Wissenschaft kann Probleme lösen. Doch bevor eine Lösung da ist, wird es oftmals kompliziert. Diesen Eindruck erwecken manche Forschungsergebnisse zum Coronavirus Sars-CoV-2. Während die Zahl der Neuinfektionen steigt, erscheinen der neue pandemische Erreger und seine Begleiterscheinungen mit fast jedem Tag komplexer.

- © M. Hirsch
© M. Hirsch

Jüngste Erkenntnisse vor dem Hintergrund der herbstlichen Infektionswelle: Die Symptome von Influenza und Covid-19 unterscheiden sich wenig voneinander, beide jedoch merklich von der Erkältung. Während manche Experten noch im März davon ausgegangen waren, dass die neue Lungenerkrankung zwar mit Husten, aber nicht Schnupfen einhergeht, sind sich Experten jetzt weitegehend einig, dass bei Covid auch ein Schnupfen möglich ist. Und während man im Frühjahr angenommen hatte, dass Corona sich häufig in Gliederschmerzen äußert, scheint heute klar, dass diese - anders als bei Influenza - bei der neuen Krankheit nur manchmal auftreten. Laut einem "Faktenblatt Influenza" des deutschen Robert Koch Instituts heben sich die Symptome von Covid-19 einzig durch Atemnot von der Influenza und einen Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns von der Erkältung ab (siehe nebenstehende Grafik). Des weiteren ist Atemnot bei Covid häufig, bei den anderen beiden Infektionskrankheiten aber selten.

Was ist ansteckender?

Zusammenfassend erklärt die Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt von der Medizinuniversität Wien, was bisher außerdem klar erscheint: "Die Influenza hat eine Inkubationszeit von einem bis drei, Covid-19 eine Inkubationszeit von fünf bis sechs Tagen. Und während Grippeviren nur 24 bis 48 Stunden auf glatten Oberflächen überleben, verbleiben Sars-CoV-2-Partikel dort bis zu sieben Tage." In Aerosolen überleben Coronaviren bis zu drei Stunden, virale Partikel von Grippe aber maximal eine Stunde. Ist Covid-19 somit ansteckender als die Grippe? "Das kann man so nicht sagen", betont Wiedermann-Schmidt: "Das Infektionsgeschehen ist ganz anders." Während die Grippe sich homogen verbreitet, also eine Person die nächste ansteckt, kann eine mit Covid-19 infizierte Personen viele andere anstecken, aber nicht jede tut es. Und "während die Influenza hauptsächlich von Kindern verbreitet wird, ist dies bei Covid nicht der Fall", erklärt die Expertin und nennt Zahlen. Ein Covid-Infizierter infiziere ohne entsprechende Schutzmaßnahmen zwei bis 2,5 andere Personen, ein Grippe-Infizierter hingegen nur eine bis 1,5 Personen. Während aber für eine Ansteckung mit Influenza 127 bis 320 Virionen eingeatmet werden müssen, muss man eine Ladung von 514 Virionen inhalieren, um an Covid-19 zu erkranken.

Ein Covid-Erkrankter hat im Schnitt 500 Coronaviren abbekommen, bestätigen auch Andreas Bergthaler und seine Kollegen vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Nur diese relativ hohe Zahl an Viren könne die Krankheit auslösen. Das würde zugleich erklären, warum einfache Maßnahmen wie Maskentragen oder Abstandhalten gegen die Ausbreitung der Pandemie wirken, da sie die Zahl der ausgeschiedenen Viren verringern.

Um herauszufinden, wie viele Viren bei einer Infektion von Mensch zu Mensch übertragen werden, hat Bergthaler ihr Erbgut bei Überträgern und den von ihnen angesteckten Personen untersucht. Die Paare wurden mittels Nachverfolgung der Kontaktpersonen ermittelt. Wenn Infizierte nur wenige Virus-Varianten des Infektors in sich tragen und dennoch erkranken, ist es bereits gefährlich, wenn man mit wenigen Viren in Kontakt kommt. Wenn viele Virus-Varianten vom Infektor beim Infizierten zu finden sind, sind viele Viren nötig, um die Krankheit auszulösen, erklärte der Forscher bei einem Online-Votrag. Es wurden viele Varianten bei den Infizierten gefunden. Wer wenige Viren abbekommt, hätte einen schwächeren Krankheitsverlauf, so der Wissenschafter.

Kollateralschäden

Und welche der beiden Infektionen ist tödlicher? "An Covid-19 sterben unter einem Prozent der Infizierten, die meisten davon in der Risikogruppe mit schwerwiegenderen Verläufen. An Influenza sterben hingegen 0,1 Prozent, allerdings sind auch Kinder dabei", erklärt Wiedermann-Schmidt.

Das renommierte Imperial College in London lieferte am Mittwoch Zahlen zu den Todesopfern, die die erste Welle der pandemischen Lungenkrankheit in 19 Staaten Europas, Australien und Neuseeland forderte. Die Forschenden um den Public Health-Experten Majid Ezzati kommen auf 206.000 Tote, wobei davon nur 167.000 Todesfälle auf Infektionen mit Sars-CoV-2 zurückzuführen seien und der Rest Begleitumständen der Pandemie geschuldet sei. Als Ursachen für diese indirekten Todesfälle nennen die Forscher eine schlechtere medizinische Versorgung bei anderen Krankheiten und Unfällen, den Verlust von sozialen Netzwerken, Jobs und Einkommen, häusliche Gewalt, Tabak-, Alkohol- und Drogenmissbrauch. In Österreich gab es in der ersten Welle der Pandemie 930 zusätzliche Todesfälle, von denen 668 auf Infektionen mit dem Coronavirus zurückzuführen seien, berichten die Forschenden im Fachjournal "Nature Medicine".