lackinger. Auf die Zeit der Ausgangsbeschränkungen hochgerechnet, komme man schnell auf rund 20.000 Kilokalorien, die nicht in Leistung umgesetzt wurden und "zum Corona-Schwimmreifen führten".

"Schuld" daran seien unsere tief in uns verankerten steinzeitlichen Vorfahren, deren Körper stets Reserven horten mussten. In der heutigen Zeit mit ihrem schier unerschöpflichen Nachschub an Kohlenhydraten fatal: Durch zu viel Essen und zu wenig Bewegung steigt das Gewicht - und damit laut Dorner das Mortalitätsrisiko aufgrund der damit verbundenen Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck. Bei einem Plus von mehr als einem Kilogramm im Jahr seien es bei den 20- bis 69-Jährigen um 4364 Todesfälle mehr, sagte Dorner - "sofern man nicht gegensteuert". Am meisten erhöhe sich die Sterberate dadurch bei den 18- bis 35-Jährigen, und zwar um 66 Prozent.

An den Folgen des Coronavirus Sars-Cov-2 sind in Österreich bisher nachweislich 670 Menschen gestorben. "Es braucht mehr Anstrengungen denn je, mit Bewegung den Folgen des Shutdowns gegenzusteuern. Sonst steigt die Mortalität durch den Shutdown stärker als durch das Virus", so Dorner.

Einfach ist der Kampf gegen die zusätzlichen Kilo allerdings nicht. Und auch nicht schnell geschlagen. Denn um von einem halben Kilogramm Mehr an Gewicht zum Ausgangswert zurückzukehren, brauche es etwa ein halbes Jahr. Das hätten Studien nach der feiertäglichen Völlerei wie zu Weihnachten oder Ostern in Deutschland, den USA und Japan ergeben.

Walter Lunner von der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen räumt jedoch ein, dass während des Shutdowns auch Gesundheitsprogramme wie Camps oder Workshops abgesagt waren. Ab 2. Juni sollen diese wieder zur Verfügung stehen. Ein guter Anfang wäre zum Beispiel laut Klaus Ropin vom Fonds Gesundes Österreich, die Alltagswege künftig zu Fuß statt mit E-Scooter oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen.

Zugang zu Epidemie-Daten

Das Sportministerium verweist auf den Nationalen Aktionsplan Bewegung, den man 2013 mit dem Gesundheitsministerium erarbeitet habe und der Ziele für mehr Bewegung in allen gesellschaftlichen Bereichen vorschlage: von einer Verbesserung der Information über gesundheitswirksame Bewegung, dessen Förderung durch die Krankenkassen bis hin zum Ausbau der betrieblichen Gesundheitsvorsorge.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) gab währenddessen am Dienstag bekannt, dass Forscher nun Zugang zu Daten aus dem Epidemiologischen Meldesystem des Gesundheitswesens erhalten. Wissenschaftlichen Einrichtungen soll so die Erforschung des Coronavirus und Covid-19 ermöglicht und damit das Verständnis der Pandemie erhöht werden. Bisher waren in Österreich - im Gegensatz zu anderen Ländern - viele Daten etwa zum Alter oder Vorerkrankungen nicht öffentlich zugänglich.