Europas Städte: Die Party ist vorerst vorbei

Wie viele Neuerkrankungen mit Covid-19 es in der britischen Hauptstadt London tatsächlich gibt, ist derzeit schwer zu sagen – offiziell betrug die Zahl der täglich neu registrierten Fälle zuletzt rund 20 je 100.000 Einwohner. Doch ist offenbar das Testsystem in ganz Großbritannien massiv überlastet, die Bürger erhalten keine Tests oder müssen viele Tage lang auf das Ergebnis warten. Londons Bürgermeister Sadiq Khan warnt schon vor einer "katastrophalen zweiten Welle" in ganz Großbritannien und in seiner Stadt. Das könnte die britische Millionen-Metropole hart treffen – die Stadt hat sich wieder geöffnet. Geschäfte und Museen haben wieder offen, es gilt aber Maskenpflicht und die Zahl der Besucher ist beschränkt. Auch zu privaten Treffen dürfen, wie im ganzen Land, nur mehr sechs Personen zusammenkommen. Ein hoher Beamter aus dem Gesundheitswesen hat nun gemeint, dass in der Riesenstadt bald lokale Lockdowns gelten könnten. Denn London steht vor der nächsten großen Herausforderung: Rund 500.000 Studenten kehren schon bald an die Universitäten zurück.

In der spanischen Hauptstadt liegt die Zahl der Neuinfektionen bei 763 pro 100.000 Bewohnern. Aber Madrid ist nicht gleich Madrid. Denn es macht hier einen Unterschied, ob man in dem Viertel Chamberi wohnt (300 Fällen pro 100.000 Einwohner); oder in Puente de Vallecas, mit erschreckenden 1240 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Ein Unterschied, der sich auch bei den Mietpreisen bemerkbar macht: In Chamberi wohnt man doppelt so teuer als in Puente de Vallecas, und meistens auch auf doppelt so viel Quadratmetern. Menschen, die auf Gelegenheitsjobs angewiesen sind, sagen offen: "Lieber sterbe ich an Covid-19, als dass ich verhungere." NGO-Mitarbeiter haben in den Armenvierteln bereits Menschen beobachtet, die gebrauchte Masken von der Straße aufheben, um sie dann selbst zu verwenden. Nun sorgte in Spanien die Meldung des Vize-Gesundheitsministers von Madrid für Verwirrung, dass geplant sei, besonders betroffene Stadtviertel unter Ausgangssperre zu stellen. Die Regierung ruderte dann zurück. Man fürchtet offenbar die unkontrollierbare Stadtflucht bzw. offene Revolution gegen die Maßnahmen.

Die Semester Opening Party kann in Prag offenbar am Mittwoch noch sattfinden – zumindest findet sich die Ankündigung auf der Homepage des Klubs Roxy. Allerdings kann die Feier nur bis Mitternacht gehen, denn nun müssen die Bars und Bierstuben bis sechs Uhr früh geschlossen bleiben. Davor konnte man in Prag auch durch die Nacht feiern. Auch sonst war man in Prag, wo man mit wenigen Corona-Fällen so gut durch das Frühjahr gekommen war, im Sommer auf größtmögliche Normalität bedacht. Damit wog man sich in falscher Sicherheit, sagen Kritiker heute. Denn in den vergangenen Wochen sind die Zahlen in der 1,3-Millionen Einwohner-Stadt kräftig in die Höhe geklettert, derzeit liegt man bei rund 154 positiven Tests je 100.000 Einwohner. So wurde Prag schon eine Woche vor Wien von Deutschland zu roten Zone erklärt. Nun versuchen die Behörden gegenzusteuern, und das vor allem mit einer verschärften Maskenpflicht. In öffentlichen Verkehrsmitteln, in Geschäften und Behörden und auch bei Feierlichkeiten in geschlossen Räumen muss der Mund-Nasen-Schutz wieder aufgesetzt werden.

Strikt sind seit Monaten die Regeln in Bayerns Landeshauptstadt München . Sogar im Hochsommer, als keine 20 Corona-Infektionen pro Tag gemeldet wurden, hieß es in Gastgärten: Masken aufsetzen auf dem Weg zum Platz, selbst wenn die gesamte Strecke im Freien lag. Zur Rückverfolgung möglicher Infektionen mussten stets auch Kontaktdaten hinterlassen werden. Mund-Nasen-Schutz war und ist in Läden und öffentlichen Verkehrsmitteln ohnehin Pflicht. Bei diesem Kurs bleibt es, für das kommende Wochenende wurde ein Alkoholverbot für fünf beliebte öffentliche Party-Orte verhängt. Das rot-grün regierte München geht mit ihren strengen Maßnahmen mit der CSU-geführten Landesregierung Hand in Hand. Diese Linie vertritt Ministerpräsident Markus Söder auch seit Beginn der Corona-Krise öffentlichkeitswirksam. Dennoch steigen auch in Bayern und München die Infektionszahlen. Mit fast 46 Fällen pro 100.000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen liegt München nur noch knapp unter dem Schwellenwert von 50. Wird diese Grenze überschritten, stehen weitere Verschärfungen an.

Frankreich ist eines der am stärksten vom Coronavirus betroffenen Länder Europas. Über 30.000 Menschen sind mit Covid-19 gestorben, das sind mehr als dreimal so viele als beim größeren Nachbarn Deutschland. Nach einer Phase der Entspannung steigen die Infektionszahlen wieder – obwohl beispielsweise in Schulen für alle ab elf Jahren Maskenpflicht herrscht. Vergangene Woche wurden landesweit erstmals überhaupt mehr als 10.000 neue Fälle binnen eines Tages gezählt. Diesem Trend kann sich auch die Hauptstadt Paris nicht erzielen. In ihrem Kerngebiet, dem Département Paris, gab es in der vergangenen Woche 160 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Über 100 lag die Zahl auch in den Pariser Vororten, den Départements Seine-Saint-Denis (109), Val-de-Marne (116) und Hauts-de-Seine (126). Unmittelbare Besserung scheint derzeit nicht in Sicht, nun wurde die für Ende Oktober geplante Kunstmesse FIAC abgesagt. Es zeigt sich aber auch, dass dicht besiedelte Städte anfälliger für die Ausbreitung des Virus sind. Und in keiner europäischen Großstadt leben mehr Personen pro Quadratmeter als in Paris.