Oswald Wagner, Universitätsprofessor an der Medizinischen Universität Wien, nimmt der Bevölkerung die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Lockdowns, gleich zu Beginn der Pressekonferenz nach den Expertengesprächen mit der Regierung: "Wir können zwar die Situation auf den Intensivstationen beherrschen, haben aber eine Sieben-Tages-Inzidenz zwischen 130 und 150 – und das ist für ein Ende des Lockdowns viel zu hoch." Dieser Sieben-Tages-Durchschnitt der Infizierten pro 100.000 Personen in Österreich müsse deutlich unter 50 gesenkt werden, "niedriger wäre besser, aber 50 ist ein Grenzwert".

"Wir sind jetzt zu hoch unterwegs, müssen deutlich hinunter", sagte Wagner. Das Ziel könne die Bevölkerung mit einer generellen FFP2-Masken-Pflicht, deutlich mehr Abstand, "zwei statt einem Meter" und ständigem Testen erreichen. Auch eine Homeoffice-Pflicht für Berufe, in denen das Arbeiten zu Hause in den eigenen vier Wänden möglich sei, sei zielführend.

Neue B117-Virus-Variante verbreitet sich im Umland

Genetiker Andreas Bergthaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sagt, dass man es mit den neuen Virus-Varianten wie B117 mit einer "neuen Situation zu tun" habe. In der Slowakei machen diese Varianten bereits 50 Prozent der Neuinfektionen aus, in der Schweiz neun Prozent. "Es scheint also kein österreichspezifisches Problem zu sein." Noch wisse man nicht genau, wie hoch der Prozentsatz hierzulande sei, es gebe aber mittlerweile mehr als 100 Verdachtsfälle. "Das Virus ist infektiöser, aber es ist immer noch ein Sars-Corona-Virus-2", sagt Bergthaler, deshalb seien auch die bisherigen Maßnahmen sinnvoll.

Reproduktionszahl auf 0,9 bzw. 0,8 senken

Ziel sei es laut Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH, nun die Reproduktionszahl, also die Anzahl an weiteren Neuinfektionen pro infizierter Person, zu senken. Diese schwankte in den vergangenen Wochen immer zwischen 0,95 und 1,05. Die Experten gehen aktuell noch von einem sehr moderaten Effekt auf die Reproduktionszahl der neuen Virusvariante aus. Man rechne mit einer Verdoppelungszeit  von ungefähr einer Woche: "Aus 100 würden in einer Woche 200, nach zwei aber schon 400", sagt Ostermann.

Gelingt es die Reproduktionszahl auf 0,9 zu senken, gewinne man Zeit, konkret 17 Tage bis zu einer Verdoppelung der Infizierten. Würde die Reproduktionszahl auf 0,8 gesenkte, verdoppelt sich die Fallzahl erst nach 35 Tagen. Man dehne damit den Reaktionszeitraum bis die Situation etwa auf Intensivstationen wieder kritisch werden würde auf mehrere Monaten aus: "Das könnte sich dann mit der Impfung ausgehen."

Statistiker Erich Neuwirth kam in der reinen Männerrunde an Experten die Rolle des Mahnenden zu: Es gebe zwar im Moment kein exponentielles Wachstum, aber auch keinen Abwärtstrend. "Das ist aber das, was wir nun mit den neuen Varianten brauchen würden." - "Die derzeitigen Maßnahmen und dass sich ein Teil der Bevölkerung nicht daran zu halten scheint, führt dazu, dass die Infektionen wieder ansteigen werden." Die Impfung wecke Hoffnung, aber es dauere, bis sich die Wirkung bei den Neuinfektions- und Todesfallzahlen zeigen werde: "Jetzt ist sie noch nicht die Lösung unserer Probleme. Jetzt muss stärkere Restriktionsmaßnahmen setzen, um die Sieben-Tages-Inzidenz auf unter 50 zu drücken." 

Regierung entscheidet am Sonntag

Eine Entscheidung darüber, wie die Regierung weiter vorgehen will, will diese am Sonntag verkünden. Bereits am Freitagabend war nach einem Gespräch mit den Landeshauptleuten klar, dass es kein Ende des Lockdowns in Sicht ist. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) erklärte, er rechne mit der Verlängerung "bis weit in den Februar hinein". Auch die ab dem 25. Jänner angedachten Schulöffnung dürften seiner Einschätzung nach nicht kommen. Im Expertengespräch waren auch die Landeshauptleute - per Videokonferenz - zugeschaltet. Kaiser forderte in einer Aussendung danach, darauf zu achten, dass Maßnahmen auch realistisch umsetzbar sind: "Es nützt nichts, wenn mathematische Überlegungen am Reißbrett gezeichnet werden, die in der Theorie funktionieren, die die Menschen aber nicht leben können." Homeoffice zur Pflicht zu machen, damit diese Eltern dann auch gleichzeitig ihre Kinder zu Hause betreuen sollen, gehe an der Lebensrealität von Eltern komplett vorbei.

Heute Samstag gibt es noch ein Gespräch mit den Sozialpartnern im Kanzleramt. Am Abend soll es dann eine weitere Videokonferenz mit den Landeshauptleuten geben. Eine Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen will die Regierung laut Apa am Sonntagvormittag bekannt geben.