Eigentlich hatte es gar nicht so schlecht ausgesehen. Die erste Corona-Impfung war frisch zugelassen. Konzepte zum "Reintesten" lagen in der Schublade und würden schon bald ein wenig Öffnung ermöglichen. Noch ein bisschen durchhalten, dann tatsächlich "Licht am Ende des Tunnels". Das war das Gefühl vieler. Im Dezember.

Danach wurden die Nachrichten nicht mehr besser. Schon kurz nach der frohen Botschaft von der Impf-Zulassung beherrschte eine neue Abkürzung die Schlagzeilen: B.1.1.7. Die "britische Mutation" des Coronavirus breitete sich auch in Österreich aus. Inzwischen sind eine brasilianische und eine südafrikanische Mutante hinzugekommen. Laut Experten dürften die Impfstoffe schwere Verläufe bei jeder Variante verhindern - Ansteckung und Weitergabe des Virus aber nicht unbedingt.

Auch die Impfung wird die Pandemie also nicht so schnell beenden. Und: Die Menschen sind der Lockdowns überdrüssig. Die Bereitschaft, Social-Distancing-Maßnahmen einzuhalten, sinkt. Was tun also? Gibt es Wege aus der Pandemie abseits des lähmenden Auf- und Zusperr-Zweiklangs? Alternativen zu "Durchimpfen" und "Reintesten", mit denen man Sektoren schrittweise wieder hochfahren kann? Kreative Ideen und Best-Practice-Modelle jenseits der ausgetretenen Pfade?

Niedrige Fallzahlen schaffen Möglichkeiten

"Leider haben wir uns in eine schwierige Situation gebracht", sagt Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien (IHS) zur "Wiener Zeitung". Die Kommunikations-Schwächen der Bundesregierung hätten die Menschen stark zermürbt. Statt nur Gesetze und Verordnungen zu erlassen, hätten die Regierenden von Beginn an Ziele kommunizieren sollen, die es zu erreichen gelte, meint Czypionka.

Nach den langen Lockdown-Phasen dürfte es schwer werden, eine ähnlich starke Zustimmung zu Maßnahmen zu erreichen wie im vergangenen März - ganz zu schweigen von der tatsächlichen Befolgung im Alltag. Dennoch plädiert Czypionka angesichts der aktuellen Fallzahlen - so wie zahlreiche Expertinnen und Experten - für einen kurzen, aber scharfen Lockdown. In drei, maximal vier Wochen könnten die Zahlen genug gedrückt werden, wenn die Bevölkerung sich ausreichend an die Maßnahmen hält. "Denn je kürzer und härter ein Lockdown ist, desto überproportional besser wirkt er", sagt Czypionka.

Dass strikte und vor allem schnelle Maßnahmen effektiv sind, hat nicht zuletzt Australien vorgezeigt. So werden am fünften Kontinent schon bei wenigen neuen Corona-Fällen ganze Städte und Provinzen abgeriegelt und mit strengen Ausgangssperren belegt, um Infektionsketten zu brechen und dem Contact Tracing die erforderliche Zeit zu geben, mögliche weitere Virusträger auszuforschen.

Von Australien Quarantäne lernen

Dass es in Australien kaum noch lokale Corona-Fälle und damit fast wieder ein Leben wie vor der Pandemie gibt, ist allerdings nicht nur der harten Lockdown-Strategie zu verdanken, sondern auch dem überaus rigiden Grenzmanagement, mit dem die Regierung des konservativen Premiers Scott Morrison versucht, die Corona-Einschleppungen ins Land so gut wie möglich zu verhindern. So sind die Flugverbindungen nach Australien seit Beginn der Pandemie konsequent ausgedünnt worden, und auch die vereinzelten Maschinen, die noch eine Landeerlaubnis haben, dürfen nur deutlich weniger Passagiere als früher an Bord haben.

Herzstück des australischen Einreiseregimes sind jedoch die strikten und mit aller Konsequenz verfolgten Quarantäne-Regeln, die zunehmend auch schon in anderen Staaten Nachahmer finden. Anders als in vielen europäischen Ländern, wo die Einhaltung der Quarantäne mehr oder weniger der Eigenverantwortung des Einzelnen überlassen wird, erfolgt die Absonderung in Australien unter quasi staatlicher Aufsicht. Die heimkehrenden Staatsbürger und Aufenthaltsberechtigten - Touristenvisa gibt es schon lange keine mehr - werden schon bei der Ankunft von Sicherheitsdienstmitarbeitern in Empfang genommen und dann zu einem Hotel begleitet, in dem sie die kommenden 14 Tage isoliert in einem Zimmer verbringen müssen. Für den auch von medizinischem Personal überwachten Aufenthalt im Quarantänehotel muss man selbst aufkommen, ebenso wie für die zwei obligatorischen Corona-Tests.

Ebenfalls auf Quarantänehotels setzt Norwegen, wo mittlerweile auch schon die Einreisebestimmungen ähnlich streng sind wie in Australien. Doch es sind nicht nur solche Corona-Musterländer, die angesichts der immer stärkeren Verbreitung von deutlich infektiöseren Coronavirus-Varianten auf extrem strikte Quarantänekonzepte zurückgreifen. Im europäischen Corona-Hotspot Großbritannien sollen am 15. Februar die ersten Quarantänehotels in Betrieb gehen, vorerst allerdings nur für Ankommende aus 33 vor allem außereuropäischen Ländern mit besonders hoher Inzidenz und einer starken Verbreitung der Mutanten. "Varianten, die das Immunsystem umgehen können, entstehen vor allem in Ländern wo es einerseits schon viel Immunität, anderseits auch viele immunschwache Menschen gibt, zum Beispiel Südafrika oder Brasilien", sagt Viola Priesemann, die am deutschen Max-Planck-Institut in Niedersachsen Szenarien zur Virusausbreitung modelliert. "Testen bei der Einreise und dann im Zweifel auch eine Quarantäne wären extrem hilfreich, um zu verhindern, dass sich diese Varianten so schnell in Europa ausbreiten."

Alles muss raus: in der Gastronomie und der Schule

Eine Kontrolle der Fallzahlen durch kurze, aber harte Lockdowns und die Verhinderung der Einschleppung von neuen Mutationen sind laut Czypionka auch die zentrale Voraussetzung, um sich an kreative Öffnungskonzepte zu wagen. Spätestens im Frühjahr werde die Witterung diese erleichtern. Statt nur auf Distance Learning zu setzen, könnte Unterricht dann auch im Freien stattfinden. Viele Schulen verfügen über Outdoor-Sportplätze und große Schulhöfe. Man könnte Schulstunden teils zu Hause, teils im Park stattfinden lassen, Kleingruppen im Gehen unterrichten, "oder den Biologie-Unterricht einmal geblockt in den Wienerwald verlegen", sagt Czypionka.

So viel wie möglich nach draußen zu verlagern, könnte freilich auch ein Rezept für die Gastronomie sein, wo bereits im Sommer zahlreiche Ideen erprobt wurden. So hat ein Lokal an der Wiener Alten Donau Picknick-Pakete mit gekochten Gerichten angeboten. Ein Leitsystem mit Schildern wies aus, wo das Essen verzehrt werden darf und wo nicht. Die Gäste aßen auf den umliegenden Parkbänken und Wiesen. Und statt reinem Take-away gab es zumindest in Ansätzen so etwas wie ein Restaurant-Erlebnis.

Im großen Stil wird die Draußen-Gastronomie schon in New York praktiziert. So nehmen laut der "New York Times" in der Stadt, die normalerweise niemals schläft, mehr als 10.000 Lokale am Open Restaurants Program teil, das es erlaubt, die Gehsteige im Umfeld für die Gästebewirtung zu nutzen. Der Umsetzung selbst sind dabei kaum Grenzen gesetzt, solange dabei die Regeln des Social Distancing eingehalten werden. So sind im Cafe du Soleil an der Upper Westside über jeden Tisch kleine durchsichtige Iglu-Zelte gespannt, im Lilia in Brooklyn können die Gäste dagegen in freistehenden Yurten speisen, die im Winter auch über eine eigene Heizung verfügen. "Man muss sich anpassen oder zusperren", sagt Danny Perez vom Restaurant Blend Astoria in Queens gegenüber der "New York Times". "Was gibt es denn sonst noch für Möglichkeiten".

Digitalisierung öffnet Türen - auch beim Reisen

Kreative Lösungen, die zumindest ein Stück weit eine Öffnung ermöglichen, braucht es aber nicht nur in der Gastronomie, sondern auch im internationalen Tourismus. Denn noch so einen Einbruch wie im Frühjahr 2020, als die Landgrenzen dicht waren und die Flugbewegungen in vielen europäischen Ländern um mehr als 90 Prozent zurückgingen, würde die Branche, die in vielen Ländern einen zentralen Wirtschaftsfaktor darstellt, wohl kein zweites Mal verkraften.

Als Exit-Strategie gilt derzeit vor allem die Risikominimierung durch die Vorlage eines negativen Corona-Testergebnisses oder eines Impfnachweises. Doch praktikabel ist das derzeit bestehende System besonders dann nicht, wenn es ums Fliegen geht. Denn derzeit kommen die allermeisten Passagiere mit ein paar ausgedruckten Zetteln in der Hand zum Check-in, bei denen das Bodenpersonal der Airlines oft nicht weiß, ob sie den Anforderungen entsprechen. So muss etwa ein französischer Check-in-Mitarbeiter nicht nur feststellen, ob ein in Portugal ausgestelltes Antigen-Test-Zertifikat authentisch ist - er muss auch wissen, ob dieser Nachweis den sich derzeit laufend ändernden Einreisebestimmungen am Endziel, etwa in Vietnam, genügt.

Einen ersten Lösungsansatz gibt es allerdings schon. So hat Singapore Airlines im Dezember auf den Flügen von Kuala Lumpur und Jakarta nach Singapur mit dem Test einer Smartphone-App begonnen, die vielleicht später einmal zur Standardanwendung im gesamten IATA-Luftfahrtverbund werden könnte. Mit dem sogenannten "Travel Pass" sollen Passagiere nicht nur die Möglichkeit haben, sich einfach und rasch über die geltenden Einreisebestimmungen im Zielland informieren zu können. Autorisierte medizinische Einrichtungen sollen auch standardisierte Testzertifikate und Impfnachweise in die App einspielen, die von dort aus an Airlines und Einreisebehörden weitergeleitet werden können. Ob der "Travel Pass" und die ähnlich funktionierende "Common Pass"-App der Luftfahrtbranche zu einem Neustart verhelfen können, wird aber wohl vor allem davon abhängen, wie gut das Angebot angenommen wird. Denn zumindest in Europa sind mit den Contact-Tracing-Apps schon einmal digitale Lösungen im Kampf gegen die globale Pandemie durchgefallen.

Massenveranstaltungen als größte Herausforderung

Doch wie weit kann man bei den Öffnungen gehen? Gibt es nicht auch eine Grenze, die sich selbst mit den kreativsten Ideen nicht überwinden lässt, weil die Gleichung Masse und Virus immer zuungunsten der Masse ausgeht?

Dass man zumindest darüber nachdenken kann, zeigt einmal mehr das Beispiel Asien. In manchen Staaten finden aktuell sogar große Sport-Events mit Publikum in geschlossenen Hallen statt. Mit zugewiesenen Sitzplätzen, deutlich reduzierter Auslastung und der Auflage, zwar applaudieren zu dürfen, nicht aber zu rufen oder zu laut sprechen. Das Betreten und Verlassen der Hallen erfolgt aufgeteilt in kleinen Sektoren, um Menschenansammlungen zu vermeiden.

Voraussetzung für die Indoor-Events sind ausgeklügelte Belüftungssysteme. "Mich wundert sehr, dass das in den heimischen Verordnungen nicht steht", sagt Czypionka. Ähnlich wie beim Brandschutz könnten Öffnungen an bestimmte, von Innenraum-Analytikern zertifizierte Lüftungskonzepte geknüpft werden. Bei gutem Luftaustausch seien auch in Geschäften keine 20 Quadratmeter pro Kunde nötig, meint Czypionka. Wichtig sei allerdings, bei allen Öffnungsschritten klar zu kommunizieren, dass erneut verschärft werden müsse, wenn die Fallzahlen wieder steigen.

Modelle wie bei Sportveranstaltungen sind auch im Kulturbetrieb, für Theater, Oper und Kino umsetzbar. So war das Wiener Filmfestival Viennale am 1. November haarscharf vor dem zweiten harten Lockdown zu Ende gegangen. Im Sondermodus mit freien Sitzplätzen zwischen Besuchern und Maskenpflicht auch während der Vorstellung. Während das Gartenbaukino als Viennale-Hauptspielstätte die Zeit seither zur Großsanierung nützt, harren andere Betreiber seit mehr als drei Monaten dem Aufsperren. "Man fügt sich notgedrungen dem Schicksal", sagt Norman Shetler, Geschäftsführer des Gartenbaukinos.

Prinzipiell scheinen Kinos wie Bühnen für Öffnungsperspektiven mit Auflagen prädestiniert. Denn wo das Publikum kaum spricht, herrscht in Kombination mit FFP2-Masken und großen Sitzabständen eher geringes Ansteckungsrisiko. Über die großzügigen Platzverhältnisse des Gartenbaukinos mit seinen mehr als 700 Sitzplätzen verfügen allerdings nur die wenigsten Filmhäuser. Nicht für alle werde es daher ökonomisch rentabel sein, mit starken Auflagen wieder aufzusperren, sagt Shetler.

Nachtgastro hofft auf die Kraft von UV-C-Lampe

Während Kinos in einer epidemiologisch vergleichsweise besseren Lage sind, wird ein anderer (sub-)kultureller Bereich besonders hart von der Pandemie getroffen: die Nachtgastronomie. In kaum einem Umfeld fühlt sich das Virus so wohl wie in der klassischen "Club"-Situation: stickige Räume, oft ohne direkte Belüftung. Menschen dicht gedrängt auf engem Raum. Tanzen, das den Atem schneller, Alkohol, der die Sprache feuchter, Musik, die die Stimmen lauter macht.

Die Clubs müssen deshalb seit bald einem Jahr geschlossen halten - von einigen Versuchen mit Tisch-Bewirtung ohne Tanzen und lauter Musik im Sommer einmal abgesehen. Zwar dürften nicht alle Nachtlokale die Pandemie überleben. Dennoch macht sich in Wien nicht das Ausmaß an Resignation breit, das man vielleicht erwarten würde, sagt Laurent
Koepp von der Vienna Club Commission, die zwischen Clubbetreibern, Veranstaltern, Anrainern und Politik vermittelt. Wie das? "Clubs zu führen war auch schon vor der Pandemie oft eine prekäre Angelegenheit", sagt Koepp zu dieser Zeitung. "Die Betreiber sind es gewohnt, von Monat zu Monat zu planen."

Konzepte zum beschränkten Wiederaufsperren legten einige von ihnen selbst vor. Die "Grelle Forelle" am Donaukanal etwa mit Maßnahmen wie Getränken nur im Garten, leise gedrehter Musik im Innenbereich und Tanzen nur mit Maske - bei deutlich reduzierter Gäste-Kapazität. Von der Umsetzung ist ein solches Konzept derzeit freilich weit entfernt.

Zukunftshoffnung setzt man in der Branche dagegen auf ein technisches Hilfsmittel: UV-C-Lampen, wie sie etwa zur Desinfektion von Krankenwägen eingesetzt werden. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie tötet die ultraviolette Strahlung auch das Coronavirus innerhalb von Sekunden auf Oberflächen ab. Allerdings: Wie gut das unsichtbare Licht die Viren auch in der Luft unschädlich machen kann, wie von Club- und Lokalbetreibern erhofft, ist derzeit noch völlig unklar.

Koepp berichtet außerdem von zwei europäischen Pilotprojekten in Barcelona beziehungsweise Marseille. In der spanischen Küstenstadt habe ein Club im Herbst einen streng organisierten Testbetrieb mit 500 Menschen durchgeführt, der wissenschaftlich dokumentiert wurde. UV-C-Lampen kamen dabei zwar nicht zum Einsatz, dafür aber Schnelltests für alle Besucher direkt am Eingang.

In Marseille sollen im Februar gemeinsam mit dem französischen Kulturministerium zwei Testkonzerte mit je 1.000 Besuchern durchgeführt werden, um - ebenfalls unter strengen Sicherheitsauflagen - herauszufinden, wie hoch das Infektionsrisiko ist. Corona-Checkboxen beim Einlass, die auch in Marseille eingesetzt werden, hält Koepp grundsätzlich für eine gute Idee. Umsetzbar könnte das wegen des hohen Personalaufwands auch künftig allerdings nur für einzelne Veranstaltungen sein, nicht für einen regelmäßigen Clubbetrieb. Ob ein Pilotprojekt - sinkende Zahlen vorausgesetzt - durchführbar wäre, will die Club Commission aber auch für Wien evaluieren.