Die Aufregung um den AstraZeneca-Impfstoff nimmt kein Ende. Nachdem zuletzt die Diskussion um etwaige gesundheitliche Folgen dieses Corona-Impfstoffs neu aufgeflammt ist, gibt es in dieser Woche einen kompletten Lieferausfall. Bund und Länder wollen zwar das Impfprogramm mit AstraZeneca fortsetzen. Lieferausfälle könnten den Impfplan jedoch über den Haufen werfen. Der AstraZeneca-Impfstoff ist auch wichtiger Teil des Impfplans, damit das von der Bundesregierung angestrebte Ziel, bis Ende April alle Über-65-Jährigen zu impfen, umgesetzt werden kann.

Der Corona-Impfstoff von AstraZeneca wird in Österreich grundsätzlich weiterhin in allen Bundesländern für alle Altersgruppen eingesetzt. Das ist das Ergebnis einer Videokonferenz des Gesundheitsministeriums mit den Landesgesundheitsreferenten am Donnerstagvormittag. Damit bleibt der österreichische Impfplan unverändert, teilte das Gesundheitsministerium noch Donnerstagmittag mit.

Wenig später kam die neue Hiobsbotschaft: Einmal mehr gibt es Lieferschwierigkeiten mit dem AstraZeneca-Impfstoff. Diese Woche ist überhaupt kein Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers in Österreich eingetroffen. Die für diese Kalenderwoche angekündigte Lieferung wird  nun erst in der kommenden Kalenderwoche 15 (12. bis 18. April) erwartet. Statt 5.090 Ampullen - das entspricht 50.900 Dosen  - dürften dann aber auch nur  2.640 Ampullen geliefert werden - also fast um die Hälfte weniger als versprochen.

AstraZeneca nicht gemeldet

Wie dazu Generalmajor Andreas Pernsteiner vom Verteidigungsministerium im Gespräch mit der APA erklärte, wäre an sich vorgesehen, dass AstraZeneca immer freitags die Lieferungen für die folgende Woche bestätigt. Am vergangenen Freitag habe man von AstraZeneca nichts gehört, erst am Dienstag  hätte sich der Hersteller offiziell gemeldet und seine Lieferangaben korrigiert. "Ähnliche Phänomene" gebe es bei anderen Impfstoffherstellern nicht, sagte Pernsteiner. Die Bundesländer haben am Mittwoch vom Lieferausfall erfahren.

Zumindest in Wien müssen dennoch in dieser und in der kommenden Woche keine Impftermine mit AstraZeneca-Dosen abgesagt werden, versicherte ein Sprecher von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Man verfüge über einen "Puffer", weil man Lieferschwierigkeiten bei AstraZeneca aufgrund gewisser Erfahrungswerte mittlerweile schon miteinkalkuliere. Bisher wurden in Österreich übrigens mehr als 421.000 AstraZeneca-Impfungen verabreicht. Dazu kommen mehr als 1,25 Millionen Biontech/Pfizer-Dosen und mehr als 137.000 Immunisierungen mit Moderna.

Jedenfalls gibt es wegen der Lieferschwierigkeiten neue Fragezeichen um die Einhaltung des Corona-Impfplans, auch wenn sich Bund und Bundesländer auf die Fortsetzung der Impfungen mit AstraZeneca in Österreich verständigt haben. Die österreichischen Gesundheitspolitiker folgten damit den Empfehlungen der EMA und des Nationalen Impfgremiums (NIG) vom Vortag. "Ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis wurde in allen Altersgruppen und bei Personen jeden Geschlechts bestätigt", hieß es in einer Aussendung des Gesundheitsministeriums. "Daher wird auch weiterhin jeder zugelassene Impfstoff für alle Personengruppen empfohlen." Dies gelte "auch für junge Menschen, die zwar seltener intensivmedizinisch behandelt werden müssen, aber auch von schweren und langfristigen Folgen einer Covid-19-Erkrankung betroffen sein können".

Keine individuelle Auswahl des Impfstoffs

Eine "individuelle Auswahl des Impfstoffes" ist nicht vorgesehen, betonte das Ministerium. Um seltene mögliche Impfnebenwirkungen bestmöglich zu behandeln, sei von Gerinnungsexperten eine Vorgangsweise zur Diagnostik und Therapie bei Gerinnungsstörungen/Thrombosen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung erarbeitet worden, das dem medizinischen Fachpersonal zur Verfügung gestellt werde.

Der Corona-Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca sei "ein guter Impfstoff, den wir brauchen", hatte die Direktorin für die Öffentliche Gesundheit, Katharina Reich, im ORF-Morgenjournal betont. Das Bild des Vakzins nach außen habe allerdings leider "wirklich gelitten", räumte die im NIG vertretene Medizinerin ein. Der Imageverlust sei offensichtlich, meinte Reich. "Das ist so nicht mehr rückgängig zu machen" und sei "ein bisschen unverdient", auch wenn sich tatsächlich die meisten Diskussionen und Rätsel um das Vakzin von AstraZeneca gerankt hätten.

Ein Verzicht auf den Impfstoff - der einen wichtigen Bestandteil des österreichischen Impfprogramms darstellt - oder eine Einschränkung auf bestimmte Personengruppen hätten "eine komplette Umstellung dieses Impfplans zur Folge", wodurch "sich ganz sicher Verzögerungen ergeben würden", und "Verzögerungen können wir uns alle, egal, wie viel Impfstoff da ist, derzeit nicht leisten", betonte Reich. "Wir wollen schnell vorankommen."

Das Nationale Impfgremium (NIG) hatte sich am Mittwochabend trotz des sehr wahrscheinlichen Auftretens seltener Fälle von Blutgerinnsel nach einer Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff für eine unveränderte Weiterführung des österreichischen Impfprogramms ausgesprochen. Damit folgte das NIG der Empfehlung der Europäische Arzneimittelbehörde (EMA), die Nebenwirkungen des Vakzins feststellte, aber keine Änderung an ihrer uneingeschränkten Empfehlung für den Impfstoff vornahm.

"Derzeit soll das Impfprogramm in Österreich unter Berücksichtigung der epidemiologischen Situation und der verfügbaren Impfstoffe unverändert weitergeführt werden", hieß es in einer Stellungnahme des NIG Mittwochabend. Denn es sei in allen Altersgruppen und bei Personen jeden Geschlechts ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis bestätigt worden. Bezüglich der Blutgerinnsel "konnten keine spezifischen Risikofaktoren identifiziert werden, welche die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten derartiger Ereignisse erhöhen". "Die Ereignisse wurden mittlerweile gut charakterisiert und Kriterien zur frühzeitigen Diagnose und Therapie wurden erstellt", so das Impfgremium in Bezugnahme auf die Europäischen Arzneimittelagentur EMA, die vorliegenden Daten aus der EU und Großbritannien zu thromboembolischen Ereignissen/Blutgerinnungsstörungen nach Covid-19-Impfungen erneut evaluiert hatte.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich am Mittwoch vorerst für die weitere Verwendung des Impfstoffs ausgesprochen. Nach aktueller Datengrundlage scheine ein Zusammenhang mit Thrombosen zwar plausibel, aber nicht bestätigt, teilten die Experten des Impfkomitees der WHO am Mittwochabend mit. Es bedürfe noch weiterer Studien, um eine mögliche Verbindung zwischen Impfung und etwaigem Risiko zu untersuchen.

Außerordentliche Videokonferenz der EU-Gesundheitsminister

Die EU-Gesundheitsminister wollten am Abend in einer außerordentlichen Videokonferenz über die möglichen Risiken im Zusammenhang mit dem Impfstoff von AstraZeneca beraten. Österreich wird nach Auskunft des Gesundheitsministeriums daran teilnehmen.

Unterdessen ändert Italien seine Impfrichtlinien und empfiehlt das Präparat von Astrazeneca jetzt für Menschen über 60 Jahre. Das gab der Präsident des obersten Gesundheitsinstituts (CTS), Franco Locatelli, am Mittwochabend in Rom bekannt. Er und andere Experten des Gesundheitsministeriums betonten, dass der Impfstoff in Italien weiter als ein sehr gutes Mittel eingestuft werde. Aufgrund von sehr seltenen Vorkommnissen von Blutgerinnseln im Zusammenhang mit dem Präparat habe Gesundheitsminister Roberto Speranza sich aber für die "bevorzugte Verwendung" von Astrazeneca-Dosen bei Menschen über 60 Jahre entschieden.

Die britische Impfkommission JCVI (Joint Committee on Vaccination and Immunisation) wollte sich nicht festlegen, was die Ursache der Blutgerinnsel ist. Sie passte jedoch ihre Empfehlung für Menschen unter 30 Jahren an, die nun ein anderes Vakzin verabreicht bekommen sollen, hieß es am Mittwoch.

In Großbritannien sind nach Angaben der Arzneimittelbehörde MHRA bisher 79 Fälle von seltenen Blutgerinnseln nach Impfungen mit dem AstraZeneca-Präparat aufgetreten. Dabei kam es zu 19 Todesfällen. Junge Menschen sind dabei überproportional stark betroffen. Ein direkter Zusammenhang mit dem Impfstoff konnte laut Impfkommission zwar noch nicht nachgewiesen worden. Aber angesichts des geringeren Risikos für jüngere Menschen an Covid-19 zu sterben, habe man diese Abwägung getroffen, hieß es.

Die Experten der EMA stellten einen Zusammenhang zwischen Impfstoff und Thrombosen fest, wenn gleichzeitig eine sehr geringe Zahl von Blutplättchen vorhanden war. Dies trete allerdings sehr selten auf. Die Behörde hält damit weiterhin an ihrer Bewertung des Präparates fest. "Der Nutzen des Wirkstoffes bei der Bekämpfung von Covid-19 ist deutlich höher zu bewerten als die Risiken", sagte EMA-Chefin Emer Cooke am Mittwoch in Amsterdam.

Im März Expertengruppe eingesetzt

Unklar ist, was für Folgen die EMA-Entscheidung nun für die Impfungen in den EU-Mitgliedstaaten haben wird. Mehrere EU-Länder hatten zuvor den Einsatz des Impfstoffes auf Personen ab 60 Jahre eingeschränkt. Konkret geht es vor allem um seltene Fälle von Blutgerinnseln (Thrombosen) in Hirnvenen nach einer AstraZeneca-Impfung.

Die EMA hatte im März eine Expertengruppe eingesetzt. Sie hatte zunächst keinen Zusammenhang mit der Impfung festgestellt. Die Untersuchung war aber fortgesetzt worden. Die Experten vermuten, dass es sich um eine sehr seltene Immun-Reaktion handelt. Die meisten Fälle waren den Angaben zufolge etwa zwei Wochen nach der Impfung aufgetreten. Anders als in Großbritannien stellten die EMA-Experten keine besonderen Risikofaktoren wie Alter oder Geschlecht fest.

Geimpften riet die EMA, auf das Risiko der sehr seltenen Blutgerinnsel zu achten. Patienten sollten sofort einen Arzt aufsuchen, wenn sie die folgenden Symptome haben: Kurzatmigkeit, Brustschmerzen, Schwellung im Bein, anhaltende Bauchschmerzen, neurologische Symptome einschließlich schwerer und anhaltender Kopfschmerzen oder verschwommener Sicht sowie winzige Blutflecken unter der Haut über die Injektionsstelle hinaus.

Die Häufigkeit gemeldeter Zwischenfälle mit Blutgerinnseln im Gehirn gaben die EMA-Experten am Mittwoch mit ungefähr eins je 100.000 an. Es hänge sehr davon ab, wie gut die Meldesysteme seien.

Jetziger Marktname des Impfstoffs: Vaxzevria

Der Impfstoff mit dem nunmehrigen Marktnamen Vaxzevria hatte Ende Jänner eine bedingte Marktzulassung für die EU erhalten. Danach ist der britisch-schwedische Hersteller weiterhin verpflichtet, alle Daten zu möglichen Nebenwirkungen weiterzuleiten.

Die WHO hatte am Abend darauf hingewiesen, dass die Vorfälle angesichts von inzwischen weltweit 200 Millionen mit AstraZeneca geimpften Menschen sehr selten seien. Demgegenüber seien inzwischen 2,6 Millionen Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. "Die Verabreichung von Impfstoffen basiert auf einer Kosten-Nutzen-Analyse", so die WHO-Experten. Das Komitee werde nächste Woche erneut beraten. (apa/dpa/reuters)