Immer mehr Kindergärten verlangen von Kindern bei banalem Schnupfen ein Attest, dass diese nicht mit dem Coronavirus infiziert sind. Teilweise werden bereits bei Verdachtsfällen Gruppen oder ganze Einrichtungen geschlossen. Um in der Schnupfen- und Grippesaison ein Chaos an Kindergärten zu vermeiden, setzt die Vereinigung der Kinderärzte unter anderem auf das von der Regierung angekündigte Ampelsystem.
Die vierstufige Ampel soll etwa berücksichtigen, wie viele Corona-Fälle es in einem Bezirk gibt. Diese Daten will die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) ab Herbst nutzen, wenn es darum geht, ob ein Kind als Verdachtsfall gesehen und getestet werden sollte.
Empfehlungen für Umgang mit Kindergärten
"Wenn ich wochenlang weit und breit keine Coronafälle habe und ich habe ein schnupfendes Kind, dann wird das mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Rhinovirus- und keine Coronainfektion sein", betont ÖGKJ-Generalsekretär Reinhold Kerbl im Gespräch mit der APA. Umgekehrt werde man hingegen in einer Region mit Corona-Cluster wohl auch ein Kind mit Schnupfen testen. Die ÖGKJ arbeite gerade an Empfehlungen für das Gesundheitsministerium für den Umgang mit den Kindergärten ab Herbst, bei denen das Ampelsystem eine wesentliche Rolle spielen soll.
Derzeit passiere es immer öfter, dass Kindergärten sich über Bescheinigungen von Kinderärzten absichern wollen, dass Kinder mit Atemwegsinfekten coronafrei sind. Die ÖGKJ rät allerdings davon ab, eine solche Bescheinigung auszustellen. Man sollte schließlich nicht bei jedem schnupfenden Kind einen (unangenehmen) Abstrich für einen Coronatest machen - und ohne Test könne man seriöserweise auch keine Bescheinigung ausstellen.
Orientierung an der Ampel
Grundsätzlich empfiehlt Kerbl, Kinder mit akuten Atemwegsinfekten für die paar Tage, in denen diese stark husten, daheimzulassen. Allerdings könne man sich auch hier am Ampelsystem orientieren: In einem Gebiet, in dem die Corona-Ampel rot anzeige, werde man ein Kind mit Schnupfen eher nicht in den Kindergarten schicken. In einer Region ohne irgendein Corona-Infektionsgeschehen werde das hingegen schon vertretbar sein. Immerhin haben Kinder sechs bis zehn Infekte pro Jahr.
Wenn man Schnupfenkinder allerdings generell - und damit auch in roten Gebieten - in den Kindergarten schicke, würden dadurch ganz sicher einige Kindergarten-Cluster entstehen. "Dann wird es heißen: Jeder Fall kann Corona sein und alles wird zugesperrt." Berücksichtige man hingegen die Ampel, könnte das viel bewirken, hofft Kerbl. Auch das Testen soll vom Ampelsystem abhängig sein: So solle in einem roten Gebiet großzügig getestet werden, während man in einem grünen Gebiet darauf eher verzichten könnte.
Testergebnis innerhalb von Stunden
Um in den Kindergärten ab Herbst Schließungswellen zu vermeiden, müssten die Einrichtungen bei Verdachtsfällen deutlich schneller als derzeit die Testergebnisse bekommen. "Dass ich die Leute vier Tage im Ungewissen lasse, darf nicht mehr sein und das wird im Herbst auch hoffentlich nicht mehr sein", sagt Kerbl. Künftig sollte durch den Ausbau von Testkapazitäten innerhalb weniger Stunden das Testergebnis da sein.
Die Kindergärten sollten ihre Reaktion dann von diesem abhängig machen. "Der Befund wird fast immer negativ sein und dann macht es auch überhaupt keinen Sinn, den Kindergarten zu schließen", so Kerbls Hoffnung. Gebe es einen positiven Befund bei einem Kind, das in den vergangenen drei Tagen im Kindergarten war, solle die betreffende Gruppe für 14 Tage geschlossen werden, nicht die gesamte Einrichtung.
Problem wechselnder Empfehlungen
Für die Kindergärten beginnt das Problem allerdings schon bei der Frage, welches Kind denn nun als Verdachtsfall anzusehen ist, erzählt Raphaela Keller vom Österreichischen Berufsverband der Kindergarten- und HortpädagogInnen (ÖDKH) der APA. Permanent wechselnde Empfehlungen von Gesundheitsministerium und den Gesundheitsbehörden der Länder seien wenig Hilfe. "Da gibt es so viel Interpretationsspielraum, dass die Entscheidungen dann sehr unterschiedlich ausfallen." Manche Leitung gehe zudem schon bei einem Verdachtsfall auf Nummer sicher und sperre gleich die ganze Einrichtung. Keller plädiert deshalb für bundesweit einheitliche, praktikable Vorgaben, wann es eine medizinische Abklärung durch einen Arzt oder über die Hotline 1450 braucht.
Wie sich der unterschiedliche Umgang der Einrichtungen mit Verdachtsfällen auf die Familien auswirken kann, zeigt ein offener Brief der Wiener Initiative "Eltern in der Krise": Dort wird von einem Kindergarten berichtet, der innerhalb von dreieinhalb Wochen vier Mal wegen eines Verdachtsfalls geschlossen wurde. In allen Fällen mussten Eltern und Kinder zwei bis vier Tage warten, bis Entwarnung gegeben wurde - mit entsprechenden Folgen für die Eltern, die oft Urlaubstage aufbrauchen mussten.
In einer Petition mit derzeit rund 3000 Unterstützern fordern die "Eltern in der Krise" von Bundesregierung und Stadt Wien unter anderem Kindergärten offen zu halten, bis ein Coronaverdachtsfall bestätigt wird, schnellere Testergebnisse und eine transparente, klare und nachvollziehbare Strategie für den Herbst. "Die Unverhältnismäßigkeit der politisch verordneten Vorgehensweise ist weder für die Kinder noch die Eltern und PädagogInnen weiter zumutbar!"
Wien: Nur mehr Verdachtsfälle werden abgesondert
Inzwischen erhalten die Wiener Schulen und Kindergärten bereits neue Richtlinien für den Umgang mit Coronavirus-Verdachtsfällen. Die Schließung von Gruppen oder gar ganzer Einrichtungen wegen eines Verdachtsfalls soll es nicht mehr geben. Lediglich die betroffenen Kinder müssen Quarantäne einhalten. Der Rest wird weiter unterrichtet und betreut.
Die Situation in Kindergärten und Schulen wurde über die letzten Wochen genau beobachtet, hieß es am Freitag in einer Aussendung des medizinischen Krisenstabs. Dabei habe sich gezeigt, dass nur ein Bruchteil der Verdachtsfälle positiv getestet worden sei. Weniger als fünf Prozent der Kinder mit Symptomen hatten sich demnach tatsächlich mit dem Virus infiziert.
Die neuen Regeln sehen nun vor, dass nur noch jenes Kind, das Krankheitssymptome aufweist, abgesondert wird. Enge Kontaktpersonen, also Kinder der gleichen Klasse oder Gruppe, können weiter unterrichtet oder betreut werden. Dabei darf es jedoch zu keiner Vermischung mit anderen Klassen oder Gruppen kommen, wie betont wurde.
Absonderung sehr wohl bei positivem Verdachtsfall
Auch in der Freizeit sollen Kids, die mit Verdachtsfällen in Kontakt waren, vorsichtig sein, bis das Ergebnis vorliegt. Sie sollen an keinen Familien- und Geburtstagsfeiern teilnehmen und auch keine Spiel- oder Sportplätze mehr besuchen. Möglich ist hingegen laut Krisenstab ein Spaziergang mit den Eltern oder ein kurzer Einkauf mit Schutzmaske.
Anders sieht die Sache aus, wenn das Ergebnis beim Verdachtsfall positiv ist. Dann werden die engen Kontaktpersonen - also Kinder derselben Gruppe oder Klasse - sehr wohl für 14 Tage nach dem letzten Kontakt zum infizierten Kind abgesondert. Die Gesundheitsbehörde nimmt dann mit den Betroffenen Kontakt auf und leitet weitere Tests in die Wege.
"Die vergleichsweise niedrige Infektionsrate bei Kindern wird auch durch zahlreiche Studien bestätigt. Deshalb können wir die Vorgangsweise nun vereinfachen und die Betreuung der Kinder im Sinne aller Beteiligten auch bei Verdachtsfällen aufrechterhalten", erklärte die stellvertretende Landessanitätsdirektorin und Leiterin des Medizinischen Krisenstabs, Ursula Karnthaler. Man habe die Richtlinien erarbeitet und adaptiert, weil es keine einheitliche Regelung auf Bundesebene gebe, fügte sie hinzu.
Fast nur Einzelfälle
Seit Ausbruch der Pandemie wurden laut Krisenstab an Schulen und Kindergärten fast nur Einzelfälle verzeichnet. Clusteranalysen in Wien hätten außerdem gezeigt, dass sich Kinder eher im Familienverband anstecken. Den Bildungseinrichtungen könne nur ein Bruchteil der Infizierten in der Bundeshauptstadt zugeordnet werden, wurde versichert.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bildungseinrichtungen seien aber auch weiterhin zu Wachsamkeit aufgerufen, was mögliche Symptome einer Corona-Erkrankung betrifft, sagte Karnthaler. Wobei sie klar stellte: "Ein mehrmaliges Niesen, eine leicht rinnende Nase oder ein einmaliges Husten allein ist noch kein Anlass für eine Abklärung. Starke Beschwerden, die dazu führen, dass das Kind dem Bildungsangebot nicht mehr folgen kann, sollen aber jedenfalls zu einer Abklärung führen." (apa)