Die 18-jährige Tochter verbringt ein paar Tage im Haushalt ihrer Mutter. Erkältungssymptome, die sich nur kurz nach einer ausgelassenen Party zeigen, legen den Verdacht nahe, dass das Coronavirus Sars-CoV-2 im Spiel sein könnte. Die darauffolgenden Tests, deren Ergebnis allerdings ein paar Tage auf sich warten lässt, bestätigen dies. Die gesamte Zeit über verbringt das junge Mädel im "fremden" Haushalt, schläft mit ihrer Mutter sogar im selben Bett. Das Verwunderliche an dieser Begebenheit: Weder fiel ein Test positiv aus noch zeigten sich im Nachhinein entsprechende Antikörper im Blut der Mutter. Die junge Erwachsene trägt diese aber sehr wohl in ihrem Körper.

Fälle wie diese finden sich immer wieder - nicht nur bei Covid-19. Häufig erkrankt eine ganze Familie bis auf eine einzige Person. Wissenschafter lenken ihren Blick genau auf diese Phänomene.

Studie zur Resilienz

Der Genetiker Jason Bobe von der Icahn School of Medicine in New York verbringt schon Jahre damit, Menschen mit ungewöhnlichen Merkmalen der Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten zu untersuchen, die von Herzerkrankungen bis hin zur Lyme-Borreliose reichen, wie die BBC in einem Beitrag berichtet. Als die erste Welle von Covid-19 hereinschwappte, war sein erster Gedanke, ob es Menschen gibt, die das Virus nicht infizieren konnte. Er versucht vor allem, ganze Familien zu finden, in denen mehrere Generationen schwere Fälle von Covid-19 erlitten hatten, aber eine Person asymptomatisch war.

Bei der Suche macht er sich die digitale Welt zunutze. Eine eigens geschaffene Online-Plattform für die Aufnahme in eine Studie zur Resilienz von Covid-19 wurde ins Leben gerufen. In den kommenden Monaten hofft Bobe, die Genome von Menschen, die Anzeichen einer solchen Resilienz aufweisen, sequenzieren zu können, um festzustellen, ob es häufige Mutationen gibt, die ihnen helfen, dem Virus auszuweichen. Hinweise dafür gibt es schon. So haben Forscher mittlerweile einen Zusammenhang zwischen Typ 0- und Rhesus-negativen Blutgruppen und einem geringen Risiko für schwere Verläufe festgestellt.

Am Humangenomforschungszentrum an der Universität Sao Paulo wurden bereits 100 Paare identifiziert, bei denen eine Person Covid-19 bekam, der Partner jedoch nicht infiziert war. Die Humangenetikerin Mayana Zatz von der Hochschule analysiert auch das Genom von zwölf Hundertjährigen, die nur geringfügig vom Coronavirus betroffen waren. Eine 114-jährige Frau in Recife hat sich sogar von der Erkrankung wieder erholt. Während Covid-19 für ältere Generationen besonders tödlich war, könnten ältere Menschen, die bemerkenswert resilient sind, Hinweise auf neue Möglichkeiten geben, um den Verletzbaren zu helfen, zukünftige Pandemien zu überleben.

Eingebautes Alarmsystem

"Bei jeder Infektionskrankheit, die wir untersucht haben, gibt es immer Ausreißer, die schwer krank werden, weil sie genetische Mutationen aufweisen, die sie anfällig machen", erklärt der Genetiker Qian Zhang von der Rockefeller University in New York gegenüber der BBC. Im April 2020 hat die Universität eine internationale Zusammenarbeit namens Covid Human Genetic Effort gestartet, um die Ursache zu ermitteln.

Ein Schuldiger war schnell ausgemacht. Denn schon in den 1960er Jahren entdeckten Forscher, dass unsere Zellen über ein eingebautes Alarmsystem verfügen, um den Rest des Körpers zu alarmieren, wenn er von einem neuen Virus angegriffen wird. "Dringt ein Virus in eine Zelle ein, bildet die infizierte Zelle Proteine, sogenannten Typ-1-Interferone, die außerhalb der Zelle freigesetzt werden", so der Forscher. Alle umgebenden Zellen empfangen dieses Signal und widmen alles der Vorbereitung auf die Bekämpfung des Erregers. Ist die Infektion schwerwiegend, produzieren die Zellen genug Typ-1-Interferon, damit es in den Blutkreislauf freigesetzt wird und der gesamte Körper weiß, dass er betroffen ist. Es kommt zum Gegenangriff.

Doch manchmal führen genetische Mängel auch dazu, dass dieses System nicht richtig funktioniert. So wurden bereits Menschen identifiziert, bei denen diese Interferonantwort nicht funktioniert, weil sie Veränderungen im Genom aufweisen. Ist der Alarm stummgeschaltet, kann sich das Virus im Körper viel schneller ausbreiten.

Blockade von Interferon

Es scheint, dass dies auch dazu beiträgt, dass Menschen unerwartet anfällig für Covid-19 sind. Diese Mutationen, die Interferon blockieren, scheinen jedoch nur 14 Prozent der ungewöhnlich anfälligen Patienten auszumachen. Für die verbleibenden 86 Prozent glauben Genetiker, dass ihre Verwundbarkeit auf einem Netzwerk genetischer Interaktionen beruht. Die Wissenschafter sind drauf und dran, dies herauszufinden.

Viele dieser Antworten werden zu spät für die aktuelle Pandemie kommen, um etwas zu bewirken. Doch wird das Verständnis, was Menschen ungewöhnlich widerstandsfähig oder verletzlich macht, bei künftigen Ausbrüchen Leben retten können, sind sich die Forscher einig. "Unser Ziel ist es, genetische Varianten zu identifizieren, die nicht nur Covid-19, sondern auch andere Viren oder widrigen Bedingungen Resilienz verleihen", betont Zatz. Das Ziel der Studien sind neue Behandlungsmöglichkeiten.