Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) setzt sich für einen "Grünen Pass" für Corona-Geimpfte, Getestete und Genesene ein. Es brauche "einen Grünen Pass für jeden, der geimpft ist, oder gerade Corona hatte und dadurch immun ist, oder einen neuen Test gemacht hat", sagte Kurz am Mittwoch in Wien. Ohne europäische Lösung werde man das Projekt "national angehen". Während Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zurückhaltend reagierte, kam von der FPÖ scharfe Kritik.

Andere ÖVP-Abgeordnete hingegen unterstützen die Forderung des Bundeskanzlers. "Ein europaweit einheitlicher und anerkannter 'Grüner Pass' ist der richtige Ansatz, um trotz Corona-Krise größtmögliche Freiheit wiederzuerlangen", sagte Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger am Donnerstag.

Kurz will den "Grünen Pass" nach dem Vorbild Israels beim Donnerstagnachmittag beginnenden EU-Gipfel vorschlagen. Mit einer Entscheidung der EU-Staats- und Regierungschefs wird am Donnerstag noch nicht gerechnet. Deutschland, Frankreich und andere Länder haben Vorbehalte, weil unklar sei, ob Geimpfte das Virus weitergeben. Die Gegner befürchten zudem eine Impfpflicht durch die Hintertür. Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissow stellte sich unterdessen hinter die Forderung. Er habe sich mit Österreich, Griechenland und anderen Ländern auf einen Vorschlag für den "Grünen Pass" geeinigt, erklärte er laut Nachrichtenagentur AFP. Er solle "all jenen Erleichterung verschaffen, die geimpft wurden oder die Krankheit durchgemacht haben".

In Israel können Bürger, die zwei Impfdosen gegen das Coronavirus erhalten haben, einen "Grünen Pass" ausgestellt bekommen. Dieser ermöglicht ihnen unter anderem, wieder Fitnessstudios, Schwimmbäder, Theater oder Hotels zu besuchen. Zudem hat Israel bereits mit den EU-Ländern Griechenland und Zypern Abkommen geschlossen, welche die Einreise von Menschen mit Impfnachweis ab April ermöglichen soll.

Köstinger kündigte in einer Aussendung außerdem eine Diskussion beim Treffen der EU-Tourismusminister am Montag über das Thema an. "Eine einheitliche und rasche digitale Lösung muss im Interesse aller EU-Mitgliedsstaaten liegen." Ein digitaler Pass würde den Tourismusstandort attraktiver machen und könnte auch für Gastronomie und Veranstaltungen zum Einsatz kommen. Der digitale "Grüne Pass" könne folgende Informationen enthalten: eine Impfung, den Beleg einer durchgestandenen Infektion oder ein negatives Testergebnis, das nicht älter als 48 Stunden ist.

"Brauchen Freiheit zurück"

Kurz machte seinen Vorschlag am Vorabend des EU-Onlinegipfels publik, bei dem er diesen thematisieren will. "Wir brauchen innerhalb der Europäischen Union die Reisefreiheit wieder zurück", betonte Kurz vor Journalisten. Ein EU-weit geltender Grüner Pass könne "eine gute Basis dafür darstellen, dass wir ordentlich durch den Sommer kommen". Israel habe bereits ein ähnliches System, insofern "erwarte" er sich, "dass wir das auch in Europa umsetzen". Technisch sei es leicht machbar. Es solle eine digitale Lösung sein: Jeder solle sich mit dem Handy ausweisen können.

Kurz betonte, dass er schon mit zahlreichen EU-Amtskollegen sowie auch dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu über diesen Vorschlag gesprochen habe. Angesprochen auf die Vorbehalte einiger EU-Länder sagte er, er "hoffe, möglichst schnell die Vorbehalte der Staaten aufbrechen zu können". Er strebe eine europäische Lösung an. "Wenn es nicht gelingt, werden wir selbstverständlich dieses Projekt national angehen und mit möglichst vielen Staaten in der Nachbarschaft und darüber hinaus versuchen, einen gemeinsamen Weg zu finden."

"Schlüssel für das Tor zum Reisen"

Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) spricht sich ebenso für einen EU-weit einheitlichen "Grünen Pass" mit Informationen eine Impfung, dem Beleg einer durchgestandenen Infektion oder einem negativen Testergebnis, das nicht älter als 48 Stunden ist. Ein solcher Pass, abrufbar etwa über das Handy, sei "auch der Schlüssel um das Tor für Reisen wieder zu öffnen". Es gehe dabei auch darum, Österreich wieder als "Tourismusstandort für einheimische und internationale Gäste zu attraktivieren" und könnte auch beim Zutritt zu Gastronomie und  Veranstaltungen zum Einsatz kommen, deshalb sei das Instrument auch ein "wesentliches Instrument" für diese, "um wieder in die Gänge kommen zu können", gab Köstinger bekannt

EU-Komissionsvizepräsident mahnt zur Eile

Kurz und Köstinger bringen damit eine Idee anderer von der Tourismus-Wirtschaft abhängiger Länder wie Griechenland, Zypern und Spanien erneut auf die europäische Bühne. EU-Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas mahnt beim geplanten EU-Impfpass zur Eile: "Das betrifft alle EU-Staaten, ob im Norden oder Süden, und die Entwicklung schreitet schneller voran als die Zeit in der Politik." Wichtig sei ein gemeinsamer Ansatz beim Nachweis, dass jemand geimpft sei. "Und dann brauchen wir eher früher als später eine öffentliche Diskussion über die Frage der Nutzung." Sonst würden sich bilaterale Lösungen durchsetzen, warnte der aus Griechenland stammende Kommissar. Eine "Zersplitterung nützt uns nichts".  Auch der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hat sich für eine uneingeschränkte Reisefreiheit von Geimpften und einen EU-weit gültigen Impfpass eingesetzt.

Griechenland und Zypern haben bereits bilaterale Vereinbarungen mit Israel über die künftige Einreise von Geimpften getroffen. Der zyprische Hotelverband (CHA) drängte nochmals auf eine Beschleunigung der politischen Bemühungen im eigenen Land , die Gültigkeit von Coronaimpfpässen bilateral mit anderen Staaten zu vereinbaren und nicht auf die EU zu warten. Die Vereinbarung mit Israel sei hervorragend und ein Beispiel dafür, wie die Branche trotz Corona wieder arbeiten könne, sagte Verbandspräsident Filokypros Rousounides am Mittwoch dem Nachrichtenportal "Cyprus Times".

Frage des Zeitpunktes

Deutschland hat allerdings Vorbehalte gegen Vorteile für Geimpfte, solange noch nicht alle die Chance auf eine Impfung hatten. Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erklärte sich am Mittwochabend auf "Puls24" zwar pro europäischen Impfpass. Die Frage - der Pass als "Türöffner für eine Ungleichbehandlung in der Gesellschaft, so wie es in Israel der Fall ist" -, sei aber eine "hochpolitische, ethische Frage" und eine "spannende Diskussion", die zu führen sei. Auch Anschober ergänzte zur Frage nach dem Zeitpunkt, das "hängt auch davon ab, wie groß der Anteil der Geimpften tatsächlich ist". Im APA-Interview hatte der Minister bereits erklärt, eine Entscheidung über Erleichterungen für Geimpfte - wie etwa in Israel - werde in Österreich nicht vor April fallen.

Ähnlich zurückhaltend äußerte sich auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zur Frage nach möglichen Freiheiten für Geimpfte. "Wenn ich jetzt höre, dass vier Prozent der Bevölkerung geimpft sind, (...) wir alle wollen uns impfen lassen. Solange nur vier Prozent die Möglichkeit dazu haben, weil die Organisation so schleppend ist und es die Impfstoffe noch nicht gibt, dann stellt sich die Diskussion nicht", erklärte sie im "Puls24"-Interview. Denn das wäre eine Schlechterstellung jener, die sich zwar impfen wollen, aber es nicht konnten. Außerdem müssten die wissenschaftlichen Daten eindeutig belegen, dass ein Geimpfter das Virus nicht weitergebe. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sagte in "Puls 24" man müsse eine "tiefgreifende Diskussion" führen, ob es Einschränkungen für Nicht-Geimpfte geben dürfe, weil es viele ansteckende Krankheiten gebe, bei denen "nie jemand auf die Idee kommen" würde, so etwas zu tun. "Es ist ein echter Tabubruch", sagte Hacker.

FPÖ ortet "Träume der Volksüberwachung"

Von der oppositionellen FPÖ kam scharfe Kritik für den Vorstoß des Kanzlers. "Testzwang, Impfzwang, Kennzeichnungszwang. ÖVP-Kanzler Kurz kommt aus dem Träumen der Volksüberwachung nicht mehr heraus", teilte die FPÖ-EU-Sprecherin Petra Steger am Mittwochabend in einer Aussendung mit. Als "geradezu grotesk" wertete die Nationalratsabgeordnete die Argumentation von Kurz, dass er so zu einem Maximum an Freiheit gelangen wolle, zumal es sich um eine "Corona-Vollüberwachung" handle.

Der virtuelle EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs wird sich am Donnerstag (ab 15 Uhr) um die Koordinierung in der Coronavirus-Pandemie sowie die Impfstoff-Beschaffung drehen. Thema werden dabei zügigere Zulassungsverfahren und ein Ausbau der Produktionskapazitäten über eine stärkere Zusammenarbeit der Hersteller sein. In der Debatte über ein europaweites Impfzertifikat zeigen sich manche Länder zurückhaltend. Deutschland und Frankreich fürchten eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Nichtgeimpften, so lange nicht alle Bürger geimpft werden können. Andere verweisen darauf, dass noch nicht klar sei, ob eine Impfung auch vor einer Übertragung des Virus schützt. (apa, red)