Corona-Frühling an der Grenze zum Sommer: Die Blumen blühen, die Bäume sind voller Blätter, und die Friseure haben längst wieder geöffnet. Der Klopapier-Versorgungsengpass gehört der Vergangenheit an, man bekommt mühelos Desinfektionsmittel, Mund-Nasen-Masken und sogar beim Adriano eine vorzügliche Pizza Margherita, die man, heiß, knusprig und duftend, wie sie ist, im Lokal verspeisen kann und nicht, dem Pizza-Schicksal entsprechend, lauwarm und zäh geworden zu Hause. Museen sind geöffnet, einige Theater schauen, ob auch Publikum kommt. Grenzöffnungen lassen sogar einen Auslandsurlaub möglich scheinen.

Ausgetrickst scheint das Virus im Moment durch Babyelefanten, Seife und Masken. Die Pharmaindustrie macht Hoffnungen, dass noch im laufenden Jahr ein Medikament, vielleicht sogar ein Impfstoff zur Verfügung stehen könnte. Ungefährlich ist das Virus aber nicht.

Szenarien für die Nach-Corona-Zeiten

Langer Rede kurzer Sinn: Ohne Entwarnung zu geben, zeichnet sich nach derzeitiger Lage der Dinge ab, dass es eine Zeit nach der Corona-Krise geben wird. Damit erhebt sich die Frage, wie diese Zeit aussehen wird. Kaffeesudleserei? Weil für den konkreten Fall keine Erfahrungswerte vorliegen? - Ja und nein.

Das Deutsches Zukunftsinstitut hat vier Szenarien für eine Zeit nach Corona ausgearbeitet:

1) Totale Isolation, der Shutdown als Normalität. Vor sozialen Kontakten sendet man sich gegenseitig die Gesundheitsdaten. Handelsabkommen einzelner Staaten untereinander gewährleisten die Grundversorgung, aber auch nicht mehr.

2) System-Crash: Das Virus hat die Welt ins Taumeln gebracht, und sie kommt nicht mehr heraus. Jede Nation ist sich selbst die Nächste. Die Sorge vor einer erneuten Pandemie macht jede noch so kleine lokale Verbreitung eines Virus zum Auslöser drastischer Maßnahmen. Die internationale Zusammenarbeit gehört der Vergangenheit an.

3) Neo-Tribes: Nach der Corona-Krise hat sich die globalisierte Gesellschaft wieder stärker zurück zu lokalen Strukturen entwickelt. Es wird mehr Wert denn je auf regionale Erzeugnisse gelegt. Die Rückbesinnung auf Familie und Haus und Hof hält Einzug. Kleine Gemeinschaften entstehen und grenzen sich ab zu "den Anderen". Nachhaltigkeit und Wir-Kultur sind wichtige Werte, sie werden aber nur lokal gedacht, nicht global.

4) Adaption: Die Welt lernt und geht gestärkt aus der Krise hervor. Wir passen uns besser den Gegebenheiten an und sind flexibler im Umgang mit Veränderung. Die Weltwirtschaft wächst zwar weiter, aber deutlich langsamer. Es stellt sich die Sinnfrage nach dem Zweck des Wirtschaftswachstums. Der große Technik-Hype ist vorbei. Wir richten unsere Aufmerksamkeiten wieder mehr auf die humanen Fragen: Was ist der Mensch? Was sind wir füreinander?

Aus heutiger Sicht dürfte eine Mischung der Möglichkeiten 3) und 4) die wahrscheinlichste sein. Nur eines ist klar: Die Zeit nach Corona wird nie wieder so sein wie die Zeit vor Corona.

Allerdings: Auch die Gesellschaft vor Corona war das Ergebnis unumkehrbarer Krisensituationen. Überspitzt: Jede Gesellschaftsordnung ist das Resultat einer vorangegangenen Krise. Im konkreten Fall stimmt das nur nicht, weil die Krisen, aus denen die Vor-Corona-Gesellschaft hervorgegangen ist, von den meisten Menschen nicht selbst erlebt wurden. Das Durchschnittsalter der Österreicher lag 2019 bei 42,8 Jahren, d.h., die meisten sind in den Jahren um 1976 geboren. Personen, die die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs bewusst wahrgenommen haben, sind heute über 80 Jahre alt, die wenigen, die die Zwischenkriegszeit bewusst wahrgenommen haben, müssen im biblischen Alter von mindestens 105 Jahren sein. Für die Generation der rund Siebzigjährigen und der Jüngeren ist die Wahrnehmung einer Krise verhältnismäßig neu. Die angekündigten Pandemien (Vogel- und Schweinegrippe) haben nicht stattgefunden, die sogenannte Flüchtlingskrise war niemals eine Krise, weil weder Grundfreiheiten noch Wohlstand noch soziale Sicherheit der autochthonen Bevölkerung jemals bedroht waren.

Der direkte
Vergleich fehlt

Die Corona-Pandemie ist eine Situation, wie es sie seit der Spanischen Grippe nicht gegeben hat. Dennoch ist sie auch damit nicht vergleichbar. Denn die Spanische Grippe und die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs samt einem völligen Umbau des politischen Systems überlagerten einander. Die Maßnahmen gegen die Grippe waren vergleichsweise zurückhaltend, die mediale Berichterstattung bzw. die Möglichkeit, an Berichte zu kommen, war relativ eingeschränkt. Die gegenwärtige leichte Erreichbarkeit von (seriösen wie unseriösen) Medien und Fokussierung aller gräbt Corona indessen so tief ins Gedächtnis ein, dass es keine Rückkehr zur Vor-Corona-Normalität geben wird, weil sich Grundbefindlichkeiten zu tiefgreifend geändert haben werden.

Vor allem hat die bisher niemals bezweifelte Annahme einer gesundheitlichen Sicherheit beim sozialen Kontakt Schaden genommen. Um ein Beispiel zu bringen: Obwohl jeder mit ziemlicher Sicherheit einen Schnupfen überlebt, hat man merklich verschnupfte Personen wohl auf Distanz gehalten und sie nach Möglichkeit nicht mit Handschlag oder gar Umarmung begrüßt.

Das bedeutet: Selbst wenn eine Impfung vor dem Coronavirus schützt oder ein Medikament das Überleben einer Infektion garantiert, wird man schwer aus dem Kopf bekommen, das Gegenüber könnte, ohne es zu wissen, infiziert sein und die Infektion weitergeben. Ein Gesundheitsmisstrauen wird sich zumindest als kaum wahrnehmbarer Grundton in die zwischenmenschlichen Kontakte mischen. Eine Gesellschaft der räumlichen Distanz kann entstehen. Es wird sich zeigen, ob sie dort, wo zwangsläufig viele Menschen zusammenkommen, etwa bei Sportveranstaltungen, Konzerten, Theater und Oper, jemals völlig überwunden werden kann.

Jede neue Situation wird
zur alten Gewohnheit

Möglich ist es. Es gibt Gegenbeispiele, die zeigen, dass man sich auf die veränderte Situation einstellt, sobald man die Bekämpfungsstrategien kennt. Anders gesagt: Irgendwann wird jede neue Situation zur alten Gewohnheit. So hat etwa Aids den Umgang mit Sex verändert, nicht aber, wie auch prognostiziert worden war, zu einer weitestgehend entsexualisierten Gesellschaft geführt.

In der Geschichte erzeugte das Ende von Krisen, egal ob es Pandemien wie die Pest oder Kriege waren, ein Manifest der Lebensbejahung. Das Coronavirus wird unsere Gesellschaft in zahlreichen Details verändern. Es wird uns aber nicht die Lust am Leben rauben, sondern möglicherweise, ganz im Gegenteil, lehren, das Leben mehr zu genießen, als man es mit einer Konzentration auf Arbeit und Geldverdienen bisher gemacht hat. Vielleicht wandelt sich die oberflächliche Ich-Gesellschaft zu einer Carpe-Diem-Gesellschaft. In zwei bis drei Generationen wird diese neue Normalität nicht mehr hinterfragt werden, wenn man einander zum Gruß freundlich anlächelt und die Hand an die Stirn oder zum Herzen führt.