
Beim Anstellen an der Seilbahn: Im Gebäude und in den Gondeln herrscht Maskenpflicht, was sich noch nicht überall herumgesprochen hat, leider auch nicht bei jenen, die mir von hinten fast in die Bergschuhe steigen. Kann passieren, die Freude auf einen schönen Tag lässt manche gedankenlos werden. Ich drehe mich um und bitte höflich, Abstand zu halten. Als Antwort erhalte ich eine angriffslustige Frage: "Warum?"
Es ist kein dreijähriges Kind, die sie stellt, sondern eine Frau mittleren Alters. Sie ist in Begleitung einer kleinen Gruppe von ungefähr gleichaltrigen Frauen und Männern, die ihr die Unterstützung durch zustimmendes Grinsen bezeugen.
In einem Leserbrief habe ich von einer ähnlichen Begebenheit gelesen, in diesem Fall war die zynische Antwort auf die Bitte um Abstand: "Ach ja, es sind ja schon ein paar gestorben!" Die Leute seien krisenmüde, heißt es. Das glaub ich gern, aber die Krise ist es leider noch nicht. Es gibt viele Menschen, die durch Corona in eine schwierige Lage geraten sind, wenn sie in manchen Situationen die Nerven verlieren, ist das verständlich. Aber die kleinen respektlosen Alltags-Begegnungen mit zorngeschwängerten Aerosolen könnten wir uns trotzdem sparen. Es muss ja nicht immer gleich um gemeinschaftliche Solidarität oder andere viel beschworene Werte gehen, gute Manieren reichen manchmal auch. Theoretisch.
Die abfällige Reaktion der Frau hat auch meine wunden Punkte getriggert und so ist der erste Reflex, ihr eine untergriffige Antwort entgegenzuschleudern. Mir fallen viele ein - höherer und minderer Qualität. Am liebsten würde ich sie einfach eine blöde Kuh nennen, aber ich mag mir den frühen Tag nicht durch eine sich aufschaukelnde Auseinandersetzung verderben lassen. Ein paar unbedachte Äußerungen - und schon ist man mitten in einem Aggressivitäts-Cluster.
Ein nüchterner Hinweis auf die Vorschriften kommt mir aber ebenfalls schwer über die Lippen; sich als Inspektorin aufzuspielen, bringt nie Sympathien, ebenso wenig wie dozierende Ausführungen zum Wohl und Wehe der Menschheit unter den Rahmenbedingungen der Corona-Maßnahmen.
In der Gelassenheit zeigt sich die Meisterin der Kommunikation, also lieber noch einmal durchatmen und in aller Ruhe auf die Frage "Warum?" antworten: "Weil ich Sie darum bitte - und ich dann ein besseres Gefühl habe!"
Solche Wohlerzogenheit ist auch mir nicht in die Wiege gelegt und so souverän wie das klingt, fühle ich mich nicht im Mindesten. Wahrscheinlich klingt es nicht einmal souverän, sondern wie ein auswendig gelernter Beispielsatz aus dem Lehrbuch für gewaltfreie Kommunikation. Aber in diesem Fall nützt die sprachliche Deeskalation. Die Frau rückt mir nicht mehr so nahe und die Gruppe spart sich abfällige Kommentare, sogar Masken werden über den Mund gezogen. Ich bin trotzdem froh, dass wir nicht in der gleichen Gondel zu sitzen kommen.